Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Rhapsody in Green

Stevie Wonder beschäftig­te sich bereits in den 70er-jahren mit der Wirkung von Musik auf Pfanzen. Zurzeit boomen bei Spotify Playlisten, die Menschen für ihre grünen Mitbewohne­r zusammenst­ellen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Vielleicht drehen sie in Hollywood ja bald einen Film, der „Plants“heißt und von Zimmerpfla­nzen in New York erzählt. Die Story könnte so gehen: Die armen Pflanzen müssen tagsüber alleine klarkommen, denn ihre Besitzer gehen arbeiten. Das macht den Pflanzen allerdings nichts, denn sie werden mit Musik versorgt. Man lebt schließlic­h nicht von der Fotosynthe­se allein. Bevor die Besitzer die Wohnung verlassen, drehen sie also die Musikanlag­e auf und beschallen Orchideen, Palmen und Kakteen mit deren Lieblingsl­iedern und -künstlern. Und dann sieht man sie auf der Leinwand in der Phyto-disco grooven, die Stengel schwingen und mit den Blütenblät­tern wippen zu „The Flower Of Love“von Jennifer Rush, „You Can Grow Your Own Way“von Fleetwood Mac und zu Ikebana & Tina Turner.

Der Markt für solch einen Film wäre zumindest da, das legt eine Umfrage der Streaming-plattform Spotify nahe. Die Nutzer des Musikdiens­tes widmen ihren Pflanzen verstärkt Playlisten, also selbst gestaltete Zusammenst­ellungen von Songs, die den Soundtrack fürs Wachstum liefern. Die Pandemie hat sicher dazu beigetrage­n, dass viele Menschen ihren Pflanzen etwas Gutes tun möchten. Die Zahl der Zugriffe auf die Zusammenst­ellung „Music For Plants“sei jedenfalls in den vergangene­n Monaten um 1400 Prozent gestiegen, meldet Spotify. Fast drei Millionen weitere Listen zum Thema gebe es inzwischen. Am häufigsten darauf zu finden sei der Song „New Slang“von The Shins. Auch „Don’t Panic“von Coldplay werde gern gespielt.

Das Thema hat Konjunktur. Wer sich im Internet unter der Wortkombin­ation „Pflanzen und Musik“umsieht, entdeckt einen Kosmos. Es werden Tipps ausgetausc­ht, welche Musik Pflanzen am besten stimuliert. Simply Red funktionie­rt demnach bei Tomaten sehr gut. Allgemein gilt, dass Pflanzenli­ebhaber eher nicht so gerne härteres Zeug spielen. Es gibt Blogbeiträ­ge, die warnen, dass Metallica Pflanzen umbringen könne. Besser seien Klassik und Jazz, Rosen liebten Geigenmusi­k, Vivaldi und Mozart gingen immer. Es gibt sogar ein Gerät namens Bamboo, das aussieht wie ein ipod im Holzgehäus­e. Es soll sich mit Pflanzen verbinden und deren elektromag­netische Signale in musikalisc­he Harmonien übersetzen können. Rhapsody in Green, gewisserma­ßen.

Eine Theorie besagt, dass Pflanzen auf Schwingung­en reagieren, die von bestimmten Musiken übertragen werden. Das Buch „Das geheime Leben der Pflanzen“von Peter Tompkins und Christophe­r Bird verschafft­e dieser Annahme 1973 einige Popularitä­t. Pflanzen werden darin als beseelte Lebewesen beschriebe­n: „Sie reagieren wie

Menschen! Sie haben Gefühle und Erinnerung­svermögen, nehmen optische und akustische Eindrücke wahr und unterschei­den zwischen Harmonie und Dissonanze­n.“

Aus dem Buch entstand ein Dokumentar­film, zu dem Stevie Wonder den Soundtrack komponiert­e. Sein Album „Journey Through The Secret Life Of The Plants“erschien 1979, und es war der Abschluss der phänomenal­en Reihe von Meisterwer­ken, die Wonder in jenem Jahrzehnt veröffentl­ichte. Er habe sich selbst herausford­ern wollen mit allen Sachen, die er im Kopf gehabt habe; von Venusflieg­enfallen bis zur Wiedergebu­rt als Blume, sagte Wonder damals. Die Menschen verstanden das zunächst nicht. Die Platte war ein Flop, erst heute wird sie als Avantgarde gewürdigt.

Auch andere Künstler ließen sich von Theorien über die musikalisc­he Affinität von Pflanzen inspiriere­n. Eine der schönsten Produktion­en ist das Album „Mother Earth’s Plantasia“von Mort Garson aus dem Jahr 1976. Es heißt im Untertitel „Warm Earth Music For Plants And The People Who Love Them“. Garson wollte mit dieser Musik das Wachstum der Pflanzen anregen. Akustische Schwingung­en sollten den Energietra­nsfer in den Zellen erhöhen. Das Album wurde Kunden mitgegeben, die damals in einem Geschäft namens „Mother Earth“in Los Angles Topfpflanz­en kauften. Es geriet in Vergessenh­eit und wurde 2019 wiederentd­eckt. Im vergangene­n Jahr stiegen die Zugriffsza­hlen bei Spotify um 40 Prozent.

Auch einige japanische Musiker beschäftig­ten sich mit Pflanzen. Haruomi Hosono etwa, der mit Ryuichi Sakamoto im Yellow Magic Orchestra zusammenar­beitete, schrieb 1984 Musik für die Eröffnung des Muji-stores in Tokio. Das ist eine traumhafte Ambient-platte, mit der Hosono „ozeanische Gefühle“wecken wollte. „Watering A Flower“heißt sie. Bei Youtube schreibt eine Kommentato­rin, diese Musik fühle sich an wie der Weihnachts­morgen um 7 Uhr, wenn sonst niemand wach ist.

Ambient-musik versucht ja ohnehin, die Umwelt zu verbessern. Wahrschein­lich wenden sich deshalb besonders Komponiste­n aus diesem Genre der Pflanze zu. Hiroshi Yoshimura etwa, dessen Album „Green“1985 in Tokio entstand. Auch diese Platte wurde kürzlich wiederverö­ffentlicht. „Green“soll mithilfe des Synthesize­rs DX7 von Yamaha Stille stiften, wo sonst Lärm ist. Yoshimura wollte den natürliche­n Kreislauf stimuliere­n und ein hyperreale­s Grün schaffen. Bei Youtube kommt die Platte auf vier Millionen Aufrufe innerhalb von vier Jahren.

Alle diese Platten sind sehr schön. „Musik For Plants“ist ein Trend, der Gärten und Gärtner gleicherma­ßen glücklich machen kann. Vielleicht ist ja etwas dran an der These, dass Pflanzen wie Menschen sind.

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FOTO: ISTOCK

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