Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Haben wir keine Insel?“
Zwei Bücher arbeiten Donald Trumps Corona-strategie auf. Auch die Idee, Infizierte nach Guantánamo zu bringen.
WASHINGTONFEBRUAR 2020, eine Krisensitzung im Situation Room, im abhörsicheren Lagezentrum des Weißen Hauses. Noch scheint die Pandemie die USA nicht mit voller Wucht erreicht zu haben, noch glauben manche in Washington, das Coronavirus ließe sich irgendwie auf Distanz halten.
Donald Trump möchte Landsleute, die sich in Asien, Europa oder auf Kreuzfahrtschiffen mit Covid-19 infiziert haben, in Quarantäne schicken – am liebsten ohne dass sie vorher das amerikanische Festland betreten. „Haben wir keine Insel, die uns gehört? Was ist mit Guantánamo?“, fragt er seine Berater.
Die hätten sich fassungslos angehört, was der damalige Us-präsident zu sagen hatte, schreiben zwei Buchautoren. Die nehmen das Krisenmanagement von Trump nun mit einigem Abstand noch einmal unter die Lupe. Als Trump, so berichten sie weiter, kurz nach seinem ersten Quarantäne-vorstoß erneut auf die Guantánamo-bucht auf Kuba zu sprechen kommt, versucht die Runde, ihm die Idee auszureden.
Man stelle sich die Reaktion der Öffentlichkeit vor, sollten infizierte amerikanische Touristen auf demselben Stützpunkt untergebracht werden, auf dem die Vereinigten Staaten Terrorverdächtige einsperren, gibt man zu bedenken. Seit 2002 dient die Flottenbasis im Südosten Kubas als Lager für Gefangene, die dort de facto in einer juristischen Grauzone schweben.
Letztlich hört Trump auf die Einwände und begräbt den Plan. Er will im Herbst eine Wahl gewinnen. Den Aufschrei, der einem Quarantäne-camp in der Bucht von Guantánamo sicher gefolgt wäre, kann er sich nicht leisten.
Yasmeen Abutaleb und Damian Paletta, Reporter der „Washington Post“, haben aufgeschrieben, was sich hinter den Kulissen der Macht abspielte, als es galt, Antworten auf Covid-19 zu finden. „Albtraum-szenario: Die Reaktion der Trump-regierung auf die Pandemie, die die Geschichte verändert hat“lautet die deutsche Übersetzung des Titels. Es ist einer von mehreren aktuellen Versuchen, das Kapitel aufzuarbeiten, Fehler zu benennen,
Entscheidungen aus der Sicht von Insidern zu schildern, mit denen die Journalisten etliche Gespräche führten. Detailgenau schildern die beiden, wie wenig Wert Trump anfangs etwa auf flächendeckende Corona-tests legte. Was er brauchte, waren „good news“, keine „schlechten“Statistiken.
„Dieses Testen tötet mich“, beschwert er sich am 18. März 2020 am Telefon bei seinem Gesundheitsminister Alex Azar, so laut, dass Umstehende es hören konnten. „Wegen des Testens werde ich noch die Wahl verlieren.“Welcher Idiot auf die Idee gekommen sei, die US-REgierung Tests organisieren zu lassen, will er wissen. „Hm, meinen Sie Jared?“, erwidert Azar. Fünf Tage zuvor hatte Trumps Schwiegersohn Jared Kushner, im Küchenkabinett eine zentrale Figur, versprochen, sich um eine nationale Teststrategie kümmern zu wollen.
Eine Art Zwischenbilanz liefert auch Andy Slavitt, ein Unternehmer, der bereits Barack Obama zu seiner Zeit als Präsident in gesundheitspolitischen Fragen beriet und den kürzlich Präsident Joe Biden anheuerte, um beim Impfen für mehr Tempo zu sorgen. Auch Slavitt hat Schlüsselakteure interviewt, unter anderem Kushner und Deborah
Birx. Birx dürfte als zutiefst tragische Figur in die Annalen der Pandemie eingehen.
Während Anthony Fauci, der Direktor des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, in den Medien oft nachträglich relativierte, was Trump gerade verkündet hatte, ging sie bis an die Grenze der Selbstverleugnung, um ihrem Chef öffentlich nicht zu widersprechen.
In besonderer Erinnerung bleibt eine Pressekonferenz im Weißen Haus. Trump spielt mit dem Gedanken, zur Corona-desinfektion Bleichmittel injizieren zu lassen. Die Medizinerin sitzt am Rand, schaut betreten zu Boden und traut sich nicht, den Unsinn für alle vernehmbar zu korrigieren.
Als Slavitt sie im August trifft, drei Monate vor der Präsidentschaftswahl, versucht er herauszufinden, ob sie bereit wäre, im Falle eines von Trump erschwerten oder gar blockierten Machtwechsels einen President-elect Biden im Kampf gegen die Pandemie zu unterstützen.
Birx, schreibt er, habe ihm vorsichtig zu verstehen gegeben, dass sie auf einen Sieg des Herausforderers hoffe. Man habe ihr angemerkt, was für ein Druck auf ihr lastete: „Sie wirkte geradezu ängstlich“, schreibt Slavitt.
Grundsätzliche Gesellschaftskritik, weit über Trump hinaus, übt der Geschäftsmann, wenn er die politische Spaltung des Landes beklagt. Diese Kluft habe auch den Umgang mit der Seuche politisiert, abzulesen allein an der Frage, ob das Tragen einer Maske sinnvolle Prävention sei oder eine inakzeptable Beraubung persönlicher Freiheiten. „In Zeiten wie diesen müssen wir uns zusammenraufen“, mahnt Slavitt. „Wenn wir das angesichts einer Pandemie nicht schaffen, wann dann?“
Es ist einer von mehreren aktuellen Versuchen, das Kapitel aufzuarbeiten