Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Arzt, der zum Leugner wurde
In seinem Buch „Falsche Pandemien“teilt Wolfgang Wodarg kräftig aus und stellt viele Behauptungen auf. Beweise fehlen meist.
BERLIN Er hätte uns in der Krise ein exzellenter Begleiter sein können. Seine Eloquenz ist bestechend, und als Arzt und Gesundheitspolitiker verfügt er über Erfahrung im Umgang mit Seuchen.
Doch irgendwann ist mit Wolfgang Wodarg etwas geschehen, das sich selbst Freunde nicht erklären können. Bei dem 1947 in Itzehoe geborenen Mediziner zeigten sich Zeichen einer Radikalisierung. Schon im März 2020 beschloss der Vorstand von Transparency International, einer Nichtregierungsorganisation gegen Korruption, Wodargs Mitgliedschaft ruhen zu lassen; die Kollegen störten sich an „Äußerungen zum Coronavirus auf zum Teil antidemokratischen und verschwörungstheoretischen Plattformen“. Seitdem bedient Wodarg einschlägige Positionen, deren Anhänger ihn für eine seriöse Quelle halten. Die Fanbasis ist lukrativ: Wodargs neues Buch „Falsche Pandemien – Argumente gegen die Herrschaft der Angst“(Rubikon, 414 Seiten, 20 Euro) führt die „Spiegel“-bestsellerliste im Bereich „Sachbuch Paperback“an.
Gern stellt sich Wodarg als empathischen Arzt dar, der Menschen mitfühlend begleitet, doch der Ton seines Buches ist oft ein anderer: vergiftend, pauschal, irreführend, faktenleugnend. Überall sieht er Dämonen. Karl Lauterbach habe eine „Hetzkampagne“gegen ihn gestartet, Angela Merkel nennt er die „Ddr-musterschülerin“, und Christian Drosten apostrophiert er als „Mister Corona“und den „Virologen aus der Charité“. Überall gebe es eine „institutionelle Korruption“, die Menschen seien die „Versuchskaninchen einer gierigen Impfindustrie“, und es gehe um einen „demokratiefeindlichen Umbruch“.
Seriöse Beweise fehlen. Fast nie zitiert Wodarg eines der renommierten Fachjournale wie „Lancet“oder „NEJM“, lieber sich selbst online auf www.wodarg.org. Oder stellt Dinge ungeprüft in den Raum, wie die Mär von den angeblich wirkungslosen Masken oder „massenhaft falsch positiven Testergebnissen als Vorwand für Quarantänemaßnahmen“. Richtig ist zwar, dass ein positiver PCRTest nicht zwingend etwas über die Ansteckungsgefahr mitteilt. Doch wenn die gefundene Virusmenge in die Verlaufsanalyse eines Falls einbezogen wird, ist das Pcr-ergebnis sogar noch relevanter.
Buchautor Wodarg leugnet, dass das Sars-cov-2-virus gefährlicher sei als ein herkömmliches Grippevirus. Diese Einschätzung wird von kaum einem Arzt geteilt, der in einer Klinik regelmäßig mit dem komplexen Covid-19-vollbild zu tun hat. Vor allem ignoriert er das Phänomen des „Präventionsparadoxons“– dass zahllose Infektionen und etliche Tote eben durch anti-epidemische Maßnahmen verhindert wurden. Wodarg wäre es am liebsten, dass die Bevölkerung durchinfiziert würde, damit Herdenimmunität einträte. Nun, selbst die pessimistischste Modellierung hätte für den Winter 2020/2021 errechnet, dass es dann zu einem Vielfachen an Toten gekommen wäre.
Grotesk ist es, wenn Wodarg über das Impfen spricht. Die MRNAImpfstoffe seien eine „Gentherapie“, was eine gezielt irreführende Bezeichnung ist, die auf die Ängste der Leser spekuliert. In den genetischen Bauplan des Menschen kann das Vakzin gar nicht eingreifen, vielmehr wird ein Virusschnipsel im
Zytoplasma der Wirtszelle abgelesen; in den Zellkern dringt der RNA-FETzen gar nicht ein. Noch spekulativer ist sein Geraune von den Impfschäden: „Ich halte es für denkbar, dass die gentechnischen Impfungen gegen Covid-19 auch ein Krankheitsbild mit schwerer Luftnot erzeugen können, wie es sonst nur bei schweren Verläufen einer Corona-infektion auftritt.“Geradezu schäbig seine Hinweise zur „erschreckend hohen Zahl von Impf-todesfällen in Altenheimen“: Er zitiert genau nur einen einzigen und sehr unklaren Fall aus Berlin-spandau.
Seine Aussagen zur Wirkungslosigkeit der mrna-impfstoffe hat Wodarg in Unkenntnis aktueller Infektionsverläufe und Todesraten angestellt. Seit Israel impft, sind alle Zahlen heftig gesunken; Masken und Ausgangsregelungen gab es dort schon vorher. Der Autor bezweifelt auch den Langzeitschutz der Impfungen, spricht aber andererseits von der „Langzeitimmunität“nach durchgemachter Infektion. Wie lang aber ist der Referenzzeitraum der im Dezember 2020 erschienenen Innsbrucker Studie genau, auf die er sich bezieht? Sechs Monate.