Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
So viel Rheinland steckt in Trade Republic
Durch ein Investment von 740 Millionen Euro ist die Börsen-app zum wertvollsten Start-up aufgestiegen. Eine sagenhafte Gründer-story.
DÜSSELDORF Die Nachricht des Tages landet Mitte Mai um kurz vor 12 Uhr im E-mail-postfach: Das Berliner Start-up Trade Republic bekommt 740Millionen Euro von Investoren und wird mit umgerechnet 4,1 Milliarden Euro bewertet. Aus der erst 2015 gegründeten Börsen-app wird somit auf einen Schlag das wertvollste Start-up Deutschlands.
Die Nachricht klingt nach einer dieser Start-up-geschichten, die es in dieser Form hierzulande fast nur in Berlin oder München gibt – und im Grunde ist sie das auch. Doch wenn man in das Impressum auf der Internetseite von Trade Republic blickt, steht dort: „Ernst-schneider-platz 1, 40212 Düsseldorf“.
Die Adresse ist in Wirtschaftskreisen keine unbekannte: Hier haben traditionsreiche Organisationen wie die Industrie- und Handelskammer oder die Düsseldorfer Börse ihren Sitz – und eben die Trade Republic Bank Gmbh. Die drei Gründer
Christian Hecker, Thomas Pischke und Marco Cancellieri haben zwar nie in Düsseldorf gelebt. Und auch das Team von rund 400 Mitarbeitern arbeitet in Berlin. Doch diese Adresse erinnert an die Anfänge des Startups, dessen rasanter Aufstieg ohne Unterstützung aus dem Rheinland wohl anders verlaufen wäre.
Denn als die drei Gründer auf der Suche nach einem Investor waren, bekamen sie den Tipp, sich mal mit Ingo Hillen von der Düsseldorfer Sino AG zu unterhalten. Deren Adresse: Ernst-schneider-platz 1.
Das Unternehmen hat sich auf sogenannte Heavy-trader spezialisiert, die an der Börse täglich große Mengen Kapital und Aktien bewegen. Anfang 2017 erzählen die Gründer dem Sino-vorstandschef von ihrer Idee, eine Börsen-app zu programmieren, bei der man Wertpapiere nahezu provisionsfrei handeln können sollte. Und Ingo Hillen ist sofort begeistert.
Rund drei Millionen Euro hat allein die Sino AG im Laufe der Zeit in Trade Republic investiert und dabei zwischenzeitlich die Mehrheit an dem Start-up übernommen. Der Einstieg war die wohl beste Entscheidung der Firmengeschichte. Denn das Gründerteam um Christian Hecker baute eine App, die technisch so gut war, dass auch schnell namhafte Risikokapitalgeber einstiegen und die Firmenbewertung in immer neuere Höhen trieben.
Durch Anteilsverkäufe hat die Sino AG Millionen verdient, aktuell ist man noch mit einem niedrigen einstelligen Prozentsatz an Trade Republic beteiligt. Je höher die Bewertung, desto wertvoller der Anteil der Sino AG. Kein Wunder, dass die Aktie der Düsseldorfer zuletzt begehrt war. Allein am Tag, als das Riesen-investment für Trade Republic bekannt wird, stieg der Kurs sprunghaft um mehr als 30 Prozent. Im vergangenen Jahr hat die Aktie sogar um mehr als 700 Prozent auf zuletzt rund 92 Euro zugelegt.
War es angesichts dieser Entwicklung wirklich sinnvoll, so früh so viele
Anteile zu verkaufen? „Im Nachhinein betrachtet ist es leicht zu sagen, wir hätten vielleicht ein bisschen früh angefangen zu verkaufen“, sagt Ingo Hillen: „Fakt ist: Wir haben aus drei Millionen Euro mehr als 250 Millionen gemacht – in vier Jahren. Ich vergleiche das mit einem Dfb-pokalfinale, das man 5:2 gewinnt. Da kann man sich über zwei Gegentore ärgern oder sich über den Erfolg freuen und Champagner aufmachen.“
Ingo Hillen jedenfalls freute sich über den Erfolg – zumal er für das Start-up anfangs mehr als nur ein reiner Geldgeber war. Denn während sich die Gründer in Berlin um den Aufbau und die Strategie von Trade Republic kümmerten, übernahmen Hillen und später dann sein Vorstandskollege Karsten Müller den Posten des Geschäftsführers bei der Trade Republic Bank, um die strengen Kriterien der Finanzaufsicht Bafin zu erfüllen, die junge Start-up-gründer an der Spitze nicht akzeptiert hätte. So wanderte der Firmensitz nach Düsseldorf.
Gleichzeitig vermittelte man den Kontakt zu einem Bekannten aus der Landeshauptstadt: Paul Hagen, dem damaligen Finanzchef der Privatbank HSBC Deutschland. Der war zunächst zwar skeptisch, was den Wertpapier-handel per App betraf. Aber: „Man kennt sich, man schätzt sich – und wenn mal einer eine ,verrückte’ Idee hat, hört man sich auch zu“, sagt Hagen. Die Gründer überzeugten ihn, rückblickend ein Glücksfall für beide Seiten. „Mit einer Million Endkunden ist Trade Republic für uns inzwischen ein sehr interessanter Kunde.“Dass sich die Transaktionen von HSBC in Deutschland 2020 im Vergleich zum Vorjahr auf etwa 232Millionen fast vervierfacht haben, liegt auch am Neobroker.
Dort denkt man bereits weiter. Mit dem Kapital will man ins Ausland expandieren. „Man muss groß denken“, sagt Christian Hecker. Eine Finanzierungsrunde sei der Beginn des nächsten Kapitels. Dies wird bald auch im Impressum sichtbar. Der Firmensitz soll bald Berlin heißen.