Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Sachsen-anhalt hat einen schweren Stand
Wirtschaftlich bieten sich für Ostdeutschland insgesamt große Chancen – aber das kleine Land, in dem Sonntag gewählt wird, hängt in vielem hinterher.
BERLIN Ostdeutschland hat aus Sicht von Bund und Ländern 31 Jahre nach der deutschen Einheit gute Chancen auf einen Neustart beim Aufbau Ost. Auf wirtschaftlichen Zukunftsfeldern wie der Batteriezellfertigung, Elektromobilität, der Wasserstoff-industrie, den erneuerbaren Energien und neuen It-basierten Dienstleistungen könnten die Ost-länder künftig wieder häufiger die Nase vorn haben, erklärten der Ost-beauftragte der Bundesregierung, Marco Wanderwitz (CDU), und der sächsische Vizeministerpräsident Martin Dulig (SPD) beim „ostdeutschen Wachstumstag“in Dresden. Von einer Deindustrialisierung des Ostens könne nicht die Rede sein, sagte Wanderwitz und nannte die E-auto-fabrik von Tesla in Brandenburg sowie neue Batteriezell-produktionen in drei Ost-ländern als Beispiele.
Die positive Einschätzung gehört freilich zur Job-beschreibung des Ostbeauftragten, noch dazu kommt sie nur wenige Tage vor der Landtagswahl in Sachsen-anhalt am Sonntag. Tatsächlich war der wirtschaftliche Aufholprozess Mitte der 2000er-jahre bereits zum Erliegen gekommen. Doch aus dem technologischen Wandel ergeben sich für den Osten auch neue Chancen. Sachsen sei bei der E-mobilität bereits Standort Nummer eins in Deutschland, sagte Dulig. Vergangene Woche hatte die Bundesregierung zudem eine groß angelegte Investitionsoffensive beim Wasserstoff angekündigt, von der vor allem Ostdeutschland profitieren könnte. Auch der Kohleausstieg, der den Ost-ländern in den kommenden Jahren zusätzliche Milliarden-transfers beschert, bietet die Chance eines Neuanfangs – wenn die Menschen dabei mitmachen und private Investoren genügend gut ausgebildetes Personal finden.
Der Fachkräftemangel ist heute schon die Achillesferse der wirtschaftlichen Entwicklung. Die Abwanderung Jüngerer über viele Jahre und die entsprechend schlechte Altersstruktur, ausländerfeindliche Einstellungen und eine vergleichsweise hohe Schulabbrecherquote etwa in Sachsen-anhalt drohen Neuansiedlungen von Hochtechnologien zu verhindern. „Mehr Toleranz und mehr Talente für Sachsen-anhalt würden die wirtschaftlichen Perspektiven des Landes verbessern“, hatte Oliver Holtemöller vom Leibniz-institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) bereits vor Jahren gemahnt. Dazu braucht es aus Sicht der Experten auch eine bessere Bezahlung: Die Einkommen der Ostdeutschen hatten sich zwar an das West-niveau angeglichen, doch müssen Ost-beschäftigte in vielen Branchen oft noch immer etwas mehr Wochenstunden leisten, um das gleiche Einkommen zu erzielen wie ihre Kollegen im Westen.
Unter den Ost-ländern habe das Wahl-land Sachsen-anhalt einen vergleichsweise schweren Stand, sagte Joachim Ragnitz vom Ifo-institut für Wirtschaftsforschung in Dresden. Das Bindestrichland sei von der Transformation nach dem Ende der DDR besonders betroffen gewesen, die Chemieindustrie in
Halle/bitterfeld, der Kupferbergbau im Westen, der Schwermaschinenbau in Magdeburg – alles sei verschwunden. Dadurch gebe es heute viele strukturschwache, ländliche Gebiete mit kaum wirtschaftlicher Zukunftsperspektive. Das Land ziehe auch kaum Touristen an. Gut entwickelt hätten sich jedoch die Ballungszentren Halle und Magdeburg. Die Arbeitslosenquote sei mit 7,7 Prozent jedoch noch immer vergleichsweise hoch, zudem seien besonders viele Menschen aus Sachsen-anhalt abgewandert. „Das drückt auf die Stimmung und führt zu hoher Unzufriedenheit“, sagte Ragnitz.