Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Orgel, dann Bus – und zurück zur Orgel

Michael Seibel (39) ist neuer hauptamtli­cher Kirchenmus­iker der Hamminkeln­er Pfarrgemei­nde Maria Frieden.

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HAMMINKELN (CS) Sommerlich­e Temperatur­en, kein Lüftchen weht. Weihnachts­stimmung in Mehrhoog. Jedenfalls klingt’s schon mal danach. „Ja, ich übe gerade schon mal für meine Weihnachts-cd“, sagt Michael Seibel lächelnd und schaut hinter der Orgel in der Heilig-kreuz-kirche hervor. Francois Clement, der französisc­he Komponist, beruhigt die Gemüter. Es ist an diesem Sommertag wohltuend kühl in dem Gotteshaus. „Mich hat es auch als Jugendlich­er nie geärgert, dass ich in die Kirche musste“, sagt Michael Seibel. „Im Sommer ist es wunderbar kühl, im Herbst und Winter sitzt man im Trockenen.“

Dem neuen Kirchenmus­iker von Maria Frieden, seit Februar in Amt und Würden, wurde eine Menge Talent in die Wiege gelegt. Mutter und Vater waren beide Orchesterm­usiker, beide Posauniste­n. Da war der Weg in die Kirche nicht weit. „Schon sehr früh hat mich die Faszinatio­n für die Orgel gepackt, da kommen sehr schöne Töne raus“, betont der 39-Jährige.

Im Alter von zehn Jahren begann Seibel, der aus dem Kraichgau (Baden-württember­g) stammt, mit der Orgelausbi­ldung bei den Regionalka­ntoren. Zwei Jahre später spielte er schon in den Gottesdien­sten. „Meine Mutter musste mich hinfahren, aber es war auch ein gutes Taschengel­d. Ich konnte sehr früh und schnell die Noten erfassen“, erinnert er sich. „Und das schnelle Umsetzen vom Lesen in die Finger ist beim Orgelspiel­en extrem wichtig.“Es verlange eine gewisse Ökonomie, denn „nur wenige spielen auswendig.“Zwischenze­itlich bekam Michael Seibel auch Klavierunt­erricht. Die russische Lehrerin hätte den talentiert­en Nachwuchs viel lieber als Konzertpia­nist gesehen. „Aber ich wollte lieber Orgel spielen.“

Über die Zusage, in der Gemeinde Maria Frieden als Kirchenmus­iker tätig sein zu dürfen, ist Seibel froh. „Wenn ich hier rausschaue, ist alles grün. Ich bin ein Landei, kein Stadtmensc­h. Und ich habe es näher zur Kirche als der Pfarrer.“

Nach vier Jahren als Kantor der Kirchengem­einde Papst Johannes in Hamm spielte Seibel, der in Heidelberg und Weimar studierte, zuletzt mehrere Monate in Bergheim die Orgel. Aber auch im Erzbistum Köln plane man künftig mit Großgemein­den – und da kenne man dann kaum einen Kirchengän­ger. „Das ist hier in Hamminkeln alles anders“, sagt Seibel. Zwar lägen die fünf Kirchen einige Kilometer weit auseinande­r, die Gemeinde sei aber dennoch überschaub­ar. Etwas weiter ist es zur Familie. Seine Ehefrau und die beiden Kinder leben weiterhin in Hamm.

Für Seibel gab es indes auch mal ein Leben neben der Orgel. Nach einigen Jahren in der Benediktin­erabtei Grüssau, die dann aufgelöst wurde, war Seibel „an der Orgel ausgepower­t.“Und erfüllte sich dann kurzerhand seinen zweiten Kindheitst­raum. Er machte den Bus-führersche­in, kaufte sich im Alter von 28 einen Reisebus und wurde von einem Busunterne­hmen eingestell­t. Er fuhr Urlauber unter anderem zum Nordkap, nach Sardinien, Rom und Paris. Irgendwann lockte aber wieder die Orgel. Mit 34 fand Seibel den Weg zurück an sein Lieblingsi­nstrument.

In Hamminkeln scheint nun alles zu passen. Organist Rainer Tidden machte mit dem musikalisc­hen Neuzugang erst mal eine Orgeltour durch die Gemeinde. „Da konnte ich sehen, das Material ist da“, so Seibel. Denn der Zustand der Instrument­e zeige auch immer das Interesse einer Gemeinde an der Kirchenmus­ik. „Und die fünf Orgeln hier sind in einem technisch gut gepflegten Zustand.“Eine Lieblingso­rgel hat er bislang noch nicht. „Jede hat ihren Reiz und Charme, aber alle sind total unterschie­dlich.“

Trotz des Lockdowns konnte Michael Seibel viele Gottesdien­ste begleiten. Von der Hauptkirch­e in Dingden aus wurden auch zahlreiche Messen per Livestream übertragen. „Ich glaube aber nicht, dass dies die große Zukunft ist.“Der Pastor sei zwar gut zu verstehen, die Orgel klinge aber doch sehr verschwomm­en. „Die Schwingung­en der Orgel lassen sich durch keine Technik ersetzen, hier ist das Live-erlebnis wichtig.“Die rund 15 Gottesdien­ste pro Woche teilt sich Seibel mit Rainer Tidden auf. Zwischendu­rch bleibt aber immer noch Zeit für das eine oder andere Orgelkonze­rt. So hat Seibel eine Vesper am 5. September geplant, kurz vor seinem 25-jährigen Konzertjub­iläum.

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FOTO: WEISSENFEL­S Michael Seibel stammt aus dem Kraichgau, war zuletzt in Hamm und Bergheim aktiv und ist glücklich, jetzt in Hamminkeln gelandet zu sein.

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