Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
3,5 Milliarden Euro für die Türkei
Der Eu-gipfel will den Flüchtlingsdeal mit Ankara bis zum Jahr 2024 verlängern.
BRÜSSEL Ihr sicherlich letztes Treffen im Kreis der Staats- und Regierungschefs, bei dem sie mit der vollen Autorität auftritt, nutzte Bundeskanzlerin Angela Merkel für einen kräftigen Aufschlag. Mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sie eine Initiative für eine robustere Sprache der EU-27 gegenüber Russland gestartet. Merkel setzte sich für einen direkten Dialog der EU mit Russland ein. Im Entwurf des Gipfeldokuments heißt es: Der Gipfel betone die Notwendigkeit einer „geschlossenen und koordinierten Antwort“auf „jegliche weiteren, bösartigen, illegalen und Unruhe stiftenden Aktivitäten“Russlands. Auch neue Sanktionen werden in den Blick genommen.
Der gerade wiedergewählte Un-generalsekretär António Guterres forderte die EU-27 auf, in der Migrationspolitik geschlossen zu handeln. Um Zuwanderung ging es auch später am Tag noch: Eine Neuauflage des Eu-türkei-flüchtlingsabkommens wird vorbereitet. Der Deal von 2016 sieht vor, dass Brüssel sechs Milliarden Euro für die humanitäre Versorgung von 3,7 Millionen syrischer Bürgerkriegsflüchtlinge an die Türkei zahlt, wenn Ankara im Gegenzug die illegale Einreise von Migranten in die EU unterbindet. 4,1 Milliarden Euro sind bereits ausgezahlt, die restlichen knapp zwei Milliarden Euro sollen in den nächsten Jahren abfließen. Der türkische Regierungschef Recep Tayyip
Erdogan fordert seit Längerem finanziell einen Nachschlag. Die Mitgliedsstaaten sind dazu auch bereit.
Nach den Eu-regeln muss die Eu-kommission einen Gesetzgebungsvorschlag für eine Neuauflage vorlegen. Das hat sie bisher offiziell noch nicht getan. Sie hat lediglich ein sogenanntes Non-paper vorgelegt. Daraus geht hervor, dass die Türkei bis 2024 noch einmal 3,5 Milliarden Euro bekommen könnte. Unklar ist noch, wie das Geld aufgebracht wird. Laut Entwurf der Gipfelbeschlüsse fordern die „Chefs“die Kommission auf, „ohne Verzögerung den förmlichen Vorschlag“vorzulegen. Es bedarf dann nicht mehr eines eigenen Gipfels, um die Neuauflage des Türkei-deals perfekt zu machen.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban löste Streit in der Runde aus. Es ging um ein homophobes Gesetz, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ungewöhnlich deutlich als „Schande“bezeichnet hat. Das Gesetz, das am Donnerstag in
Ungarn in Kraft getreten ist, verbietet Bücher, Filme und andere Inhalte für Kinder und Jugendliche, in denen Sexualität dargestellt wird, die von der heterosexuellen abweicht.
Macron, der belgische Regierungschef Alexander De Croo, Österreichs Sebastian Kurz, Luxemburgs Xavier Bettel und andere erklärten zu Gipfelbeginn, dass das umstrittene Gesetz nicht mit den europäischen Werten vereinbar sei. Macron verlangt, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn einleitet. In einem gemeinsamen Schreiben, das zwar nicht direkt auf das ungarische Gesetz Bezug nimmt, fordern 17 der 27 Staats- und Regierungschefs, darunter Merkel, mehr gegen die Diskriminierung sexueller Minderheiten zu machen. Orban zeigt sich unbeeindruckt. „Ich verteidige die Rechte von Homosexuellen“, sagte er. Alles sei ein Missverständnis, das Gesetz schränke nicht die Freiheit von Minderheiten ein: „Es geht um Kinder und ihre Eltern. Mehr nicht.“