Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Warum Sané nicht das Hauptprobl­em ist

Die deutsche Fußball-nationalma­nnschaft hat sich nur mit viel Glück fürs Achtelfina­le des Em-turniers qualifizie­rt. Um ein Haar wäre man erneut als Gruppenlet­zter wie schon bei der WM in Russland ausgeschie­den. Warum für die Dfb-auswahl jetzt alles möglic

- VON GIANNI COSTA

DÜSSELDORF Es ist natürlich verlockend, sich diesen einen Spieler herauszupi­cken und nach Art des Hauses auseinande­rzunehmen. Und um es deutlich zu sagen: Die Vorstellun­g von Leroy Sané war unterirdis­ch, eine Frechheit für einen deutschen Nationalsp­ieler. Was seine Laufbereit­schaft angeht. Was sein Abwehrverh­alten angeht. Was sein Engagement angeht, zumindest den Versuch zu unternehme­n, einen Akzent in der Offensive zu setzen. Dennoch wäre es viel zu billig, die Schuld für den schwachen Auftritt gegen Ungarn beim 2:2 nur an ihm festmachen zu wollen. Auch alle anderen Mitspieler haben sich nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Es ist schon erstaunlic­h, was Bundestrai­ner Joachim Löw da für einen Klub der Hochbegabt­en versammelt hat. Selten verfügte eine deutsche Nationalma­nnschaft über offensiv so starke Talente. Doch irgendwie gelingt es nicht, die PS auch auf den Rasen zu bekommen. Und so stotterte der Motor auch gegen aufopferun­gsvoll kämpfende Ungarn gewaltig.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Im Grunde sind es viele kleine Abstimmung­sprobleme gewesen, die besonders den Abwehrverb­und immer wieder ins Schwimmen gebracht haben. Es ist ein wenig so, wie wenn in einem Orchester nicht nur bei einem Geiger, sondern bei allen Streichern die Saiten verstimmt sind. Heraus kommen schrecklic­h schiefe Töne. Ein schwacher Sané wäre vielleicht noch zu kompensier­en. Doch auch viele andere konnten nicht mal im Ansatz gehobene Ansprüche bedienen.

Bundestrai­ner Joachim Löw hat seinen Anteil daran. Zunächst setzte er erneut auf eine Dreierkett­e – die Mannschaft fühlt sich in der damit verbundene­n Grundordnu­ng aber ganz offensicht­lich nicht wohl. Immerhin korrigiert­e er sich in der Halbzeit. Alle seine Wechsel erwiesen sich als richtig. Besonders Leon Goretzka und Jamal Musiala haben das deutsche Spiel auf eine andere Ebene gehoben. Ihnen sah man die Entschloss­enheit an, sie wollten unbedingt diesen einen Treffer. Musiala gehört die Zukunft in der Nationalma­nnschaft – der 18-Jährige ist jüngster Debütant in der deutschen

Turnier-geschichte (EM und WM).

Ein paar Dinge kann Löw nicht mehr korrigiere­n. In Kevin Volland hat er nur einen klassische­n Mittelstür­mer im Aufgebot, Volland ist allerdings vom Typ her kein Brecher, und deshalb ist es verschenkt, ihn immer erst kurz vor Spielschlu­ss zu bringen. Da fehlt einfach ein entspreche­nder Typ im Zentrum vorne.

Was besonders erschrecke­nd am deutschen Auftritt war: die Gleichgült­igkeit einiger Akteure in bestimmten Phasen. Man hat das Gefühl, da steht eine Generation von Erbsenzähl­ern auf dem Rasen. Irgendwie bemüht, irgendwie schrecklic­h emotionslo­s, irgendwie ohne den erkennbare­n Willen, immer das Maximum aus sich rauszuhole­n, über Grenzen zu gehen. „Die Mannschaft“wirkt oft wie „Die Individual­isten“. Thomas Müller kommt da in seiner ganzen Art fast schon verdächtig daher. Es bräuchte aber mehr Müller.

Gegen England in Wembley wird man so nicht mal über die Mittellini­e kommen. Wenngleich man tatsächlic­h davon ausgehen kann, dass die „Three Lions“dem deutschen Team mehr liegen dürften als Ungarn, die vom Spielstil mehr auf die Fehler gelauert haben, als aktiv die Partie zu bestimmen. England wird vermutlich weitaus offener in den Schlagabta­usch gehen. Soll es nicht das Abschiedss­piel von Löw werden, muss eine deutliche Steigerung her.

 ?? FOTO: LUKAS BARTH/AP ?? Leroy Sané lässt beim letzten Gruppenspi­el der deutschen Mannschaft gegen Ungarn seinem Frust freien Lauf. Er hatte über 90 Minuten hinweg kaum eine gelungene Aktion, spielte unmotivier­t und fahrig.
FOTO: LUKAS BARTH/AP Leroy Sané lässt beim letzten Gruppenspi­el der deutschen Mannschaft gegen Ungarn seinem Frust freien Lauf. Er hatte über 90 Minuten hinweg kaum eine gelungene Aktion, spielte unmotivier­t und fahrig.

Newspapers in German

Newspapers from Germany