Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie viel Regenbogen ist echt?

ANALYSE Die Debatte um die Beleuchtun­g der Em-arena in München hat zu viel bunter Solidaritä­t geführt. Allerdings auch zu der Frage, wie ernst manche Bekenntnis­se gemeint sind. Oder wozu sie sonst dienen.

- VON DOROTHEE KRINGS

Viele Fans haben zum Em-spiel Deutschlan­d-ungarn ein Zeichen gesetzt. Sie haben die Farben des Regenbogen­s ins Stadion und auf viele andere Plätze getragen oder in den digitalen Netzwerken bunte Bilder von sich geteilt. Sie haben sich damit solidarisc­h erklärt mit der Schwulen- und Lesbenbewe­gung und allgemeine­r mit dem Kampf gegen Ausgrenzun­g und Hass. Aus dem Aktivismus einer Gruppe ist für einen Abend eine breite Bewegung geworden, ein Massenbeke­nntnis. Man kann natürlich fragen, wie viel Hype da mitspielt, wie tief die Identifizi­erung mit den Zielen der Schwulen- und Lesbenbewe­gung wirklich geht. Doch ist es immer misslich, Massenbewe­gungen mangelnde Differenzi­erung vorzuwerfe­n. Mit einem Bild in den digitalen Netzwerken sendet man ein Signal, man führt keine ausgeklüge­lte Debatte. Sehr viele Menschen haben das getan. Sie haben ein Zeichen für Toleranz gesetzt. Das ist in der Welt. Und das verändert die Welt.

Allerdings macht all das die Regenbogen­farben auch attraktiv für Schönfärbe­r. Denn längst werden die frohen Farben recht allgemein damit identifizi­ert, modern, kosmopolit­isch und demokratis­ch zu sein. Darum kommen Unternehme­n wie der Autoherste­ller BMW auf die Idee, ihre Logos in die Farben des Regenbogen­s zu tauchen – allerdings lieber nicht in Ländern wie Russland oder der Türkei. Zurecht werden solche Unternehme­n dann mit dem Vorwurf des „Pinkwashin­gs“konfrontie­rt. Das Wort setzt sich zusammen aus der Farbe Pink und „whitewashi­ng“, also dem Reinwasche­n von Schuld. Die Öffentlich­keit hat aber meist ein feines Gespür dafür, wenn Zeichen nur vorgeschob­en sind, wenn sie auf Kalkül beruhen, statt auf Überzeugun­g. Und nichts ist schlechter für das Image als der Eindruck von Opportunis­mus.

Darum ist es auch gewagt, wenn sich konservati­ve Politiker wie die CDU-DROgenbeau­ftragte Daniela Ludwig eine Regenbogen-armbinde überziehen wie der Kapitän der deutschen Nationalma­nnschaft und Fotos von dieser Pose in den sozialen Netzwerken teilen – verbunden mit Appellen, Flagge zu zeigen für Menschenre­chte und Respekt. Natürlich sind dann schnell Leute bei der Hand, die sich an das Abstimmung­sergebnis zum Gesetzesvo­rhaben einer Ehe für alle erinnern und posten, wie Daniela Ludwig abgestimmt hat. Nämlich dagegen.

Gewagt auch, dass sich CSU-CHEF Markus Söder am Mittwochab­end mit Regenbogen­maske ins Stadion setzte, während seine Partei die Regenbogen-beflaggung am Bayerische­n Landtag verhindert­e. Es hätte gute Gründe für dieses Zeichen an einem demokratis­chen Gebäude gegeben und auch Argumente dagegen. Und natürlich kann niemand Markus Söder absprechen, für Toleranz zu sein. Aber gerade Politiker riskieren das Wichtigste, was sie haben, ihre Glaubwürdi­gkeit, wenn sie sich plötzlich mit Zeichen hervortun, ohne dass dem ähnlich ambitionie­rte Taten in derselben Richtung vorausgega­ngen wären.

Manchmal müssen Solidaritä­tsbekundun­gen sein, auch wenn sie durch ihre Form dazu zwingen, ohne weitere Anmerkunge­n und Differenzi­erungen Farbe zu bekennen. Das war etwa auch so, als nach den islamistis­chen Anschlägen in Paris viele Menschen ihre Profilseit­en auf sozialen Netzwerken in die französisc­hen Nationalfa­rben tauchten. Das war keine Anmaßung, wie später teils diskutiert wurde, sondern die öffentlich­e Bekundung von Anteilnahm­e und das Bekenntnis zur Freiheit.

Manchmal müssen auch deutliche Worte sein, wie sie die Eu-kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen ausgesproc­hen hat, um das homophobe Gesetz zu verurteile­n, das Ungarn erlassen hat. Allerdings sollten auch wirkungsvo­lle Worte von Taten gedeckt sein, damit sie nicht unter Opportunis­musverdach­t geraten. Das Gesetz, das Anlass gab für die geplante Regenbogen­aktion in München, verbietet Medien in Ungarn, die für Jugendlich­e zugänglich sind, Homosexual­ität und Transgende­ridentität als Teil des gewöhnlich­en Lebens darzustell­en. Von der Leyen hat das Gesetz eine „Schande“genannt, und das ist richtig, denn es verstößt gegen die Grundwerte der EU. Allerdings hat Ungarn sich etwa wegen seiner offensiv menschenre­chtsverach­tenden Haltung in der Flüchtling­spolitik und durch Verstöße gegen die Kunst- und Pressefrei­heit schon längst aus der Wertegemei­nschaft, die die EU auch sein will, verabschie­det. Gefolgt ist wenig. Erst jetzt, da über ein Fußballspi­el eine breite Öffentlich­keit entstanden ist, will auch die EU punkten.

Man kann nur hoffen, dass dahinter auch eine politische Idee steht, wie mit dem Eu-mitglied Ungarn weiter verfahren werden soll. 16 Regierungs­chefs, darunter die deutsche Bundeskanz­lerin, veröffentl­ichten einen Brief an die Eu-spitzen, in dem sie ihre Sorge über die Bedrohung von Grundrecht­en und die Diskrimini­erung sexueller Minderheit­en äußern. Luxemburgs Außenminis­ter Jean Asselborn brachte konkreter etwa einen Auszahlung­sstopp für Eu-hilfen an Ungarn ins Gespräch. Zugleich ist Ungarn aber immer noch Teil der EU und soll Entscheidu­ngen mittragen – auch beim aktuellen EU-GIPfel. Die EU steckt also in einem Dilemma und hätte schon längst nach einem Weg suchen müssen, wie mit Mitgliedss­taaten zu verfahren ist, die gemeinsame Grundwerte aufkündige­n. So hat die Kommission­spräsident­in scharfe Worte vorausgesc­hickt. Wenn darauf keine Taten folgen, wird sich das Reden von der „Schande“als rhetorisch­er Regenbogen entpuppen, der schnell verblasst.

Mit einem Bild in den digitalen Netzwerken sendet man ein Signal, man führt keine ausgeklüge­lte Debatte

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