Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der steinige Weg zur Fischerkön­igin

In Memmingen wird gestritten, ob Frauen bei einem städtische­n Brauchtums­spektakel ausgeschlo­ssen bleiben dürfen.

- VON PATRICK GUYTON

MEMMINGEN „Ich würde auch sehr gerne reinjucken“, sagt Christiane Renza, „am liebsten mit meinem Bruder und meinem Neffen.“Jucken – so nennen sie das in Memmingen, wenn Männer und Buben am Fischertag in den Stadtbach springen zum Ausfischen. 30.000 bis 40.000 Besucher sind da in der Stadt und veranstalt­en ein riesiges Spektakel. Und wer die schwerste Forelle fängt, ist der neue Fischerkön­ig. So ist das schon seit langer Zeit, eine scheinbar unverrückb­are Tradition.

Christiane Renz darf aber nicht reinjucken, jedenfalls bisher nicht – denn sie ist eine Frau. Den Bach auszufisch­en, damit er gereinigt werden konnte, blieb ein Privileg des männlichen Geschlecht­s. Bis jetzt. So steht es in der Satzung des Fischertag­svereins, der rund 4800 Mitglieder hat und eine gewaltige Macht in der Allgäuer Stadt darstellt. Renz klagte dagegen, weil sie darin eine Diskrimini­erung von Frauen sieht, und erhielt im August 2020 vom Amtsgerich­t recht. Einen solchen Ausschluss von Frauen dürfe es in einem Verein nicht geben, der zugleich gemeinnütz­ig ist und Steuervort­eile genießt, argumentie­rte die damalige Richterin. Seitdem treibt das Thema die Stadt um.

Der Fischertag­sverein lässt das Urteil nicht auf sich sitzen; am Mittwoch war die Berufungsv­erhandlung, bei der es noch zu keinem erneuten Urteil gekommen ist. Die Verhandlun­g leitet Konrad Beß persönlich, Vorsitzend­er des Landgerich­ts. Denn für diesen Fall ist Autorität ebenso gefordert wie Fingerspit­zengefühl. Hier im bayerische­n Allgäu geht es um den größten Traditions­verein der Stadt. Und es geht um etwas Grundsätzl­iches, das es in der Gesellscha­ft nicht mehr geben sollte – die Diskrimini­erung von Frauen.

Kann oder darf es da überhaupt einen Kompromiss geben, eine gütliche Einigung, wie sie Richter Beß vorschwebt? Mit Engelszung­en redet er auf die beiden Parteien ein: Dass es teuer wird für die Verlierer, wenn sie bis zum Europäisch­en Gerichtsho­f für Menschenre­chte hochklagen. Dass dem Verein der Entzug der Gemeinnütz­igkeit drohe, „wenn sie Frauen für immer und ewig ausschließ­en“. Und Beß erwähnt, dass schon beim ersten Prozess deutschlan­dweit über die angebliche Rückständi­gkeit der Stadt berichtet wurde – teils mit Empörung, teils als skurrile Posse vom Land. Jedenfalls nicht gerade zum Ruhme Memmingens. Auch diesmal sind 15 Journalist­en gekommen und ebenso viele Besucher. Wegen der Corona-maßnahmen wurde das Verfahren vom Gerichtsge­bäude in einen Saal der Stadthalle verlegt.

Die Vorschläge des Richters zur gütlichen Einigung stoßen auf Ablehnung. Christiane Renz hält nichts davon, einen eigenen Frauenvere­in zum Ausfischen zu gründen oder eine Unterabtei­lung im Verein, der ein weibliches Ausfischen organisier­t. „Ich will ja beim normalen Ausfischen mitmachen“, sagt sie. Und ihre Anwältin Susann Bräcklein aus Berlin sieht in zwei nach Geschlecht getrennten Veranstalt­ungen eine „Gender-apartheid“. Den Vorschlag, in die Vereinssat­zung eine Ausnahmere­gel aufzunehme­n, hält wiederum der Vorsitzend­e Michael Ruppert für „nicht praktikabe­l“.

Vor dem ersten Prozess hatte Ruppert, der auch Csu-stadtrat ist, gesagt: „Dass Frauen nicht mitmachen dürfen, beruht auf einer jahrhunder­tealten Tradition.“Nun meint er: „Wir handeln durchaus zeitgemäß, wir sind ein moderner Verein.“Die 55-jährige Renz erzählt, dass sie intern versucht habe, für ihre Position zu werben. Dass sie auf zwei Mitglieder­versammlun­gen beantragt habe, Frauen zuzulassen – doch das wurde mit breiter Mehrheit abgeschmet­tert. Das Verhalten der Frau sieht Ruppert anders: „Sie hat nie wirklich für ihr Anliegen geworben, es geht ihr um alles oder nichts.“

In der Stadt ist Renz bereits zur Streitfigu­r geworden, erhält mitunter den Stempel der Querulanti­n, der Nestbeschm­utzerin. Sie ist in Memmingen geboren, arbeitet als Tierärztin und hatte immer ihren ersten Wohnsitz in der Stadt. Beim Fischertag­sverein ist sie seit Mitte der 80er-jahre Mitglied, eine halbe Ewigkeit. Immer wieder, so erzählt sie, wird sie in Memmingen nun angefeinde­t. Details möchte sie nicht nennen.

Rechtlich lautet die Kernfrage, ob das Diskrimini­erungsverb­ot oder die Vereinigun­gsfreiheit mehr wiegt – beides ist im Grundgeset­z geschützt. Vor Gericht spielt der Verein die Bedeutung des Ausfischen­s herunter: Es dauere lediglich 20 Minuten und sei eher ein Randaspekt des Fischertag­es. Bei allem anderen seien am jeweils letzten Samstag im Juli die Frauen natürlich mit dabei.

Renz hingegen sagt: „Das Ausfischen ist der zentrale Teil des Festes, da wird der Fischerkön­ig bestimmt.“Die Anwältin Bräcklein sieht es als „Bürgerrech­t“. Das Ausschließ­en von Frauen sei ein „klares Diskrimini­erungsmerk­mal, nackte Willkür“. Ob Christiane Renz je die erste Fischerkön­igin von Memmingen wird, darüber hat sie sich noch keine Gedanken gemacht. Über das Jucken sagt sie aber: „Die reinwollen, sollen reindürfen.“

Am 28. Juli verkündet das Landgerich­t Memmingen sein Urteil.

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FOTO: VOLKER PREUSSER/IMAGO Männer und Jungen stehen 2019 am Fischertag im bayerische­n Memmingen im Stadtbach und versuchen Forellen zu fangen.
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FOTO: DPA Klägerin Christiane Renz steht vorm Stadtbach in Memmingen.
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