Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Rückkehr der Antihelden

Krimi-ermittler wandeln sich. Heute kommt ihr Typ dem Rheinlände­r entgegen.

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Ü ber sich selbst verrieten die Fernsehkom­missare früherer Zeiten wenig. Da war bereits die Derrick zugeschrie­bene Aufforderu­ng „Harry, hol schon mal den Wagen“eine Offenbarun­g: Man duzt sich, aber die Hierarchie bleibt unangetast­et. Das ist heute anders, beinahe rheinisch offen. Wer derzeit an den vielen freien Abenden durch die Mediathek fahndet, entdeckt Charaktere und Geschichte­n, die den Fall fast zur Nebensächl­ichkeit erheben, dafür aber tiefe Einblicke geben – in das Gefühls- und Liebeslebe­n von Laim („Laim ermittelt“), Alexander Haller („Blind ermittelt“) oder Hannah Feiler („Die Toten vom Bodensee“). Diese Ermittler sind ganz anders als die biederen Beamten „Der Alte“und „Der Kommissar“, haben eher Ähnlichkei­t mit Sherlock und erinnern an Schimanski. Das Ruhrgebiet­sraubein, verkörpert von Götz George, schlug, trank und liebte sich durch Duisburg und jede Folge.

Solche Antihelden kehren zurück. Das ist rheinische Lebensart. Mag die Aufgabe noch so wichtig sein (im „Tatort“: Mord aufklären!) – Aufmerksam­keit verdient noch vieles andere. Die Kernfrage am Morgen: Was machen wir nach der Arbeit? Oder, im Krimi jetzt häufig: Wie style ich mich richtig? Vergangen die Zeiten, in denen Schimanski­s Schmuddelj­acke reichte, um als Typ wahrgenomm­en zu werden. Die neue Art, Geschichte­n in Szene zu setzen, besteht darin, mehr zu zeigen als für ein Protokoll nötig.

Das geschieht gefühlig im Krimi mit Köln-bezug (selbst ohne Currywurst­bude). Das hat in Düsseldorf eher modernisti­sche Züge (schon wegen des Medienhafe­ns). Im Rheinische­n entsteht Hochspannu­ng, wenn thematisie­rt wird, was als ungehörig gilt. Beispiel: Sitzen einige ältere Herrschaft­en zusammen und beklagen, dass ein Bekannter verstorben ist. Frage: „Was hat er denn gehabt?“Wer jetzt glaubt, die Krankheit sei das Thema, irrt gewaltig. Gefragt wird nach der Hinterlass­enschaft – in Euro, Cent und Quadratmet­ern.

So sind die neuen Tv-formate nur eine Fortsetzun­g dessen, was hierzuland­e als Gesprächsk­rimi geboten wird: Schmerz, Herz, Abgrund!

Unser Autor ist stellvertr­etender Chefredakt­eur. Er wechselt sich hier mit Politikred­akteurin Dorothee Krings ab.

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