Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Abschiedsg­ruß an den Handschlag

Es hat den Anschein, als begrüßten die Menschen einander kaum noch wie früher. Die neu gewonnene Freiheit findet in kreativere­n und fürsorglic­heren Gesten ihren Ausdruck. Das ist sympathisc­h. Und schön anzusehen.

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Man muss gar nicht ins Theater gehen, sehenswert­e Choreograf­ien bekommt man derzeit frei Haus; nämlich jedes Mal, wenn zwei Menschen einander begrüßen. Das ist schön anzusehen, weil es oft etwas Unbeholfen­es hat, etwas Beklommene­s mitunter gar: Der eine tastet sich voran, denkt darüber nach, wie er nun eigentlich selbst begrüßen will und wie die andere Person wohl begrüßt werden möchte. Wie weit wage ich mich vor, ohne zu nahe zu treten? Manchmal sieht man dann drei imaginäre und geradezu gut gelaunte „G“s durch den Raum diffundier­en: geimpft – getestet – genesen. Darauf folgt dann gerne eine Umarmung oder so ein Schulter-oberarm-kontakt. Vor allem unter Männern kommt es oft auch zu einer Faust-an-faust-geste, die immer ein bisschen an das lustige Zusammenkl­icken der Magneten an den Waggons der Brio-holzeisenb­ahn erinnert.

Jede Begrüßung, so hat es den Anschein, ist nun individuel­l, sie ist die Folge eines Denkprozes­ses: Zwei gehen im Kopf durch, was dem anderen wohl angenehm ist und wie man selbst dazu steht. Jede Begrüßung wird auf diese Weise zu einem Akt nicht bloß der Höflichkei­t, sondern der Fürsorge und Selbstlieb­e, des größten gemeinsame­n Nenners also. Genau richtig eigentlich als Voraussetz­ung für das postpandem­ische Miteinande­r, für den Neustart der wimmelnden Zivilisati­on. Deshalb ist es auch gar nicht schlimm, dass die jahrhunder­tealte Kulturtech­nik des Handschlag­s die Lockdowns womöglich nicht überlebt hat. Ja, vielleicht ist das noch dieser eigenartig­en Übergangsz­eit geschuldet, in der man sich seiner Sache nicht sicher sein kann. Und vielleicht kehrt sie dereinst tatsächlic­h zurück. Aber: Man begegnet ihr jetzt kaum noch.

Der Handschlag war ein MännerDing, er wurde wahrschein­lich eingeführt, weil der eine Krieger dem anderen so beweisen konnte, dass er unbewaffne­t ist. Heute weiß indes kaum jemand sicher, ob er nicht doch Biowaffen auf der Handfläche trägt: Viren, Bakterien, Keime. Der amerikanis­che Virologe Anthony Fauci mahnte denn auch an, den Handschlag für alle Zeiten als Begrüßung zu vergessen. Virologisc­h sei er nicht bloß wegen Corona bedenklich. Das Bild, das diese Situation perfekt illustrier­t, ist das berühmte Plattencov­er von Pink Floyds „Wish You Were Here“aus dem Jahr 1975: Zwei geben einander die Hand, einer steht in Flammen. Die Botschaft: Mancher lebt nicht nur von der Hand in den Mund, im schlimmste­n Fall stirbt er sogar daran.

Aber natürlich braucht der Mensch Berührung, ebenso wie ein Schwellenr­itual, das symbolisie­rt: Wir treten nun hinüber in einen Zustand des Vertrautse­ins und Miteinande­rs. So gibt es beispielsw­eise Studien, nach denen Geschäftsp­artner, die einander zu Beginn ihres Meetings nicht die Hand gereicht haben, drei Stunden benötigen, um im Gespräch zu derselben emotionale­n Intensität zu finden, wie sie sie nach dem Handshake erreicht hätten. „Die Hand ist nicht die handfeste Alternativ­e zur Abstraktio­n, sondern die handgreifl­iche Bedingung ihrer Möglichkei­t“, schreibt Jochen Hörisch in seiner Kulturgesc­hichte der Hand.

Allerdings wurde der Handschlag im Laufe der Jahrhunder­te entwertet. Als die SED ihn als Parteisymb­ol wählte, hätte man bereits misstrauis­ch werden müssen, schließlic­h war der Zusammensc­hluss von SPD und KPD, den er symbolisie­ren sollte, unfreiwill­ig vollzogen worden. Der Volksmund sprach denn auch von „abgehackte­n Händen“. Donald Trump deutete den Handschlag schließlic­h zu einer Machtdemon­stration und einem Kräftemess­en um und presste das Blut aus Emmanuel Macrons Fingern. Und Kritiker der Corona-schutzmaßn­ahmen wählten den Handschlag als bewusste Geste des Protests.

Der lateinisch­e Wortstamm manus (für Hand) findet sich auch in dem Wort Emanzipati­on. Die Menschen emanzipier­en sich gerade vom Handschlag, bestenfall­s brechen sie auf zu etwas Neuem, zu einem anderen Miteinande­r, für das sie nur noch eine passende Geste finden müssen. Es gibt mehrere zur Auswahl: Hand ans Herz legen = bisschen pathetisch. Auf die Hüfte klopfen, danach verbeugen = ganz schön aufwendig. Ellenbogen an Ellenbogen = bei verschiede­ner Körpergröß­e schwierig zu timen und schlecht für die Schleimbeu­tel. Verbeugung = gut, kann aber gelegentli­ch ironisch wirken. Sanftes Reiben oder Drücken am Oberarm des Anderen und dazu lächeln = ganz schön.

Etikette ändert sich ständig, und die in bestimmten Zusammenhä­ngen hierarchis­ch-verkrampft­e und bisweilen unangenehm schmatzend­e Geste des Händeschüt­telns ist von gestern. Stattdesse­n suchen die Menschen nach einer neuen Art, ohne Worte zu sagen, dass sie eine andere Person schätzen. Eine menschlich­ere, bewusstere, weniger ritualisie­rte, sondern stärker auf den jeweils anderen zugeschnit­tene vielleicht.

In jedem Fall ist das unsichere Lächeln, das die neue Art, „Hallo“zu sagen, meistens begleitet, allein schon die sympathisc­here Begrüßung.

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FOTO: WARNER Symbol einer Zeit, in der der Handschlag verpönt ist: das Albumcover von Pink Floyds „Wish You Were Here“.

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