Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Löws Plan für die Weiterreise durch Europa
Thomas Müller dürfte ausfallen. Leon Goretzka spielt daher gegen Ungarn eine besonders wichtige Rolle für den Bundestrainer.
HERZOGENAURACH (dpa) Joachim Löw machte sich vom Trainingsplatz extra auf den Weg in den angrenzenden Fitness-pavillon zu Thomas Müller. Der Bundestrainer wollte am Dienstag in Herzogenaurach von Deutschlands gerade prominentestem Patienten erfahren, wie es um dessen rechtes Knie steht. Eine gute Minute dauerte der Plausch, dann kehrte Löw gelassen auf den Rasen zur Mannschaft zurück.
Die Müller-prognose lautet: Löw wird im letzten Em-gruppenspiel der Fußball-nationalmannschaft gegen den Tabellenletzten Ungarn eher kein Risiko bei seinem offensiven Anführer eingehen, zumal es „ein Wunder von München“anders als beim Wm-finale 1954 in Bern nicht braucht. Schon ein Punkt genügt zum Achtelfinaleinzug. Und Löw verfügt in Leon Goretzka über einen adäquaten Müller-ersatz. Bereit für einen Einsatz in der Münchner Arena am Mittwoch (21 UHR/ZDF und Magentatv) meldeten sich derweil Mats Hummels (Knie) und Ilkay Gündogan ( Wade). Beide mischten beim Abschlusstraining munter mit. „Bei mir persönlich ist es auch wieder gut, ich kann spielen“, sagte Hummels wenig später bei Magentatv. „Ich werde diese Pausen immer mal wieder einlegen müssen, weil ich die Knieprobleme mit mir rumtrage. Das ist nichts, was mich aus den Spielen ganz raushält. Das erfordert nur ein bisschen mehr Regeneration“, sagte Hummels.
Einen logischen Müller-ersatz gibt es auch. „Ich traue mir die Position zu“, hatte Goretzka selbstbewusst verkündet. Löw kann dem von einer Oberschenkelverletzung genesenen Münchner Muskelmann wertvolle Em-minuten geben. Zugleich kann sich Müller für die richtig heißen Alles-oder-nichtsKämpfe in den folgenden K.o.-runden erholen.
Sein vorausschauendes Denken hatte der Bundestrainer schon direkt nach dem 4:2 gegen Europameister Portugal durchklingen lassen: „Mit dem Sieg sind wir im Turnier angekommen. Aber jetzt kommen weitere Aufgaben.“Eine Pause für Müller ist darum die wahrscheinlichste und auch sinnvollste Lösung angesichts der schmerzhaften Kapselverletzung am Knie. Der Bayern-leitwolf kam 34 Stunden vor dem Anpfiff gegen Ungarn mit dem Rad ins Adi-dassler-stadion gefahren. Dort verschwand er im Fitnessbereich, wo er Stabilitätsübungen absolvierte.
Wer beim Abschlusstraining fehlt, läuft in der Regel auch nicht am Spieltag von Anfang an auf. Das könnte im dritten Turnierspiel dafür erstmals Goretzka tun. Eine andere Offensiv-option wäre Leroy Sané. „Ich fühle mich im Turnier angekommen“, sagte Goretzka nach seinem 17-Minuten-comeback gegen die Portugiesen. Der 26-Jährige weiß, dass es eine große Aufgabe ist, Müller zu ersetzen. Der Rückkehrer war gegen Portugal der Organisator der Offensivreihe mit Kai Havertz und Serge Gnabry. „Thomas bringt immer Leben rein, Schwung rein, kann das übertragen auf seine Kollegen“, sagte Goretzka.
In seinem 197. Länderspiel als Bundestrainer betritt Löw nochmals Neuland: 67 Jahre nach dem „Wunder von Bern“ist es die erste Turnierbegegnung der Nationalelf mit den im Wm-finale 1954 klar favorisierten, aber dann sensationell 3:2 besiegten Ungarn. Diesmal wäre es eher ein Wunder, wenn Deutschland verlöre. Überheblich präsentieren sich die Erben von Fritz Walter trotzdem nicht. „Wir wissen schon, dass da wieder eine gute und gefährliche Mannschaft auf uns zukommt“, mahnte Verteidiger Matthias Ginter. Der stärkste Mann bei den Ungarn steht dabei zwischen den Pfosten: Peter Gulasci. Marcel Halstenberg sieht seinen Leipziger Vereinskollegen leistungsmäßig sogar „sehr nah dran“an Welttorhüter Neuer: „Peter will gegen uns die Null halten, das weiß ich schon. Wir versuchen, ihm ein oder zwei einzuschenken.“
Es geht aus deutscher Sicht schließlich nicht darum, sich irgendwie ins Achtelfinale zu mogeln, sondern mit noch mehr Rückenwind in die entscheidende Turnierphase zu gehen.