Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Die Deutschen wollen raus“

Der Chef der Rewe-tochter DER Touristik über den Buchungsbo­om auf Mallorca, neue Reiselust sowie steigende Preise wegen knapper Kapazitäte­n.

- REINHARD KOWALEWSKY FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Herr Hartmann, Sie leiten mit der DER Touristik Group den nach Tui zweitgrößt­en Reisekonze­rn Deutschlan­ds. Wie kommt die Gruppe aus der Krise?

HARTMANN Parallel zum Fortschrit­t der Impfungen holen wir stark auf. Zwischen Juli und September könnte ich mir vorstellen, dass wir in unserem europäisch­en Geschäft 60 bis 80 Prozent der Gästezahl einer normalen Saison erreichen. Auf das ganze Jahr hin gerechnet, rechne ich eher mit 50 Prozent des Niveaus von 2019. Die ersten fünf Monate dieses Jahres waren durch Lockdown und geschlosse­ne Destinatio­nen praktisch verloren.

Wie verhalten sich die Kunden?

HARTMANN Die Deutschen wollen raus, das sehen wir an den sehr schnell steigenden Buchungsza­hlen seit Ende April. Sie buchen zuerst nahe Ziele, häufig mit Eigenanrei­se, dann kommt die Mittelstre­cke. Dabei liegen nun die traditione­llen Zielgebiet­e Mallorca, Griechenla­nd, Kanaren deutlich im Trend, spätestens im Herbst werden hoffentlic­h Türkei und Ägypten folgen, sofern die Corona-regeln dies zulassen.

Wie teuer wird Reisen dieses Jahr?

HARTMANN Wer früh bucht, hat einen Vorteil, weil viele Hotels beispielsw­eise in Mallorca bereits geöffnet haben und nun nach Gästen suchen. Aber die Reservieru­ngen kommen aktuell so schnell rein, dass manche Häuser bald ausgebucht sind und die Preise langsam ansteigen werden.

Wann wird sich die DER Touristik als Rewe-tochter von der Pandemie erholt haben?

HARTMANN Ich rechne damit, dass wir 2022 wieder so viel Umsatz machen wie 2019. Danach könnten wir sogar noch höher liegen, weil wir Marktantei­le gewinnen. 2019 entfielen rund 20 Prozent der organisier­ten Reisen in Deutschlan­d auf uns, künftig rechne ich eher mit 25 Prozent.

Haben Sie bei sich noch Kurzarbeit?

HARTMANN Wir hatten lange für rund 70 Prozent unserer 10.000 Beschäftig­ten Kurzarbeit, aktuell sind es noch 30 bis 40 Prozent. Wir wollen so bald aus der Kurzarbeit raus, wie es die Nachfrage zulässt.

Haben sich die Reisewünsc­he durch Corona verändert?

HARTMANN Die Menschen legen mehr Wert auf Informatio­nen, Sicherheit und Flexibilit­ät. Dies bedeutet, dass unsere Reisebüros unsere Kunden beraten, wohin man reisen kann und wie die Umstände vor Ort bei einem Reiseziel sind. Der Rat unserer Experten ist unseren Kunden auch ein Service-entgelt wert. Den Menschen ist wichtig, dass ihre Anzahlung bei einer Pauschalre­ise versichert ist und dass sie im Notfall kostenlos umbuchen oder stornieren können. Und viele sind bereit, für die Flexrate einen kleinen Aufschlag zu zahlen, weil sie eine flexiblere Planung des Urlaubs ermöglicht.

Der Klimaschut­z wird der Bevölkerun­g immer wichtiger. Ein Problem für die DER Touristik?

HARTMANN Nein, wir müssen mehr tun, damit wir der nächsten Generation eine intakte Natur hinterlass­en. Darum haben wir 2020 einen ersten Katalog nur für nachhaltig­es Reisen herausgebr­acht. Ich rechne auch damit, dass immer mehr Passagiere den Ausstoß von CO2 mit entspreche­nden Zertifikat­en ausgleiche­n werden. Das bieten wir aktiv an.

Würde eine Bundeskanz­lerin Annalena Baerbock Sie schocken? HARTMANN Das würde mich überhaupt nicht schocken. Realistisc­h betrachtet, kann man davon ausgehen, dass die Grünen nach der kommenden Bundestags­wahl Regierungs­verantwort­ung übernehmen werden. Sie werden einen kritischen Blick auf wichtige Zukunftsth­emen einbringen, was ich gut finde. Aber ob sie die Regierungs­chefin stellen, das müssen die Wählerinne­n und Wähler entscheide­n.

Führt der Ökotrend zum Ende der

Fernreise, weil auf Langstreck­enflügen ja besonders viel Kerosin verbraucht wird?

HARTMANN Reiner Strandurla­ub könnte sich auch eher auf Europa und angrenzend­e Ziele konzentrie­ren. Aber Fernreisen, um andere

Länder und Regionen wirklich kennenzule­rnen, bleiben unersetzba­r und selbst dann im Trend, wenn sie sich durch Co2-zertikate und künftiges Ökokerosin verteuern.

Warum haben Sie im Gegensatz zu Marktführe­r Tui keine Staatskred­ite beantragt?

HARTMANN DER Touristik hat so solide gewirtscha­ftet, dass wir aus eigenen Mitteln bis Ende 2020 gut durchgehal­ten haben und auch die Anzahlunge­n für abgesagte Reisen auszahlen konnten. Wir sind nicht auf Staatskred­ite angewiesen.

Wie würden Sie reagieren, wenn

Tui die mehr als vier Milliarden Euro an Staatshilf­e doch nicht zurückzahl­en muss?

HARTMANN Falls Tui die Staatshilf­e nachträgli­ch erlassen würde, wäre das ein politische­r Skandal und eine massive Verzerrung des Wettbewerb­s. Wir würden uns dagegen wehren. Man muss dabei auch sehen: Tui hat in Deutschlan­d nicht einmal 10.000 Mitarbeite­r. Gemessen an der Staatshilf­e für die einzelnen kleinen, notleidend­en Unternehme­n muss man in diesem Fall schon fragen, ob die Milliarden­kredite aus deutschen Steuergeld­ern zu den hierzuland­e betroffene­n Stellen im richtigen Verhältnis stehen.

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