Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Zum Ende des Wirecard-ausschusses steht Scholz in der Kritik
Monatelang hat der Untersuchungsausschuss zu dem Finanzskandal getagt. Am Ende bezichtigen sich SPD und CDU gegenseitig des Aufsichtsversagens.
BERLIN (dpa) Ein Vierteljahr vor der Bundestagswahl ziehen die Abgeordneten im Wirecard-untersuchungsausschuss an diesem Tag Bilanz – oder besser gesagt: mehrere Bilanzen, die inhaltlich, je nach Parteizugehörigkeit der Ausschussmitglieder, ganz unterschiedlich ausfallen. CDU, CSU und SPD tragen am Ende den Abschlussbericht mit, daneben gibt es ein gemeinsames Sondervotum der Oppositionsparteien FDP, Linke und Grüne und ein eigenes der AFD.
Gemeinsam ist allen die Entrüstung über die mutmaßlichen Betrügereien des Zahlungsdienstleisters in Milliardenhöhe und die für die politisch Verantwortlichen peinliche Frage, wie das Unternehmen damit jahrelang durchkommen konnte. Der Obmann der Linksfraktion im Ausschuss, Fabio De Masi, etwa zeigte sich entgeistert über „diese Milliardenlüge, diese Illusionsfabrik Wirecard“.
Wie schon zum Start des Ausschusses im Oktober lädt die Union einen wesentlichen Teil der Verantwortung beim Bundesfinanzministerium von Spd-kanzlerkandidat Olaf Scholz ab, bei dem die Finanzaufsicht Bafin angesiedelt ist. Die SPD wiederum verweist auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die Wirecard jahrelang tadellose Bilanzen bescheinigten. Auch hier liegt gewisses Kalkül nahe: Für die Aufsichtsbehörde Apas ist das Cdu-geführte Wirtschaftsministerium zuständig.
Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im vergangenen Sommer eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro nicht auffindbar sind. Die Münchner Staatsanwaltschaft geht von einem „gewerbsmäßigen Bandenbetrug“aus – seit dem Jahr 2015. Der Bilanzskandal hatte immense Schäden bei Anlegern verursacht, weil der Wert der Aktie dramatisch abgestürzt war. Der Untersuchungsausschuss sollte unter anderem klären, ob staatliche Aufsichtsbehörden und die Bundesregierung zu wenig unternommen haben, um den Verdachtsfällen früher und entschiedener nachzugehen.
Dass das Parteibuch bei ihren Schlussfolgerungen aus dem Wirecard-skandal eine Rolle gespielt haben könnte, wiesen Union und SPD weit von sich: „Es muss auch möglich sein, politische Verantwortung zu benennen, ohne dass einem direkt Wahlkampfgetöse unterstellt wird“, sagte der Unionsobmann im Ausschuss, Matthias Hauer (CDU), und erklärte: „Die politische Verantwortung trägt Olaf Scholz und das Bundesfinanzministerium.“
Das schien Spd-ausschussmitglied Cansel Kiziltepe wohl gehört zu haben, die in einer späteren Pressekonferenz zu den Vorwürfen erklärte: „Ich halte das für Wahlkampfgetöse der Union. Olaf Scholz trägt keine politische Verantwortung für den Wirecard-skandal.“Der Fokus ihrer Parteikollegen auf die Rolle der Wirtschaftsprüfer, die insbesondere vom Unternehmen EY kamen, sei
„kein politisches Kalkül“gewesen, sondern entspringe der Überzeugung, dass hier der Kern des Skandals liege: „Den Bilanzbetrug hätte EY feststellen können und müssen“, betonte Kiziltepe. Auch die Grünen-obfrau Lisa Paus vermisste bei den Prüfern von EY „die kritische Grundhaltung“. Noch am
Dienstag scheiterte ein Ex-prüfer vor dem Verwaltungsgericht Berlin mit dem Versuch, die Veröffentlichung von Passagen zu verhindern, in denen sein Handeln kritisch betrachtet wurde. Der Fdp-obmann im Ausschuss, Florian Toncar, resümierte: „Es ist, glaube ich, ein großes Ärgernis für viele Bürger, dass am Ende bei solchen Skandalen es niemanden gibt, der sich auch hinstellt und eigene Fehler einräumt.“
Der Ausschussvorsitzende Kay Gottschalk (AFD) forderte Scholz’ Rücktritt und beklagte „die Pattex-haftkraft“mancher Politiker, die an ihrem Stuhl klebten.gleichwohl hatte die Affäre bereits Konsequenzen. So erhält die Bafin zusätzliche Befugnisse, die Vorschriften für Abschlussprüfer werden verschärft.