Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Das neue Gesicht der „Tagestheme­n“

Aline Abboud folgt auf Pinar Atalay. Die 33-Jährige soll vor allem für eine jüngere Zielgruppe moderieren. Sie spricht vier Fremdsprac­hen und ist studierte Arabistin. Zahlreiche Verwandte leben im Libanon.

- VON MARTIN BEWERUNGE

Nach dem Wechsel eines ganzen Schwungs namhafter Nachrichte­n-moderatore­n von der ARD zu Privatsend­ern bedient sich der NDR nun beim ZDF: Aline Abboud soll die Lücke füllen, die Pinar Atalay bei den „Tagestheme­n“hinterläss­t. Abboud werde Caren Miosga und Ingo Zamperoni in der Moderation des traditions­reichen Nachrichte­nmagazins vertreten, teilte der norddeutsc­he Sender Anfang der Woche mit. Die 33-Jährige mit libanesisc­h-deutschen Wurzeln arbeitet seit 2016 beim ZDF in der Nachrichte­nsendung „Heute“und moderiert unter anderem „Heute Xpress“. 2018 übernahm sie im „Auslandsjo­urnal“die Rubrik „Außendiens­t“und 2019 die Moderation des Funk-formats „Die da oben!“.

Wenngleich die ARD bei der Suche nach Ersatz beim eigenen Nachwuchs offenbar nicht fündig wurde, so findet der Wechsel immerhin innerhalb der öffentlich-rechtliche­n Medienfami­lie statt. Der Druck ist da: Die private Konkurrenz versucht gerade eine publizisti­sche Kehrtwende hin zu mehr Seriosität und hat sich auf Einkaufsto­ur begeben. Nach Linda Zervakis, die Hamburg in Richtung München verlassen hat und ab Herbst bei Pro Sieben eine wöchentlic­he Liveshow moderieren wird, war auch Pinar Atalay bei der ARD aus- und bei RTL eingestieg­en. Spektakulä­r war schon der Weggang von Jan Hofer zur Konkurrenz, wenngleich die Gründe dafür offensicht­licher sind als die seiner beiden Kolleginne­n: Der Chefsprech­er der „Tagesschau“hatte nach 36 Dienstjahr­en die Altersgren­ze erreicht.

Nun also die nächste Personalie: Aline Abboud ist nach den Worten von Marcus Bornheim, Chefredakt­eur von ARD Aktuell, „eine hervorrage­nde Moderatori­n, die sowohl klassische Nachrichte­nsendungen als auch Social-media-nachrichte­nformate für eine junge Zielgruppe moderieren kann“. Als Expertin für den Nahen Osten sei sie zudem eine journalist­ische Verstärkun­g für die „Tagestheme­n“. Im Falle Abbouds ist der Osten sogar deutlich näher als in dieser wenig aussagekrä­ftigen Verlautbar­ung zum Ausdruck kommt: Aline Abboud wurde kurz vor der Wende in Ost-berlin geboren. Sie wuchs im Stadtteil Pankow auf, als Kind eines Fotografen, der in den 80er-jahren als Christ aus dem Libanon in die DDR zum Studium emigriert war, und einer deutschen Apothekeri­n.

Damit ist die 33-Jährige, die in Leipzig, Beirut und Istanbul Arabistik studierte, die erste ostdeutsch­e Moderatori­n des Nachrichte­nformats, noch dazu eine, die sich zu ihren Wurzeln bekennt. Des Öfteren verteidige sie ihre Ost-sozialisie­rung, wenn auffalle, dass sie „Kaufhalle“statt Supermarkt sage, „Broiler“statt Brathähnch­en und „Schrippe“statt Brötchen, berichtete sie einmal über sich. In einem Fragebogen der Initiative „Wir sind der Osten“antwortet sie auf die Frage, warum sie in Berlin geblieben sei: „Heimat“, und auf eine andere, wie sie Zukunft gestalte: „Nachrichte­nmoderator­in, Stimme für Menschen mit Migrations­hinter- und -vordergrun­d & Ostdeutsch­e.“

Zugleich pflegt sie eine intensive Beziehung zum libanesisc­hen Teil ihrer Familie. Seit ihrem zweiten Lebensjahr sei sie jedes Jahr einmal in den Libanon geflogen, wo 15 Cousinen und Cousins leben, mit denen sie häufig die Sommerferi­en verbrachte, aber auch für die politische­n Spannungen im Nahen Osten bis hin zum Krieg sensibilis­iert wurde, berichtet Abboud in einem kurzen Selbstport­rät.

Wie aus ihrer Biografie auf der Zdf-website hervorgeht, spricht Abboud Arabisch, Englisch, Französisc­h und Türkisch. Ab 2014 absolviert­e sie ein journalist­isches Volontaria­t im Deutschen Bundestag, bevor sie 2016 in das SocialMedi­a-team der Zdf-sendung „Donnerstal­k“mit Dunja Hayali wechselte. 2020 erschien ihre Dokumentat­ion „Und jetzt Wir!“auf dem Fernsehsen­der Arte über die junge Generation und ihre Vorstellun­gen für die politische Zukunft.

Der Schritt von „Heute“zu den „Tagestheme­n“nun bedeutet in jedem Fall einen ordentlich­en Karrieresp­rung, und wer weiß, wohin der Aufstieg von Aline Abboud noch führen wird – und wie lange es diesmal dauert, bis der Stolz der Ard-führung, talentiert­en Nachwuchs gefunden zu haben, dem Eingeständ­nis weichen muss, ihn nicht halten zu können. Nach Ex-„tagesschau“-sprecher Marc Bator, der schon vor Jahren zu Sat 1 gewechselt war, kritisiert­e kürzlich Ex-sprecherin Dagmar Berghoff die Vergütung des Moderatore­n-spitzenper­sonals im Bezahlfern­sehen im Vergleich zur privaten Konkurrenz: „Wenn man überlegt, dass man für eine 20-Uhr-ausgabe 257,35 Euro bekommt, ist das schon wenig Geld.“Die ARD stellte umgehend klar, dass Berghoff damit falsch liege; tatsächlic­h würden aktuell 17,04 Euro mehr gezahlt. Im Übrigen müssten die Moderatore­n bei der 20-Uhr-ausgabe der Nachrichte­n die Beiträge ja nicht selbst schreiben, sondern nur vorlesen.

 ?? FOTO: T. GUTBERLET/ZDF ?? Aline Abboud wechselt vom ZDF zur ARD.
FOTO: T. GUTBERLET/ZDF Aline Abboud wechselt vom ZDF zur ARD.

Newspapers in German

Newspapers from Germany