Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Glaube hat Narben bekommen
ANALYSE Im Erzbistum Köln wird in Leitungsgremien inzwischen offen die Frage gestellt, ob es mit Kardinal Rainer Maria Woelki noch weitergehen kann. Es ist die Debatte einer durch den Missbrauchsskandal gelähmten Kirche.
So geräuschlos die päpstlichen Kontrolleure nach Köln kamen, so unspektakulär war vor wenigen Tagen ihre Abreise. Anders Arborelius und Johannes van den Hende beendeten ihre Kölner Dienstreise. Nach vielen Gesprächen sollen sie Licht ins Dunkel der pastoralen Situation des Erzbistums bringen: Wie tief ist dort die Vertrauenskrise? Wie lässt sie sich lösen? Und ist das mit dem amtierenden Erzbischof, Kardinal Rainer Maria Woelki, machbar? Diese Fragen werden im Bericht der Apostolischen Visitatoren nicht beantwortet. Aber sie werden eine Grundlage für die Entscheidung in Rom sein.
Bis die fällt, wird in Köln schon mal nach Antworten gesucht. Mit zunehmender Bitterkeit, Empörung und auch Sprachlosigkeit. Ein vorläufiger Höhepunkt dürfte kürzlich die Sitzung des 75-köpfigen Diözesanpastoralrats gewesen sein, des höchsten Beratungsgremiums des Kardinals. Milderen Kommentaren zufolge ist man dabei am Eklat gerade noch vorbeigeschrammt. Andere Einschätzungen sind finsterer. Teilnehmer berichten von dem „würdelosen Bild eines Bischofs“, der mit wenigen Leuten in seiner Blase lebe. Man könne mit dem Erzbischof unmoderiert nicht mehr reden, heißt es. Und so würden alle mehr oder weniger um die Frage „herumeiern“, ob es mit diesem Kardinal überhaupt noch weitergeht.
Der Vertrauensverlust gegenüber Erzbischof Woelki ist nicht nur spürbar, sondern konkret ablesbar: am Brief der Kreis- und Stadtdechanten, die von der Bistumsleitung „persönliche Konsequenzen“fordern, am Protestmarsch des Dormagener Pfarrers Klaus Koltermann nach Köln samt Menschenkette ums Bischofshaus, an den Roten Karten, die Gemeindemitglieder dem Erzbischof bei einem Klärungsgespräch in Düsseldorf zeigten, sowie am Bruch mit dem Diözesanrat.
Das am Ende abgelehnte Rücktrittsangebot von Kardinal Reinhard Marx wird als eine Geste der Demut gesehen. Vor allem wurde es aus einer Position vorhandener Stärke gestellt. Sie war nicht nur eigenen Fehlern geschuldet, sondern galt auch den Unzulänglichkeiten des Systems Kirche. Kardinal Woelki dagegen reagiert auf Druck meist mit Rechtfertigungen. Auch er will eigenem Bekunden nach schon Ende 2020 sein Schicksal in die Hände des Papstes gelegt haben. Ob das gleichfalls ein Rücktrittsangebot war, bleibt bis heute offen. Zudem soll in Rom die Existenz eines solchen Schreibens aus Köln nicht bekannt sein. Zumindest fehlt ein halbes Jahr nach dieser Ankündigung die Antwort des Papstes.
Ziemlich oft ist dafür die Rede davon, dass die Kirche sich in der tiefsten Krise befinde, gar an einem „toten Punkt“, und die Säkularisierung dramatisch zunehme. Aber was heißt das? Vor allem: Was folgt daraus? Eine falsche Schlussfolgerung wäre, dass Kirche ihren Bedeutungsverlust allein durch radikale Aufklärung und bischöfliche Rücktritte stoppen könne. Der Skandal des sexuellen Missbrauchs ist keine zu überwindende Krise. Mit ihm hat der Glaube Narben bekommen. Mit ihm wird die Frage sehr ernsthaft gestellt, wie wahr und wahrhaftig Kirche christlichen Glauben noch vertreten kann. Glaube, so beschreibt es der Salzburger Dogmatiker Hans-joachim Sander in seinem neuen Buch „Anders glauben, nicht trotzdem“, sei kontaminiert durch die Schuld. „Wie kann ein Glaube heilsam sein, wenn er für derartiges Unheil so leicht zu gebrauchen ist?“, fragt er. Seine Antwort: mit einer anderen Kirche.
Doch noch immer geht es – trotz aller Bemühungen, sich vor allem den Betroffenen zuzuwenden – um den Schutz der Institution und ihrer Vertreter. In dubio pro Clerico, im Zweifel zugunsten des Priesters. Die Schuld der Kirche in ihrer jetzigen Gestalt und die Scham vieler Menschen, die ihr angehören, haben der Institution schleichend ihren Nimbus geraubt: den der Integrität und Relevanz. Über die noch geltende Unfehlbarkeit des Papstes wird schon lange nicht mehr diskutiert; es geht darum, im welchen Ausmaß Würdenträger fehlbar waren. Der Institution Kirche wird nicht nur die Fähigkeit der Selbstaufklärung abgesprochen, sondern auch die Deutungshoheit in Fragen der Moral, der Ökonomie, der Gesellschaft.
Die Erosion zeigt sich im Verlust von Respekt. Und wer die noch immer gelebte Hierarchie der Kirche betrachtet, wird darin mehr Relikte monarchischer Strukturen des 19. Jahrhunderts erkennen als es einem im 21. Jahrhundert lieb sein kann. Ja, die Kirche funktioniert halt nicht demokratisch, heißt es. Stimmt. Aber warum ist das so? Nach wie vor ist die Empörung groß bei Vorschlägen, Ortsbischöfe künftig vom Volk wählen zu lassen oder ihre Amtszeit zu begrenzen.
Während das Kirchenvolk in Scharen austritt und ein Verein die verlorenen Mitglieder dazu ermuntert, „eingesparte“Kirchensteuer doch diskriminierten Menschen zu spenden, betont Kardinal Woelki, dass er sich das Amt des Erzbischofs nicht ausgesucht und der Papst ihn berufen habe. Nur dieser könne ihn auch abberufen. Auch so wird eine Sackgasse beschrieben. Ausgerechnet kirchenrechtlich versuchen Mitglieder des Diözesanpastoralrats dieser jetzt zu entkommen – mit dem Verweis auf Artikel 401 Paragraf 2 des kanonischen Rechts, in dem es heißt: „Ein Diözesanbischof, der wegen seiner angegriffenen Gesundheit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund nicht mehr recht in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen, ist nachdrücklich gebeten, den Amtsverzicht anzubieten.“
„Wie kann ein Glaube heilsam sein, wenn er für Unheil so leicht zu gebrauchen ist?“Hans-joachim Sander Salzburger Dogmatiker