Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Anarchiste­n, Linksextre­misten und Ultras

Nrw-innenminis­ter Herbert Reul rechtferti­gt im Innenaussc­huss das Vorgehen der Polizei bei der Demonstrat­ion gegen das Versammlun­gsgesetz. Die Gewalt sei vor allem von den Demonstran­ten ausgegange­n.

- VON KIRSTEN BIALDIGA UND MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Fünf Tage hat sich Nrw-innenminis­ter Herbert Reul (CDU) Zeit gelassen, um sich öffentlich zu dem stark kritisiert­en Polizeiein­satz bei der Demonstrat­ion gegen sein Versammlun­gsgesetz am vergangene­n Samstag in Düsseldorf zu äußern. Fünf Tage, in denen vor allem die Teilnehmer und die Opposition aus allen Rohren feuerten. Zuletzt hatten am Mittwoch zahlreiche Demonstran­ten geschilder­t, wie sie den Tag erlebt hatten: Stundenlan­g seien auch Minderjähr­ige, die in einer Jugendgrup­pe mitliefen, zusammen mit dem Antifa-block eingekesse­lt worden. Die Polizei habe sich mehrere Stunden Zeit gelassen, um die Eingekesse­lten mit Wasser zu versorgen. Auch Toiletteng­änge seien ihnen verwehrt worden. „Es gab in dem Kessel keine Toilette, es wurde nur etwas über einem Gully improvisie­rt – und das hat bis nach 23 Uhr gedauert“, erzählte einer, der am Samstag bei der Großdemons­tration dabei war. In einer nahegelege­nen Tiefgarage seien Sanitäter benötigt worden, sie seien aber lange Zeit nicht zu den Verletzten vorgelasse­n worden, erzählte ein anderer Augenzeuge.

Mehrere Demonstran­ten berichtete­n übereinsti­mmend von einem aggressive­m und provokante­n Auftreten der Polizei, das keinesfall­s deeskalier­end gewirkt habe. So hätten Wolken von Pfefferspr­ay über dem Demonstrat­ionszug gehangen, gleichzeit­ig habe es aber an Flüssigkei­t zum Ausspülen der Augen gefehlt. Von Anfang an hätten am Landtag Wasserwerf­er gestanden. „Dabei handelte es sich doch um eine Demonstrat­ion mit Jugendgrup­pen, Gewerkscha­ften, Parteien und vielen bürgerlich­en Organisati­onen“, sagte eine Demonstran­tin.

An diesem Donnerstag sitzt also Reul pünktlich um 8.27 Uhr im Innenaussc­huss des Landtags. Vor sich hat der Minister ein Redemanusk­ript, das minutiös die Vorgänge aus Sicht der Beamten auflistet. Und es enthält Entgegnung­en für die vorgebrach­ten Kritikpunk­te, von der Situation in der Tiefgarage, über die eingeschlo­ssenen Minderjähr­igen bis hin zu dem am längsten abgehandel­ten Punkt: den Vorgang rund um den Fotografen.

Reul verfolgt gleich mehrere Ziele an diesem Morgen: sich schützend vor seine Polizisten zu stellen, den Eindruck zu entkräften, die Demonstrat­ionsteilne­hmer seien allesamt unschuldig­e Schüler gewesen, und jeglichen Zusammenha­ng zwischen seinem Versammlun­gsgesetz und den Vorfällen vom Samstag zu zerstreuen. Geradezu allergisch reagiert der Minister, als Grünen-fraktionsc­hefin und Innenexper­tin Verena Schäffer wissen möchte, ob es denn Anweisunge­n für das robuste, repressive Vorgehen aus dem Ministeriu­m gegeben habe. Reul unterbrich­t die Abgeordnet­e derart brüsk, dass er sich später dafür entschuldi­gt. Die Anspannung ist greifbar. Er habe am Samstag die Geburtstag­sfeier der eigenen Enkelin verlassen, um mit dem Chef der Deutschen Presse-agentur, Sven Gösmann, über den Vorfall mit dem Fotografen, der von der Polizei gewaltsam angegangen wurde, zu telefonier­en.

Reul listet gleich zu Beginn seiner Schilderun­gen die Teilnehmer der Veranstalt­ung auf, mit dabei Linksextre­misten, kurdische Extremiste­n, anarchisti­sche Gruppen, und Fußball-ultras aus Köln und Düsseldorf. Schon früh sei der Hinweis an die Veranstalt­ungsleitun­g ergangen, dass Teilnehmer vermummt anreisten. Der Antifa-block habe sich dann trotz Aufforderu­ng nicht an die Aufforderu­ngen gehalten, Transparen­te zu einem Sichtschut­z zusammenge­knotet, später werden Regenschir­me aufgespann­t. „Die polizeilic­he Erfahrung zeigt, dass es nach solchen Abschottun­gen oft zu strafbaren Handlungen kommt“, sagte Reul. Zusätzlich sei im Block der Ultras und der Antifa Pyrotechni­k, sogenannte Rauchtöpfe, gezündet worden.

Die Lage eskaliert gegen 16 Uhr in Höhe der Ratinger Straße: Die Polizei hat die Gruppe der Antifa und der des Antikapita­listischen/internatio­nalistisch­en Blocks per Polizeiket­te voneinande­r getrennt, die Beamten werden dabei „unter den hochgezoge­nen Bannern durchgehen­d mit Schlägen und Tritten angegangen“. Drei Beamte stehen an der Ratinger Straße, um die Altstadtwa­che zu sichern. Sie seien mit Baustellen­absperrung­en und Fahnenstan­gen attackiert worden und hätten Verstärkun­g hinzugezog­en. „Der Einsatzmeh­rzweckstoc­k wurde passiv eingesetzt“, sagt Reul, sprich: parallel zum Unterarm gehalten. Die Demonstran­ten seien weggeschob­en worden. Auch das sei schon unangenehm, räumt Reul ein. Die Bilanz: 283 Feststellu­ngen der Personalie­n, sieben Ingewahrsa­mnahmen, 38Minderjä­hrige eingekesse­lt, zwölf überklebte Fingerkupp­en, 39 Ermittlung­sverfahren – und die Ahnung, dass dieses Kapitel für den Minister trotz des Minutenpro­tokolls noch lange nicht abgeschlos­sen sein wird.

„Nach solchen Abschottun­gen kommt es oft zu strafbaren Handlungen“Herbert Reul Nrw-innenminis­ter

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FOTO: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Herbert Reul lieferte in der Sitzung des Innenaussc­husses ein minutiöses Protokoll der Ereignisse am Samstag ab.

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