Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Anarchisten, Linksextremisten und Ultras
Nrw-innenminister Herbert Reul rechtfertigt im Innenausschuss das Vorgehen der Polizei bei der Demonstration gegen das Versammlungsgesetz. Die Gewalt sei vor allem von den Demonstranten ausgegangen.
DÜSSELDORF Fünf Tage hat sich Nrw-innenminister Herbert Reul (CDU) Zeit gelassen, um sich öffentlich zu dem stark kritisierten Polizeieinsatz bei der Demonstration gegen sein Versammlungsgesetz am vergangenen Samstag in Düsseldorf zu äußern. Fünf Tage, in denen vor allem die Teilnehmer und die Opposition aus allen Rohren feuerten. Zuletzt hatten am Mittwoch zahlreiche Demonstranten geschildert, wie sie den Tag erlebt hatten: Stundenlang seien auch Minderjährige, die in einer Jugendgruppe mitliefen, zusammen mit dem Antifa-block eingekesselt worden. Die Polizei habe sich mehrere Stunden Zeit gelassen, um die Eingekesselten mit Wasser zu versorgen. Auch Toilettengänge seien ihnen verwehrt worden. „Es gab in dem Kessel keine Toilette, es wurde nur etwas über einem Gully improvisiert – und das hat bis nach 23 Uhr gedauert“, erzählte einer, der am Samstag bei der Großdemonstration dabei war. In einer nahegelegenen Tiefgarage seien Sanitäter benötigt worden, sie seien aber lange Zeit nicht zu den Verletzten vorgelassen worden, erzählte ein anderer Augenzeuge.
Mehrere Demonstranten berichteten übereinstimmend von einem aggressivem und provokanten Auftreten der Polizei, das keinesfalls deeskalierend gewirkt habe. So hätten Wolken von Pfefferspray über dem Demonstrationszug gehangen, gleichzeitig habe es aber an Flüssigkeit zum Ausspülen der Augen gefehlt. Von Anfang an hätten am Landtag Wasserwerfer gestanden. „Dabei handelte es sich doch um eine Demonstration mit Jugendgruppen, Gewerkschaften, Parteien und vielen bürgerlichen Organisationen“, sagte eine Demonstrantin.
An diesem Donnerstag sitzt also Reul pünktlich um 8.27 Uhr im Innenausschuss des Landtags. Vor sich hat der Minister ein Redemanuskript, das minutiös die Vorgänge aus Sicht der Beamten auflistet. Und es enthält Entgegnungen für die vorgebrachten Kritikpunkte, von der Situation in der Tiefgarage, über die eingeschlossenen Minderjährigen bis hin zu dem am längsten abgehandelten Punkt: den Vorgang rund um den Fotografen.
Reul verfolgt gleich mehrere Ziele an diesem Morgen: sich schützend vor seine Polizisten zu stellen, den Eindruck zu entkräften, die Demonstrationsteilnehmer seien allesamt unschuldige Schüler gewesen, und jeglichen Zusammenhang zwischen seinem Versammlungsgesetz und den Vorfällen vom Samstag zu zerstreuen. Geradezu allergisch reagiert der Minister, als Grünen-fraktionschefin und Innenexpertin Verena Schäffer wissen möchte, ob es denn Anweisungen für das robuste, repressive Vorgehen aus dem Ministerium gegeben habe. Reul unterbricht die Abgeordnete derart brüsk, dass er sich später dafür entschuldigt. Die Anspannung ist greifbar. Er habe am Samstag die Geburtstagsfeier der eigenen Enkelin verlassen, um mit dem Chef der Deutschen Presse-agentur, Sven Gösmann, über den Vorfall mit dem Fotografen, der von der Polizei gewaltsam angegangen wurde, zu telefonieren.
Reul listet gleich zu Beginn seiner Schilderungen die Teilnehmer der Veranstaltung auf, mit dabei Linksextremisten, kurdische Extremisten, anarchistische Gruppen, und Fußball-ultras aus Köln und Düsseldorf. Schon früh sei der Hinweis an die Veranstaltungsleitung ergangen, dass Teilnehmer vermummt anreisten. Der Antifa-block habe sich dann trotz Aufforderung nicht an die Aufforderungen gehalten, Transparente zu einem Sichtschutz zusammengeknotet, später werden Regenschirme aufgespannt. „Die polizeiliche Erfahrung zeigt, dass es nach solchen Abschottungen oft zu strafbaren Handlungen kommt“, sagte Reul. Zusätzlich sei im Block der Ultras und der Antifa Pyrotechnik, sogenannte Rauchtöpfe, gezündet worden.
Die Lage eskaliert gegen 16 Uhr in Höhe der Ratinger Straße: Die Polizei hat die Gruppe der Antifa und der des Antikapitalistischen/internationalistischen Blocks per Polizeikette voneinander getrennt, die Beamten werden dabei „unter den hochgezogenen Bannern durchgehend mit Schlägen und Tritten angegangen“. Drei Beamte stehen an der Ratinger Straße, um die Altstadtwache zu sichern. Sie seien mit Baustellenabsperrungen und Fahnenstangen attackiert worden und hätten Verstärkung hinzugezogen. „Der Einsatzmehrzweckstock wurde passiv eingesetzt“, sagt Reul, sprich: parallel zum Unterarm gehalten. Die Demonstranten seien weggeschoben worden. Auch das sei schon unangenehm, räumt Reul ein. Die Bilanz: 283 Feststellungen der Personalien, sieben Ingewahrsamnahmen, 38Minderjährige eingekesselt, zwölf überklebte Fingerkuppen, 39 Ermittlungsverfahren – und die Ahnung, dass dieses Kapitel für den Minister trotz des Minutenprotokolls noch lange nicht abgeschlossen sein wird.
„Nach solchen Abschottungen kommt es oft zu strafbaren Handlungen“Herbert Reul Nrw-innenminister