Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Start-ups auf dem Fußballtri­kot

Immer häufiger nutzen Digitalfir­men den Sport als Werbefläch­e – obwohl Effekte schwer zu messen sind. Das hat Gründe.

- VON FLORIAN RINKE

BOCHUM Es war ein Coup – von dem gerade in Düsseldorf einige böse überrascht wurden: 2017 gab der VFL Bochum bekannt, dass die Düsseldorf­er Hotel-suchmaschi­ne Trivago in der kommenden Saison die Brust des damaligen Fußball-zweitligis­ten zieren würde. Banken, Biermarken, Autoherste­ller: Das waren zuvor die Branchen, aus denen die Clubs ihre Sponsoren rekrutiert­en. Und nun? Ein Start-up – und noch dazu eins, das genau wissen wollte, was die Werbung wirklich bringt.

„Wir haben damals beim VFL Bochum unheimlich viel durch das Hauptspons­oring von Trivago gelernt“, erzählt Wilken Engelbrach­t. Er sitzt auf der Bühne in der Bochumer Jahrhunder­thalle, wo in dieser Woche die Start-up-konferenz Ruhrsummit stattfand, und spricht über die Veränderun­gen im Fußball durch Start-ups und die Digitalisi­erung.

Engelbrach­t ist einer der Gründer des Risikokapi­talgebers Cusp Capital aus Essen, er investiert hauptberuf­lich in Start-ups. Aber 2017 war er Vorstandsm­itglied beim VFL Bochum– und dort zuständig fürs Marketing. Man habe mit dem Vertrag Neuland in der Branche betreten, erzählt Engelbrach­t: Erstmals seien signifikan­te Teile der Vergütung von geschäftsb­ezogenen Leistungsk­ennzahlen abhängig gewesen.

Start-ups und Fußball – das passt beim Marketing auf den ersten Blick nicht zusammen. Denn Digitalunt­ernehmen arbeiten datengetri­eben, auch bei der Werbung setzt man lieber auf zielgruppe­nspezifisc­he Anzeigen bei Google & Co. Trikots, Stadien oder auch Werbebande­n spielten da lange Zeit keine Rolle.

Doch das hat sich geändert. „Wir sehen aktuell bei der Europameis­terschaft, dass vermehrt größere Digitalunt­ernehmen wie Takeaway oder Tiktok als Sponsoren auftauchen“, sagt Engelbrach­t: „Die Marketingb­udgets, die dafür nötig sind, übersteige­n jedoch sicherlich das Budget von jungen Start-ups.“

Der Risikokapi­talgeber vermutet, dass selbst ein sehr gut finanziert­es Start-up nicht mehr als ein bis zweimillio­nen Euro für ein Trikotspon­soring ausgeben könne. „Anderersei­ts hat die Corona-pandemie sicher auch dazu geführt, dass die Preise im Sportspons­oring unter Druck geraten sind“, sagt Engelbrach­t. Das habe vermutlich auch das damalige Trikot-sponsoring von Homeday bei Hertha BSC begünstigt.

Das Online-maklerunte­rnehmen hatte zum Jahreswech­sel bekannt gegeben, für einige Monate auf dem Trikot des Bundesligi­sten aus Berlin werben zu wollen. In der Start-upHauptsta­dt kommt es damit nun erstmals dazu, dass ein Start-up ein anderes ablöst: Zum 1. Juli übernimmt Auto1. Die börsennoti­erte Berliner Firma nutzt das Trikot, um sein Gebrauchtw­agenportal Autohero bekannter zu machen.

„Auch digitale Unternehme­n kommen bei Themen wie Markenaufb­au oder Employer-branding rein auf digitalen Kanälen an ihre Grenzen“, sagt Engelbrach­t: „Deshalb überrascht es mich auch nicht, dass Fußballspo­nsoring mit seiner nach wie vor hohen Reichweite und Emotionali­tät für digitale Unternehme­n wir Homeday, Autohero oder Teamviewer einen attraktive­n Teil ihrer Marketings­trategie darstellt.“

Das Göppinger Unternehme­n Teamviewer hatte für Schlagzeil­en gesorgt, als es kürzlich ein Trikot-sponsoring beim Fußballclu­b Manchester United bekanntgab – für angeblich 46Millione­n Euro pro Saison. Der Börsenkurs des Software-anbieters rauschte daraufhin erstmal in den Keller, immerhin entsprach die Summe rund einem Zehntel des gesamten Umsatzes.

Engelbrach­t würde sich wünschen, dass die Vereine nicht nur für Technologi­eunternehm­en werben, sondern auch stärker mit ihnen zusammenar­beiten würden. Gerade im Themenkomp­lex des datenbasie­rten Scoutings und der statistisc­hen Analyse der sportliche­n Leistung gibt es aus seiner Sicht Nachholbed­arf in

Deutschlan­d: „Hier sind einige Clubs in skandinavi­schen Ligen und in der englischen Liga schon viel weiter in ihrem Denken.“

Doch während die Corona-pandemie in anderen Bereichen einen Digitalisi­erungsschu­b ausgelöst hat, könnte sie gerade im Fußball das Gegenteil bewirken: „Ich fürchte, dass die Pandemie dafür sorgen wird, dass im Profifußba­ll viele digitale Innovation­sprojekte und auch Kooperatio­nen mit Start-ups zumindest vorläufig auf Eis gelegt werden“, sagt Engelbrach­t: „Die Clubs haben in den vergangene­n 18Monaten massive Verluste gemacht und werden sich in den kommenden Monaten oder auch Jahren stärker auf den Schuldenab­bau und Investitio­nen im Kerngeschä­ft konzentrie­ren.“

Trivago hat sich unterdesse­n aus dem deutschen Fußball nach nur einer Saison zurückgezo­gen. Inzwischen werben sie auf der Trainingsk­leidung des englischen Premier-league-clubs FC Chelsea. Das ist günstiger als Trikotwerb­ung.

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