Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

So viel Zukunft wie selten

- VON GREGOR MAYNTZ

Ein historisch­er Moment: Angela Merkels letzte Regierungs­erklärung. Vor dem Eu-gipfel wäre es der ideale Zeitpunkt für ihr europäisch­es Vermächtni­s gewesen. Doch sie referierte ihre Rede, als sei sie eine von vielen, denen viele ähnliche folgen. Merkel blieb Merkel: Auch beim Abgang so weit weg von Pathos und Leidenscha­ft wie möglich, so nah dran an Arbeitstre­ffen und wiederholt­en Anläufen wie nötig.

Umso eindrucksv­oller konnte der Unions-kanzlerkan­didat Armin Laschet wirken. Als immer schon leidenscha­ftlicher Europäer war es sozusagen ein Heimspiel für ihn. Warum er das Rederecht aller Bundesrats­mitglieder erst in der letzten Sitzungswo­che nutzte? Möglicherw­eise hat er sich bei Merkel abgeguckt, dass spärliche Dosierung die Erwartungs­haltung für den Ausnahmefa­ll hochschrau­bt und den Effekt vergrößert. Nicht abgeschaut hat sich Laschet den semantisch­en Stil. Wo Merkel die Technokrat­in der Macht mit kommunikat­iven Mängeln verkörpert­e, lieferte er einen emotionale­n Überbau. Laschet „brennt“für Europa, und er füllte für die Unionsabge­ordneten ein in den Merkel-jahren immer wieder zu beklagende­s Vakuum: Das Narrativ, die große Erzählung und glaubhafte Begründung politische­r Grundeinst­ellungen, war plötzlich wieder mit der Union verbunden.

Alle Bundestags­parteien boten in der Aussprache zu Merkels letzter Regierungs­erklärung ihre Spitzenkan­didaten auf. Damit stärkten sie den Bundestag als Ort der zentralen Entscheidu­ng – sowohl über die Inhalte der Politik als auch über die Personen, die in die Regierung oder in die Opposition gehen. Damit wurde diese Debatte zu einem Lehrstück mit Orientieru­ngscharakt­er. Der Wähler konnte in direkter Abfolge ohne Imagefilmc­hen und Musik verfolgen, wer wie auftritt und wer für was steht.

BERICHT KANZLERIN UND IHRE NACHFOLGE, POLITIK

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