Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
So viel Zukunft wie selten
Ein historischer Moment: Angela Merkels letzte Regierungserklärung. Vor dem Eu-gipfel wäre es der ideale Zeitpunkt für ihr europäisches Vermächtnis gewesen. Doch sie referierte ihre Rede, als sei sie eine von vielen, denen viele ähnliche folgen. Merkel blieb Merkel: Auch beim Abgang so weit weg von Pathos und Leidenschaft wie möglich, so nah dran an Arbeitstreffen und wiederholten Anläufen wie nötig.
Umso eindrucksvoller konnte der Unions-kanzlerkandidat Armin Laschet wirken. Als immer schon leidenschaftlicher Europäer war es sozusagen ein Heimspiel für ihn. Warum er das Rederecht aller Bundesratsmitglieder erst in der letzten Sitzungswoche nutzte? Möglicherweise hat er sich bei Merkel abgeguckt, dass spärliche Dosierung die Erwartungshaltung für den Ausnahmefall hochschraubt und den Effekt vergrößert. Nicht abgeschaut hat sich Laschet den semantischen Stil. Wo Merkel die Technokratin der Macht mit kommunikativen Mängeln verkörperte, lieferte er einen emotionalen Überbau. Laschet „brennt“für Europa, und er füllte für die Unionsabgeordneten ein in den Merkel-jahren immer wieder zu beklagendes Vakuum: Das Narrativ, die große Erzählung und glaubhafte Begründung politischer Grundeinstellungen, war plötzlich wieder mit der Union verbunden.
Alle Bundestagsparteien boten in der Aussprache zu Merkels letzter Regierungserklärung ihre Spitzenkandidaten auf. Damit stärkten sie den Bundestag als Ort der zentralen Entscheidung – sowohl über die Inhalte der Politik als auch über die Personen, die in die Regierung oder in die Opposition gehen. Damit wurde diese Debatte zu einem Lehrstück mit Orientierungscharakter. Der Wähler konnte in direkter Abfolge ohne Imagefilmchen und Musik verfolgen, wer wie auftritt und wer für was steht.
BERICHT KANZLERIN UND IHRE NACHFOLGE, POLITIK