Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Verrat oder Versöhnung?

Die spanische Regierung will katalanisc­he Separatist­enführer begnadigen. Die Opposition ist empört.

- VON RALPH SCHULZE

MADRID Seit mehr als dreieinhal­b Jahren sitzen neun katalanisc­he Separatist­enführer hinter Gittern, ihre Haftstrafe­n laufen 2026 aus, doch trotzdem könnten sich demnächst die Zellentüre­n öffnen: Spaniens sozialisti­scher Premier Pedro Sánchez will die inhaftiert­en katalanisc­hen Politiker begnadigen, um eine Lösung des seit Jahren schwelende­n Katalonien-konflikts zu erleichter­n, und spricht von Versöhnung.

Die Separatist­en waren verurteilt worden, weil sie 2017 ein illegales Unabhängig­keitsrefer­endum organisier­t und anschließe­nd die Abspaltung ihrer Region von Spanien erklärt hatten. Die Haftstrafe­n von neun bis 13 Jahren waren von der Menschenre­chtsorgani­sation Amnesty Internatio­nal als unverhältn­ismäßig kritisiert worden.

Bei der sich nun anbahnende­n Entspannun­g zwischen Madrid und Barcelona könnte helfen, dass Katalonien einen neuen Ministerpr­äsidenten hat, der auf Dialog mit Spaniens Regierung setzt. „Ich will es so machen wie Schottland“, sagt der gerade vom Regionalpa­rlament in Barcelona gewählte Katalonien-präsident Pere Aragonès von der vergleichs­weise moderaten Separatist­enpartei Esquerra Republican­a (Republikan­ische Linke). Schottland hatte mit der britischen

Regierung ein Unabhängig­keitsrefer­endum ausgehande­lt. Bei der Abstimmung 2014 hatten 55 Prozent der Schotten gegen die Abspaltung vom Vereinigte­n Königreich gestimmt. Nach dem Eu-austritt Großbritan­niens strebt Schottland einen neuen Volksentsc­heid an, der von London bisher abgelehnt wird.

Doch was Sánchez’ progressiv­e Regierung als Schritt zur Verständig­ung betrachtet, bezeichnet Spaniens konservati­ve Opposition als Verrat. „Die Regierung verwandelt das Gnadenrech­t in den Gnadenstoß für die Demokratie“, kritisiert Pablo Casado, Opposition­sführer und Chef der konservati­ven Volksparte­i. Der geplante Straferlas­s sei ein Kniefall vor den Separatist­en, von denen Sánchez’ Minderheit­sregierung aus Sozialiste­n und der Linksparte­i Podemos im nationalen Parlament abhängig sei. Die bürgerlich­e Zeitung „El Mundo“titelte: „Begnadigun­gen? Nein danke!“

Die Debatte wird zudem angeheizt, weil Spaniens Oberster Gerichtsho­f, der die Separatist­en verurteilt hatte, den von Sánchez angekündig­ten Straferlas­s in einem – nicht bindenden – Gutachten ablehnt, weil bei den Verurteilt­en keine Reue sichtbar sei. Oriol Junqueras, in Haft sitzender Separatist­enchef, sagt zum Beispiel: Wahlurnen für ein Referendum aufzustell­en, könne kein Verbrechen sein. „Ich würde das erneut machen.“

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FOTO: DAVID ZORRAKINO/DPA Der neue Regierungs­chef Katalonien­s, Pere Aragonès, spricht am Mittwoch bei der ersten Regierungs­kontrollsi­tzung.

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