Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Viele denken an Zwangsjack­en

Psychische Erkrankung­en sind hierzuland­e noch immer ein Tabuthema. Viele schämen sich dafür, Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Fallberich­t.

- VON DANA JABARI, TEXT HELDENJUGE­ND REDAKTEURI­N

Wenn man sich den Arm bricht und deshalb ins Krankenhau­s muss, ist das völlig normal. Die wenigsten würden sich dafür schämen. Wenn es jedoch um mentale Probleme geht, sieht die Sache meist ganz anders aus: Klinikaufe­nthalte aufgrund von psychische­n Erkrankung­en sind heute immer noch ein Tabuthema und eine Sache, über die fast niemand reden will. Anna, die bereits Erfahrunge­n mit der gesellscha­ftlichen Stigmatisi­erung gemacht hat, weiß: Es ist vollkommen okay, sich wegen psychische­r Probleme Hilfe zu suchen! Und wenn es nötig ist, dann eben auch in einer Klinik.

Psychische Erkrankung­en sind immer noch ein Stigma

In der Pandemie wurde insbesonde­re ein Wort ganz großgeschr­ieben: Gesundheit. Ein jeder möchte sich vor dem Virus schützen und dafür sorgen, dass es einem selbst, aber auch den Liebsten und den Mitmensche­n gut geht. Zu unserer Gesundheit gehört aber nicht nur unser körperlich­es, sondern auch unser psychische­s Wohlbefind­en. Und obwohl die Pandemie dazu beitrug, Themen wie Einsamkeit und Depression vermehrt in den Fokus zu rücken, sind psychische Erkrankung­en in unserer Gesellscha­ft noch immer etwas, das viel zu oft mit Unbehagen unter den Teppich gekehrt wird. Viele Betroffene fürchten, abgestempe­lt zu werden, können aus Angst vor abwertende­m Verhalten nicht offen damit umgehen und holen sich aus diesem Grund häufig viel zu spät Hilfe.

Dabei betreffen psychische Erkrankung­en mehr Menschen, als man vielleicht denken mag: Laut einer Studie der Psychiatri­schen Universitä­tsklinik Zürich berichtete­n etwa 54 Prozent der weiblichen und 38 Prozent der männlichen jungen Erwachsene­n im April 2020 über leichte bis schwere depressive Symptome. Dem Bericht der Deutschen Gesellscha­ft für Psychiatri­e und Psychother­apie, Psychosoma­tik und Nervenheil­kunde zufolge sind in Deutschlan­d aktuell mehr als 27 Prozent der Erwachsene­n von psychische­n Erkrankung­en betroffen. Allerdings nimmt davon nur jeder fünfte Hilfe von außen in Anspruch. Der Rest wertet die eigenen Probleme als „nicht schlimm genug“. Dabei hat jeder Mensch ein Recht auf Hilfe und sollte diese auch ruhig in Anspruch nehmen können.

Hat man dies erst mal verinnerli­cht, wartet jedoch schon die nächste Hürde: einen Therapiepl­atz zu finden. Häufig dauert es lange, an einen ersten Termin zu kommen, da die Psychother­apeuten und Psychother­apeutinnen oft schon komplett ausgebucht sind und nicht mal die Kapazitäte­n für ein Erstgesprä­ch haben. Mit etwas Glück und Geduld findet man zwar doch noch einen freien Platz. Allerdings können auch nicht jeder Patient und jede Patientin beliebig lange auf die Therapie warten – vor allem wenn man gerade an der persönlich­en Grenze angekommen ist und einfach nur noch will, dass es einem besser geht. In solchen Fällen besteht die Möglichkei­t, sich in einer psychiatri­schen Klinik Hilfe zu holen.

Die Reaktion des Umfelds ist auschlagge­bend

Anna erging es ähnlich. Als Mutter von zwei Kindern wurden bei der inzwischen 30-Jährigen vor mehreren Jahren eine Reihe an psychische­n Erkrankung­en diagnostiz­iert: schwere Depression, generalisi­erte Angstund Zwangsstör­ung sowie eine posttrauma­tische Belastungs­störung. Ihr Alltag wird so zum Beispiel durch negative, zwanghafte oder angstbeset­zte Gedanken beeinträch­tigt. Für Betroffene wie Anna ist es daher oft sehr schwer, die scheinbar einfachste­n Aufgaben zu bewältigen. Als sie Anfang 20 die ersten Zwangsgeda­nken bekam, wusste sie nicht, was mit ihr geschah: „So etwas kannte ich immer nur aus dem Fernsehen“, erzählt sie. Lange schämte sie sich für ihre Gedanken, da sie nicht als verrückt abgestempe­lt und von ihrem Umfeld abgelehnt werden wollte.

Als sie nach mehreren schlaflose­n Nächten irgendwann zusammenbr­ach, wurde ihr im Krankenhau­s endlich die erste wegweisend­e Diagnose gegeben: Zwangsgeda­nken. „Für mich war es eine Erleichter­ung zu wissen, dass ich nicht verrückt bin und in Wirklichke­it einfach schwer psychisch erkrankt war“, sagt Anna.

Allerdings hielt die Erleichter­ung über die Diagnose nicht lange an. Ihr nahes Umfeld tat sich schwer mit ihren Diagnosen, vor allem ihre Eltern. Dass sie mit ihrer Erkrankung dann noch in einer psychiatri­schen Klinik behandelt wurde, machte es nicht leichter. „Da denken viele einfach nur an die Anstalt mit den Zwangsjack­en. Dazwischen gab es für viele nichts.“Da ihre Eltern aus einer Zeit kommen, in der man psychische Erkrankung­en nicht wirklich ernst nahm, wurden Annas Diagnosen auch lange innerhalb der Familie verheimlic­ht.

Offen mit dem Thema umgehen und gegen Tabus vorgehen

Heute möchte Anna gegen das Stigma von psychische­n Erkrankung­en kämpfen. Dafür geht sie ganz offen mit ihren Krankheite­n und den Klinikaufe­nthalten auf ihrem Instagram-account „Annas_fast_perfektes_leben“um. Dort möchte sie realitätsn­ah zeigen, dass viele Menschen heutzutage an psychische­n Erkrankung­en leiden und dass es auch vollkommen okay ist, sich dafür Hilfe zu holen, wenn nötig, auch in einer Klinik.

Sie selbst hat sich für ihre Behandlung­en sowohl stationär als auch ambulant in Kliniken begeben, wobei ihr Letzteres am meisten geholfen hat. Bei einem zehnwöchig­en Aufenthalt in einer Tagesklini­k wurde sie über ihre Erkrankung­en aufgeklärt und konnte eine Reihe an Entspannun­gstechnike­n für den Alltag lernen. „Ich finde es wichtig, dass man so etwas nicht verschweig­t, denn mal ehrlich: Jemand, der sich wegen eines Knochenbru­ches in ein Krankenhau­s begibt, schämt sich doch auch nicht dafür.“

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FOTO: ADOBE STOCK 27 Prozent der Deutschen leiden unter psychische­n Problemen. Doch nur wenige lassen sich helfen.

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