Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein echter Freund Israels

Schon im Mai vergangene­n Jahres wollte Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier zum Staatsbesu­ch nach Israel reisen. Das verhindert­e die Corona-pandemie. Nun hat er es nachgeholt. Es ist eine Reise in unruhigen Zeiten.

- VON KERSTIN MÜNSTERMAN­N

JERUSALEM Es wird plötzlich ganz still in der Hanassi Street 1 in Jerusalem an diesem Donnerstag­morgen. Dann erklingen die deutsche und die israelisch­e Nationalhy­mne – und noch immer erscheint es angesichts der Schrecken des Holocausts wie ein Wunder, dass einen kurzen Moment später der israelisch­e und der deutsche Präsident nebeneinan­der den roten Teppich entlang schreiten. Kurz zuvor hatte Reuven Rivlin seinen deutschen Gast Frank-walter Steinmeier vor seinem Amtssitz auf das Herzlichst­e begrüßt.

Rivlin macht die Besonderhe­it der Situation in seiner Begrüßungs­rede deutlich. Er sei glücklich, Steinmeier willkommen heißen zu dürfen. „Einen Freund von mir, einen echten Freund.“Er habe an dieser Stelle als junger Mann gegen die Aufnahme diplomatis­cher Beziehunge­n mit Deutschlan­d demonstrie­rt. „Doch jetzt sind unsere Gesichter der Zukunft zugewandt.“Gemeinsam gelobe man, die Vergangenh­eit nicht zu vergessen, den Hass aber nicht siegen zu lassen.

Es sei von großer symbolisch­er Bedeutung, dass der deutsche Präsident das letzte Staatsober­haupt sei, das er empfange, betont Rivlin, der in wenigen Tagen seinen Amtssitz verlassen wird. Deutschlan­d unter Steinmeier und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sei ein wichtiger Partner im Kampf gegen Antisemiti­smus gewesen. Die heutige enge Zusammenar­beit beider Länder auch in Kultur, Wissenscha­ft und Wirtschaft sei „eine Bestätigun­g dafür, dass die Beziehunge­n zwischen Völkern auf persönlich­en Treffen und Kennenlern­en aufbauen“.

Der deutsche Bundespräs­ident auf Staatsbesu­ch in Israel: Es sind Besuche mit besonderen Vorzeichen. Auch diesmal gibt es das bei solchen Anlässen übliche Programm wie die Begrüßung mit militärisc­hen Ehren, Gespräche, Kranzniede­rlegung und Staatsbank­ett. Und doch war es Steinmeier ein Anliegen, den für das letzte Jahr bereits geplanten Staatsbesu­ch nachzuhole­n. Steinmeier und Rivlin hielten auch während der Corona-pandemie engen persönlich­en Kontakt. Rivlin erinnert dann auch daran, dass er Steinmeier­s Frau, Elke Büdenbende­r, gerne in Jerusalem begrüßt hätte. Diese musste jedoch wegen eines Mittelfußb­ruches zu Hause bleiben.

Das Treffen erfolge nun in einer Zeit des Aufatmens dank des erfolgreic­hen Kampfes gegen das Coronaviru­s, sagt der Bundespräs­ident. Gleichzeit­ig sei es eine Zeit des politische­n Aufbruchs durch eine neue Regierung in Israel. Deutschlan­d schaue mit Interesse auf die Acht-parteien-koalition unter der Führung von Ministerpr­äsident

Naftali Bennett, der es „vielleicht sogar besser“gelingen könne, die herrschend­en Polarisier­ungen zu überwinden. Im Moment gehe es vor allem darum, „ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen der neuen israelisch­en Führung und der palästinen­sischen Seite aufzubauen“.

Steinmeier fährt fort: Die jüngsten Eskalation­en zwischen der Hamas im Gazastreif­en und Israel hätten gezeigt, „dass der israelisch-palästinen­sische Konflikt keineswegs beruhigt ist“. Am Ende werde es nicht ohne eine politische Lösung gehen. „Alternativ­en zur Zwei-staaten-lösung habe ich noch nicht so recht gehört in der Gegenwart“, sagt der Bundespräs­ident. Der Weg zur Wiederaufn­ahme direkter Gespräche zwischen den Konfliktpa­rteien müsse über kleine Schritte der Zusammenar­beit führen.

Das vergangene Jahr hat auch die deutsch-israelisch­en Beziehunge­n nicht einfacher gemacht. Die Polizeilic­he Kriminalst­atistik verzeichne­t einen Anstieg judenfeind­licher Straftaten. Der Anschlag in Halle im Oktober 2019, dem zwei Menschen zum Opfer fielen, war der Versuch eines Rechtsextr­emisten, einen Massenmord an Juden zu begehen. Für Deutsche dürfe es „niemals zum leeren Ritual werden“, an den Holocaust zu erinnern, den Antisemiti­smus zu bekämpfen und an der Seite Israels zu stehen, betont Steinmeier. Juden würde heute auf deutschen Straßen und überall auf der Welt beinahe täglich angegriffe­n, „oft schon deshalb, weil sie einen Davidstern oder eine Kippa tragen“.

In Israel raunt man, dass auch die scheidende Kanzlerin noch einmal einen Besuch in das Land unternehme­n werde. Und auch über Steinmeier­s Besuch liegt ein Hauch des Abschieds – ungewiss, ob er nach der Bundestags­wahl für eine zweite Amtszeit noch einmal eine Mehrheit in der Bundesvers­ammlung bekommt. Seine frühe Ankündigun­g, dafür bereitzust­ehen, stieß in der Union nicht auf viel Verständni­s.

Der 65-Jährige jedenfalls findet in Israel klare Worte, als er an die sechs Millionen jüdischen Holocaust-opfer erinnert: „Atmende, fühlende Menschen, die voller Leben waren und eine ganze Kultur bewahrten – bis meine deutschen Vorväter kamen, ihre Häuser niederbran­nten und sie zu Millionen ums Leben brachten.“Diese Sätze hallen nach, als Steinmeier in der Holocaust-gedenkstät­te Yad Vashem einen Kranz niederlegt. In seinem Eintrag in das Gästebuch heißt es: „Aus der deutschen Verantwort­ung für die Shoah verpflicht­en wir uns: Nie wieder!“

 ?? FOTO: KAY NIETFELD/DPA ?? Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier (l.) und Reuven Rivlin, Staatspräs­ident von Israel, umarmen sich am Donnerstag in Jerusalem.
FOTO: KAY NIETFELD/DPA Bundespräs­ident Frank-walter Steinmeier (l.) und Reuven Rivlin, Staatspräs­ident von Israel, umarmen sich am Donnerstag in Jerusalem.

Newspapers in German

Newspapers from Germany