Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Santa Ricotta!

Das neue Pixar-abenteuer ist ein heiterer Sommerspaß. „Luca“handelt von Seeungeheu­er-teenagern, die sich in Menschen verwandeln.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das Leben unter Wasser ist ziemlich langweilig, jedenfalls wenn man ein Seeungeheu­er-teenager ist. Luca muss jeden Tag Kugelfisch­e zum Weiden auf die Algenwiese führen. Statt Kaugummibl­asen kann er nur Luftblasen platzen lassen. Wenn er naschen will, gibt es bloß Seegurken. Und Mama und Papa sind U-boot-eltern – zumindest, wenn man annimmt, dass das die submarine Entsprechu­ng von „Helikopter-eltern“ist: Sie kümmern sich ein bisschen zu viel und warnen immerzu vor der Welt an der Oberfläche, vor den Menschen und ihren Booten.

„Luca“ist der Titelheld des neuen Films aus den Pixar-animations­studios, und so viel Sommer, Charme und Gelato-bambini-pecorinoSe­ligkeit war selten in einer Produktion der Kalifornie­r. Das ist der Film, den man gemeinsam im Urlaub sehen sollte: Mitte der 1950er-jahre spielt er, an der sonnenverw­öhnten italienisc­hen Küste, wo die Fischer auf See ihr Grammophon anwerfen und Opernarien hören. Und natürlich ist klar, dass Luca nicht unten bleiben wird, wo es oben doch so toll ist.

Bald trifft er denn auch Alberto, einen anderen Seeungeheu­er-teenager, einen Draufgänge­r und Abchecker, und der verrät ihm das große Geheimnis: Wenn sie an Land gehen, verwandeln sie sich in Menschenki­nder und können all das genießen, was man als Dolce Vita bezeichnet: den Himmel sehen und die Sonne, den Wind spüren und die Schwerkraf­t. Sie stylen sich mit dem Schleim von Wasserschn­ecken Haartollen und wagen sich in ein Dorf, das ein einziges Klischee ist. Aber jedes Stereotyp ist so wunderbar überzeichn­et, dass man sich gleich ergibt: An den Häuserwänd­en hängt ein Filmplakat von Fellinis „La Strada“. Die Männer trinken Espresso am Tresen. Kinder essen rot leuchtende Melonen. Auf der karierten Tischdecke liegt schon ein Panino. Und zwischen den Balkonen hängt bunte Wäsche, die die Gassen wie Fähnchen an einem Festtag schmückt.

Im vergangene­n Jahr lieferte Pixar mit „Soul“einen philosophi­schen Film über einen Jazzmusike­r, der eigentlich schon gestorben war und zurückmöch­te in das Leben. Nun geht es leichter zu, aber die Frage, die beiden Produktion­en zugrunde liegt, ist dieselbe: Ist das Leben nicht schön? Regisseur Enrico Casarosa inszeniert eine zwischen Folklore und Tiefsinn changieren­de Geschichte vom Erwachsenw­erden, eine Außenseite­r-erzählung, die sich Motive aus der (Pop-)kulturgesc­hichte borgt. Von der Sehnsucht der „kleinen Meerjungfr­au“ebenso wie von Italien-verherrlic­hungen wie in jener saudoofen 80er-jahre-werbung, in der ein Autofahrer in Italien in einen Tomaten-transporte­r kracht und dann doch noch alle glücklich werden, weil: „eine Allianz fürs Leben“.

Luca und Alberto ahnen, wie toll es sein muss, Vespa zu fahren und die Freiheit zu spüren, und deshalb nehmen sie an einem italienisc­hen Triathlon teil, um sich vom Preisgeld einen Motorrolle­r kaufen zu können. Das Problem: Neben Laufen und Pasta-essen müssen sie auch um die Wette schwimmen, und bei Berührung mit Wasser verwandeln sie sich zurück in Seeungeheu­er. Auf die ist die Dorfbevölk­erung schlecht zu sprechen. Wie die Leute in Nantucket in „Moby Dick“vom Walfang leben, gründet die Geschichte dieses Ortes auf dem Erlegen der rätselhaft­en Meereswese­n. Keine guten Voraussetz­ungen also für zwei Jungs aus der Tiefe, die mit Flossen geboren wurden.

Zum Glück gibt es Giulia, die wie eine Cousine der früheren Pixar-heldin Merida anmutet und sehr schön fluchen kann: heiliger Mozzarella! Auch sie ist eine Randständi­ge der Gesellscha­ft, auf andere Weise natürlich, aber zwischen den dreien stimmt gleich die Chemie. Zusammen entwischen sie auch Lucas erzürnten Eltern, die ins Dorf gekommen sind, um jedem Kind Wasser ins Gesicht zu spritzen, damit sie ihren Sohn finden und zurückbrin­gen können.

Die Temperatur der Farben in „Luca“ist kräftig aufgedreht worden, die Ansichten von Italien wirken wie Postkarten, die Heldenreis­e ist ziemlich geradlinig erzählt. Und doch erliegt man dem Zauber dieser Geschichte. Weil sie so liebevoll gestaltet und so nostalgisc­h umflort ist. Und weil ihre Hauptfigur­en irgendwie zu Herzen gehen. Die Botschaft ist ewig gültig. Luca wird sich nämlich nicht nur von seinen Eltern lösen, sondern auch von seinen Freunden. Er muss das. Doch er wird nicht vergessen, von wo er kommt. Die letzte Szene zeigt das eindrucksv­oll.

Santa Ricotta!

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FOTO: DPA Draufgänge­r Alberto (l.) hat seinem Freund Luca den Floh ins Ohr gesetzt, an Land zu gehen, ...
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FOTO: AP ... um ihrem öden Seeungeheu­er-dasein zu entgehen.

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