Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Umstritten­er Schritt zur Versöhnung

Spanien begnadigt die inhaftiert­en katalanisc­hen Separatist­enführer.

- VON RALPH SCHULZE

MADRID Die Zellentüre­n für neun katalanisc­he Separatist­enführer öffnen sich vorzeitig. Spaniens linke Regierung beschloss am Dienstag, die katalanisc­hen Politiker, die seit dreieinhal­b Jahren hinter Gitter saßen, zu begnadigen. Die Separatist­en waren wegen eines illegalen Unabhängig­keitsrefer­endums, das 2017 abgehalten worden war, zu Haftstrafe­n zwischen neun und 13 Jahren verurteilt worden.

„Die Regierung will einen Schritt zur Versöhnung machen“, sagte Spaniens sozialisti­scher Regierungs­chef Pedro Sánchez. Mit dem Straferlas­s wolle man eine eine Lösung des seit Jahren schwelende­n Katalonien­konflikts erleichter­n. Die bekanntest­e Figur unter den neun Separatist­en ist der 52-jährige Oriol Junqueras. Er ist der Chef der moderaten Unabhängig­keitsparte­i Esquerra Republican­a (ERC), die neuerdings in Katalonien den Ministerpr­äsidenten stellt.

Der frühere Katalonien-präsident Carles Puigdemont, der nach dem Unabhängig­keitsrefer­endum nach Belgien geflohen war, profitiert nicht vom Gnadenakt. Gegen ihn besteht weiter ein Haftbefehl in Spanien wegen der Organisati­on eines Aufruhrs und wegen Veruntreuu­ng von Steuergeld­ern. Puigdemont müsse sich zuerst der spanischen Justiz stellen, die dann über sein Schicksal entscheide­n werde, so eine Regierungs­sprecherin in Madrid.

Nach dem Beschluss der spanischen Regierung muss König Felipe den Gnadenerla­ss formal abzeichnen. Dann obliegt es dem Obersten Gerichtsho­f, der die Separatist­en verurteilt hatte, die Freilassun­g anzuordnen. Die Unabhängig­keitspolit­iker können somit voraussich­tlich noch diese Woche die Haftanstal­t Lledoners, 75 Kilometer nordwestli­ch von Barcelona, verlassen.

Premier Sánchez begründete die Begnadigun­g mit dem Nutzen für den gesellscha­ftlichen Frieden in Katalonien. „Mit diesem Akt holen wir neun Personen aus dem Gefängnis, aber wir gewinnen Millionen Menschen für das Zusammenle­ben.“Damit wolle die spanische Regierung eine klares Signal senden, dass sie an einer Verständig­ung und Aussöhnung mit dem katalanisc­hen Volk interessie­rt sei. Umfragen zufolge unterstütz­t eine große Mehrheit der 7,8 Millionen Katalanen die Freilassun­g der Separatist­en.

Außerhalb Katalonien­s ist die Entscheidu­ng derweil heftig umstritten. Die konservati­ve Opposition bezeichnet­e den Gnadenbesc­hluss als Skandal: „Sánchez verkauft die nationale Einheit an die Separatist­en“, sagte Opposition­sführer Pablo Casado. Er beschuldig­te die Regierung, sich mit dieser Entscheidu­ng lediglich ihre Mehrheit im Parlament sichern zu wollen. Sánchez‘ Minderheit­sregierung ist im Unterhaus von den Stimmen mehrerer Regionalpa­rteien aus Katalonien und dem Baskenland abhängig. Die Befürworte­r des Gnadenakte­s halten im Parlament 55 Prozent der Sitze. Sánchez betonte, mit der Entscheidu­ng werde nicht die Verurteilu­ng getilgt, sondern nur die Strafe verkürzt.

Auch Separatist­enchef Junqueras schlug in einem offenen Brief aus dem Gefängnis versöhnlic­he Töne an. Der Gnadenakt sei eine sinnvolle Geste, die den Konflikt entspannen und „das Leiden der katalanisc­hen Gesellscha­ft“lindern könne. Er trete weiterhin für ein unabhängig­es Katalonien ein, einzig realistisc­he Perspektiv­e für eine Unabhängig­keit sei künftig der „schottisch­e Weg“– also ein mit der spanischen Regierung ausgehande­ltes Referendum.

 ?? FOTO: THIAGO PRUDENCIO/IMAGO ?? Protestler mit katalanisc­hen Flaggen forderten in Barcelona Amnestie für die Separatist­en statt einzelner Begnadigun­gen.
FOTO: THIAGO PRUDENCIO/IMAGO Protestler mit katalanisc­hen Flaggen forderten in Barcelona Amnestie für die Separatist­en statt einzelner Begnadigun­gen.

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