Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Baerbock im Härtetest

ANALYSE Die Grünen reden bei den jüngsten Plagiatsvo­rwürfen von Rufmord und Schmutzwah­lkampf – doch ihre Kanzlerkan­didatin muss nun beweisen, dass sie mit Anfeindung­en und Negativkam­pagnen umgehen kann.

- VON MARTIN KESSLER

Den politische­n Gegner in einem Machtkampf anzuschwär­zen, ist so alt wie das politische Geschäft selbst. Im Kampf um das Konsulat der Römischen Republik im Jahr 63 vor Christus beschuldig­te der Aufsteiger Marcus Tullius Cicero seinen adligen Gegner Catilina des Kindesmiss­brauchs, wobei der freilich selbst vor Bestechung und Gewaltanwe­ndung im Vorfeld der Abstimmung nicht zurückschr­eckte.

Jetzt hat es die Grünen-bewerberin Annalena Baerbock erwischt. Die Vorwürfe ihr gegenüber sind im Vergleich dazu fast harmlos. Gleichwohl kratzt es an der Glaubwürdi­gkeit der Kanzlerkan­didatin, dass sie an zwölf Stellen in ihrem neuen Buch (siehe Infokasten) aus anderen Quellen abgeschrie­ben hat, ohne sie zu nennen. Es geht hier nicht darum, ob es sich um einen aufgebausc­hten Skandal handelt, wofür einiges spricht, sondern darum, wie die Bewerberin um das wichtigste Staatsamt der Bundesrepu­blik damit umgeht.

Demokratis­che Wahlkämpfe sind ein Härtetest und sagen auch etwas darüber aus, ob ein Kanzlerkan­didat für die Herausford­erung der angestrebt­en Position geeignet ist. Der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder schreibt in seinen Erinnerung­en, dass die Regierung auch von erfahrenen Beamten geleitet werden könnte. Ein richtiger Politiker werde man erst durch eine gewonnene Wahl.

Es ist vielleicht das Manko Baerbocks, dass sie sich dieser Herausford­erung als Spitzenkan­didatin noch nicht stellen musste – weder auf Bundes- noch auf Landeseben­e. Das Alles-oder-nichtsGefü­hl kennen indes ihre beiden Kontrahent­en Olaf Scholz in Hamburg und Armin Laschet in Nordrhein-westfalen. Und gerade im Bund wurden die Wahlkämpfe auch in der Vergangenh­eit mit Haken und Ösen geführt. Negativkam­pagnen, Anschwärzu­ngen des Gegners und verdeckte Angriffe waren da keine Seltenheit.

Der als Gründer der Bundesrepu­blik geltende erste Bundeskanz­ler Konrad Adenauer (CDU) spielte im Wahlkampf von 1961 gerne auf die uneheliche Herkunft seines Herausford­erers Willy Brandt (SPD) an, was damals als Makel galt. Ein Schmutzkri­eg ersten Ranges war der Wahlkampf in Schleswig-holstein im Jahr 1987, als die CDU nach mehr als 37 Jahren um die Regierungs­mehrheit fürchtete. In einer Negativkam­pagne sollte dem Spd-spitzenkan­didaten Björn Engholm Steuerhint­erziehung und eine Infektion mit der Immunschwä­chekrankhe­it Aids angehängt werden. Es wurde der größte Politskand­al der Bundesrepu­blik, als Ministerpr­äsident Uwe Barschel (CDU) nach seinem Rücktritt tot in einem Genfer Hotel gefunden wurde. Doch auch Engholm quittierte seinen Dienst als SPD-CHEF sechs Jahre später, weil auch er und seine Partei in den Rufmordska­ndal über Bestechung­sgelder und falsche Aussagen verwickelt waren.

Besonders heftig traf es den FDP-VORsitzend­en und ewigen Außenminis­ter Hans-dietrich Genscher, dem bei seinem Koalitions­wechsel von der SPD zur Union 1982 Verrat vorgeworfe­n wurde. Die Kampagne hätte beinahe die Liberalen als politische Kraft vernichtet.

Auch in jüngerer Zeit wurden Kanzlerkan­didaten beispiello­sen Härtetests unterzogen. Der Spd-anwärter Rudolf Scharping stolperte durch seine Verwechslu­ng von Brutto- und Nettogehal­t bei der Vorstellun­g seiner Steuerplän­e so sehr, dass er den sicher geglaubten Wahlsieg verspielte. Ein gefundenes Fressen für die Negativ-campaigner der Union. Bundeskanz­ler Helmut Kohl bezeichnet­e 1998 seinen Spd-herausford­erer Gerhard Schröder als „charakterl­osesten Politiker“Deutschlan­ds und verlor. 2005 musste sich die Christdemo­kratin Angela Merkel mit dem Vorwurf auseinande­rsetzen, als Fdj-funktionär­in in Zeiten der DDR der Stasi zugearbeit­et zu haben. Noch Jahre später bezeichnet­e der Linkspolit­iker und frühere SPDChef Oskar Lafontaine die Kanzlerin als „Jungkommun­istin“und „Sekretärin für Agitation und Propaganda“, obwohl die Vorwürfe aus der Luft gegriffen waren.

Es verfängt deshalb nur bedingt, wenn die Grünen jetzt von „Rufmord“sprechen oder der Baerbock-unterstütz­er Joe Kaeser im Online-portal „Mediapione­er“davon spricht, dass ein Mann im vergleichb­aren Fall nicht der jüngsten Kampagne ausgesetzt wäre.

Es geht nicht darum, eine junge und politisch unbequeme Frau im Kanzleramt zu verhindern, sondern um schiere Machtpolit­ik. Die Prognose sei gewagt, dass auch Grünen-co-chef Robert Habeck, der für Baerbock auf die Kandidatur verzichtet­e, ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt gewesen wäre, wenn sich die Gelegenhei­t geboten hätte.

Eine funktionie­rende Demokratie stellt einen zivilisier­ten Übergang der Macht sicher. Vor Schmutzkam­pagnen, unbewiesen­en Vorwürfen und knochenhar­tem politische­n Kampf bewahrt sie nicht. Zwar klären am Ende die Gerichte, was an Beschuldig­ungen dran ist. Aber dann kann es zu spät sein. In der Zwischenze­it müssen die Kandidaten selbst die Krise managen und beweisen, dass sie eine solche Situation aushalten. Empörung allein reicht nicht. Daran hapert es derzeit bei den Grünen.

Übrigens hat Unionskand­idat Laschet Glück, dass er seine „Skandale“schon hinter sich hat. Die Affäre um „rekonstrui­erte Noten“nach dem Verlust von Klausuren, die er als Universitä­tsdozent in Aachen zu verantwort­en hatte, ist ebenso vergessen wie ein Buch, das er als Integratio­nsminister vor allem von Mitarbeite­rn schreiben ließ. Später verschenkt­e er die Erlöse aus dem Verkauf des Buchs für einen guten Zweck, machte die Spende aber auf seiner Steuererkl­ärung geltend. Manchmal kommt es eben auch auf den Zeitpunkt des echten oder vermeintli­chen Skandals an.

Konrad Adenauer spielte gerne auf die uneheliche Herkunft von Willy Brandt an

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