Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Baerbock im Härtetest
ANALYSE Die Grünen reden bei den jüngsten Plagiatsvorwürfen von Rufmord und Schmutzwahlkampf – doch ihre Kanzlerkandidatin muss nun beweisen, dass sie mit Anfeindungen und Negativkampagnen umgehen kann.
Den politischen Gegner in einem Machtkampf anzuschwärzen, ist so alt wie das politische Geschäft selbst. Im Kampf um das Konsulat der Römischen Republik im Jahr 63 vor Christus beschuldigte der Aufsteiger Marcus Tullius Cicero seinen adligen Gegner Catilina des Kindesmissbrauchs, wobei der freilich selbst vor Bestechung und Gewaltanwendung im Vorfeld der Abstimmung nicht zurückschreckte.
Jetzt hat es die Grünen-bewerberin Annalena Baerbock erwischt. Die Vorwürfe ihr gegenüber sind im Vergleich dazu fast harmlos. Gleichwohl kratzt es an der Glaubwürdigkeit der Kanzlerkandidatin, dass sie an zwölf Stellen in ihrem neuen Buch (siehe Infokasten) aus anderen Quellen abgeschrieben hat, ohne sie zu nennen. Es geht hier nicht darum, ob es sich um einen aufgebauschten Skandal handelt, wofür einiges spricht, sondern darum, wie die Bewerberin um das wichtigste Staatsamt der Bundesrepublik damit umgeht.
Demokratische Wahlkämpfe sind ein Härtetest und sagen auch etwas darüber aus, ob ein Kanzlerkandidat für die Herausforderung der angestrebten Position geeignet ist. Der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder schreibt in seinen Erinnerungen, dass die Regierung auch von erfahrenen Beamten geleitet werden könnte. Ein richtiger Politiker werde man erst durch eine gewonnene Wahl.
Es ist vielleicht das Manko Baerbocks, dass sie sich dieser Herausforderung als Spitzenkandidatin noch nicht stellen musste – weder auf Bundes- noch auf Landesebene. Das Alles-oder-nichtsGefühl kennen indes ihre beiden Kontrahenten Olaf Scholz in Hamburg und Armin Laschet in Nordrhein-westfalen. Und gerade im Bund wurden die Wahlkämpfe auch in der Vergangenheit mit Haken und Ösen geführt. Negativkampagnen, Anschwärzungen des Gegners und verdeckte Angriffe waren da keine Seltenheit.
Der als Gründer der Bundesrepublik geltende erste Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) spielte im Wahlkampf von 1961 gerne auf die uneheliche Herkunft seines Herausforderers Willy Brandt (SPD) an, was damals als Makel galt. Ein Schmutzkrieg ersten Ranges war der Wahlkampf in Schleswig-holstein im Jahr 1987, als die CDU nach mehr als 37 Jahren um die Regierungsmehrheit fürchtete. In einer Negativkampagne sollte dem Spd-spitzenkandidaten Björn Engholm Steuerhinterziehung und eine Infektion mit der Immunschwächekrankheit Aids angehängt werden. Es wurde der größte Politskandal der Bundesrepublik, als Ministerpräsident Uwe Barschel (CDU) nach seinem Rücktritt tot in einem Genfer Hotel gefunden wurde. Doch auch Engholm quittierte seinen Dienst als SPD-CHEF sechs Jahre später, weil auch er und seine Partei in den Rufmordskandal über Bestechungsgelder und falsche Aussagen verwickelt waren.
Besonders heftig traf es den FDP-VORsitzenden und ewigen Außenminister Hans-dietrich Genscher, dem bei seinem Koalitionswechsel von der SPD zur Union 1982 Verrat vorgeworfen wurde. Die Kampagne hätte beinahe die Liberalen als politische Kraft vernichtet.
Auch in jüngerer Zeit wurden Kanzlerkandidaten beispiellosen Härtetests unterzogen. Der Spd-anwärter Rudolf Scharping stolperte durch seine Verwechslung von Brutto- und Nettogehalt bei der Vorstellung seiner Steuerpläne so sehr, dass er den sicher geglaubten Wahlsieg verspielte. Ein gefundenes Fressen für die Negativ-campaigner der Union. Bundeskanzler Helmut Kohl bezeichnete 1998 seinen Spd-herausforderer Gerhard Schröder als „charakterlosesten Politiker“Deutschlands und verlor. 2005 musste sich die Christdemokratin Angela Merkel mit dem Vorwurf auseinandersetzen, als Fdj-funktionärin in Zeiten der DDR der Stasi zugearbeitet zu haben. Noch Jahre später bezeichnete der Linkspolitiker und frühere SPDChef Oskar Lafontaine die Kanzlerin als „Jungkommunistin“und „Sekretärin für Agitation und Propaganda“, obwohl die Vorwürfe aus der Luft gegriffen waren.
Es verfängt deshalb nur bedingt, wenn die Grünen jetzt von „Rufmord“sprechen oder der Baerbock-unterstützer Joe Kaeser im Online-portal „Mediapioneer“davon spricht, dass ein Mann im vergleichbaren Fall nicht der jüngsten Kampagne ausgesetzt wäre.
Es geht nicht darum, eine junge und politisch unbequeme Frau im Kanzleramt zu verhindern, sondern um schiere Machtpolitik. Die Prognose sei gewagt, dass auch Grünen-co-chef Robert Habeck, der für Baerbock auf die Kandidatur verzichtete, ähnlichen Vorwürfen ausgesetzt gewesen wäre, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte.
Eine funktionierende Demokratie stellt einen zivilisierten Übergang der Macht sicher. Vor Schmutzkampagnen, unbewiesenen Vorwürfen und knochenhartem politischen Kampf bewahrt sie nicht. Zwar klären am Ende die Gerichte, was an Beschuldigungen dran ist. Aber dann kann es zu spät sein. In der Zwischenzeit müssen die Kandidaten selbst die Krise managen und beweisen, dass sie eine solche Situation aushalten. Empörung allein reicht nicht. Daran hapert es derzeit bei den Grünen.
Übrigens hat Unionskandidat Laschet Glück, dass er seine „Skandale“schon hinter sich hat. Die Affäre um „rekonstruierte Noten“nach dem Verlust von Klausuren, die er als Universitätsdozent in Aachen zu verantworten hatte, ist ebenso vergessen wie ein Buch, das er als Integrationsminister vor allem von Mitarbeitern schreiben ließ. Später verschenkte er die Erlöse aus dem Verkauf des Buchs für einen guten Zweck, machte die Spende aber auf seiner Steuererklärung geltend. Manchmal kommt es eben auch auf den Zeitpunkt des echten oder vermeintlichen Skandals an.
Konrad Adenauer spielte gerne auf die uneheliche Herkunft von Willy Brandt an