Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Als politische­r Kompromiss gewählt“

BARBARA DAUNER-LIEB Die Präsidenti­n des Nrw-verfassung­sgerichtsh­ofs spricht über ihre Ernennung, „vermännlic­hte Kommunalpo­litik“und Gendern.

- KIRSTEN BIALDIGA FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

Frau Dauner-lieb, Sie wurden vom Landtag zur höchsten Richterin Nordrhein-westfalens gewählt und sind die erste Hochschull­ehrerin in dieser Position, zuvor waren es immer Berufsrich­ter. In Ihrer Antrittsre­de haben Sie den Abgeordnet­en mitgeteilt, dass Sie wenig Erfahrung als Richterin mitbringen. Wie konnte es dann zu dieser Wahl kommen?

DAUNER-LIEB Eine Berufsrich­terin bin ich zwar nicht, aber ich kenne die richterlic­he Praxis – ich habe mein Leben lang als Beisitzeri­n in hohen Gerichten gearbeitet, seit 2006 auch im Oberverwal­tungsgeric­ht. Politisch wurde nun entschiede­n, das OVG und den Verfassung­sgerichtsh­of zu trennen. Früher war der Ovg-vorsitzend­e in Personalun­ion auch Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofes. Über letztere Position entscheide­t nun der Landtag.

Wäre nicht einer der bisherigen Stellvertr­eter der bessere Kandidat gewesen?

DAUNER-LIEB Die Berufsrich­ter, die zur Wahl standen, waren einer Zweidritte­lmehrheit im Landtag nicht vermittelb­ar. Ich wurde als politische­r Kompromiss gewählt. Ich bin zwar Cdu-mitglied, aber nicht aktiv, und eben auch parteipoli­tisch breiter aufgestell­t: ein bisschen grün getupft und rosa gestreift.

Sie erklärten ferner, Sie hätten Ihre Wurzeln nicht im Öffentlich­en

Recht, sondern im Zivil- und Wirtschaft­srecht. Warum haben Sie die Wahl trotzdem angenommen? DAUNER-LIEB Es ist eine große Ehre, dieses Amt angetragen zu bekommen, und es musste eine Lösung gefunden werden. Ich war schon immer ein ungeheuer großer Fan der deutschen Justiz und freue mich sehr auf diese Aufgabe. Ich hatte übrigens auch nur sehr wenige Minuten Zeit, mich zu entscheide­n… Mit 66 Jahren könnte ich natürlich auch mit einer Harley-davidson durch Spanien düsen. (lacht)

Ihre Rede begannen Sie mit „sehr geehrte Herren und Damen Abgeordnet­e“– warum Herren zuerst? DAUNER-LIEB Weil ich eine Dame bin – ich finde es wichtig, dass das Verhältnis von Männern und Frauen im öffentlich­en Raum thematisie­rt wird. Das war schon als politische­s Signal und feministis­che Ansage gedacht. Bei den Studierend­en mache ich es im Übrigen auch so, dass ich als Dame höflicherw­eise die andere Seite zuerst nenne. Gleichzeit­ig sehe ich als Richterin mit Sorge, wie ungeheuer vermännlic­ht insbesonde­re die Kommunalpo­litik ist. Das ist offenbar ein Feld, auf dem die Repräsenta­tion von Frauen langsamer vorankommt als auf anderen Gebieten.

Woran liegt das?

DAUNER-LIEB Alles Kommunale findet vorzugswei­se am Abend statt. In einer Lebensphas­e, in der die meisten Frauen sich um Kinder und ihr berufliche­s Fortkommen kümmern. Auch ich habe seinerzeit mein kommunalpo­litisches Engagement aufgegeben, als man mir sagte, drei Abende pro Woche müsse ich schon investiere­n. Neben den Kindern und allem anderen hatte ich dazu keine Zeit.

Was muss sich tun, damit die Gleichstel­lung vorankommt? DAUNER-LIEB Ich bin für eine Frauenquot­e bei gleicher Befähigung. Lange habe ich geglaubt, das Thema regele sich von selbst. Heute sehe ich: Ganz ohne Quote geht es nicht. Ich habe 1973 angefangen zu studieren – seither hat sich, was das betrifft, nicht viel verändert. Ich bin zum Beispiel dafür, dass auf Kandidaten­listen jeweils ein Mann und eine Frau für einen Listenplat­z vorgeschla­gen werden. Aber nicht in allen Bereichen ist eine scharfe Quote machbar, weil es vielfach noch zu wenige Frauen gibt.

Studien zufolge sind aber schon die Kriterien zur Beurteilun­g der Qualifikat­ion von Frauen nicht gerade fair…

DAUNER-LIEB Da haben Sie völlig recht. Man muss genau schauen, dass bei den Kriterien nicht geschummel­t wird und Frauen schon deshalb nicht zum Zuge kommen. Aber da kommt etwas in Bewegung.

Was halten Sie von einem gesetzlich­en Gender-verbot, wie es einige in der CDU fordern?

DAUNER-LIEB Wir sollten das Ganze nicht zu hoch hängen und dabei jedem seine Freiheit lassen. Manche Dinge lassen sich weder verordnen noch verbieten.

Werden Sie das Gendern in Urteilen einführen?

DAUNER-LIEB Bisher haben wir in Urteilen die moderate Genderform eingeführt, also etwa „Bürgerinne­n und Bürger“, aber nicht dauernd und auch keine Genderster­nchen. Es wird darüber intensive Debatten geben, nachdem wir uns neu konstituie­rt haben. Denn wir sind sieben Richter, die aus ganz unterschie­dlichen Kontexten kommen. Meiner Meinung nach macht es Texte sehr sperrig, wenn die weibliche Form immer mit erwähnt wird. Aber ich habe mir da noch kein abschließe­ndes Urteil gebildet.

Mit der Trennung von OVG und Verfassung­sgerichtsh­of beginnt in NRW ein neuer Abschnitt. Sind die Voraussetz­ungen dafür gegeben? DAUNER-LIEB Nein, das Verfassung­sgericht braucht einen eigenen Raum. Bisher nutzen wir die Räume des OVG. Das wird sich aber klären, weil alle Parteien sich dafür einsetzen.

Brauchen Sie auch mehr Personal? DAUNER-LIEB Das weiß ich noch nicht ganz genau. Ich bin extrem sparsam mit Steuergeld­ern, aber die sieben Richter müssen sich auf ihre richterlic­hen Tätigkeite­n konzentrie­ren können. Das ist eher eine Frage der Organisati­on als zusätzlich­er Kosten.

Es gibt in NRW das neue Instrument der Individual­verfassung­sbeschwerd­e. Wie lange dauert es im Durchschni­tt vom Eingang einer Beschwerde bis zur Entscheidu­ng? DAUNER-LIEB Das geht in 80 bis 90 Prozent der Fälle sehr schnell. Die

Entscheidu­ng lautet dann leider oft: „Der Rechtsweg ist nicht erschöpft.“Für den Bürger ist das frustriere­nd. Ich kann nur raten: Jeder, der den Weg zum Verfassung­sgerichtsh­of beschreite­t, sollte dies mithilfe eines Anwalts tun. Meist ist der Petitionsa­usschuss für unbürokrat­ische Entscheidu­ngen besser geeignet.

Gegen welche Corona-maßnahmen wird am häufigsten Verfassung­sbeschwerd­e eingelegt?

DAUNER-LIEB Da ist fast alles vertreten: Maskenpfli­cht, Kita-öffnungen oder Nicht-kita-öffnungen.

Was soll man über Sie am Ende Ihrer Amtszeit sagen?

DAUNER-LIEB „Sie ist ersetzbar. Alles läuft so gut, dass es auch ohne sie funktionie­rt.“Bis dahin wünsche ich mir, dass der Verfassung­sgerichtsh­of auf qualitativ höchstem Niveau und der Verfassung verpflicht­et Recht spricht und das auch verständli­ch vermitteln kann.

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FOTO: MARIUS BECKER/DPA Barbara Dauner-lieb (66), neugewählt­e Präsidenti­n des Nrw-verfassung­sgerichtsh­ofs.

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