Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der einzige Weg in die Heimat
Australien hat sich während der Pandemie fast komplett abgeschottet. Selbst Staatsbürgern fällt es schwer, aus dem Ausland wieder zurückzukommen. Ein verzweifeltes Paar segelt deshalb jetzt von Panama in die Heimat nach Brisbane.
Auf den ersten Blick sehen die Bilder von Tamara Ilic und Jake Shephard nach traumhaften Schnappschüssen aus dem Urlaub aus: Palmen, türkisblaues Meer, romantische Sonnenuntergänge – in Tahiti, Bora Bora und Fidschi. Doch die beiden Australier sind keinesfalls im Urlaub. Seit März segelt das Paar von Panama aus zurück nach Australien. Auf ihrem Youtube-kanal „Lockdown Travellers“schildern die beiden, wie sie wie 40.000 andere Australier während der Pandemie im Ausland gestrandet waren. Nach etlichen gescheiterten Versuchen von Mittelamerika nach Hause zu fliegen, entschieden sich die beiden, den Weg übers Meer zu nehmen. Sie hätten „die Nase voll von gebrochenen Versprechen” und würden nun „über den Pazifischen Ozean segeln, um noch vor Weihnachten 2021 wieder in Australien zu sein“, schreiben sie im Internet.
Wie verzweifelt die beiden nach etlichen gestrichenen Flügen waren, zeigt, dass sie die mehrmonatige Überfahrt ohne Segelerfahrung wagen. Beide müssen sich auf einen fremden Skipper verlassen, um die 14.000 Kilometer bis nach Brisbane zurückzulegen.
Australien hat gleich zu Beginn der Pandemie mit drastischen Maßnahmen reagiert. Seit dem 20. März des vergangenen Jahres lässt das Land keine ausländischen Besucher mehr auf den Kontinent. Auch im Inland schlossen die meisten Bundesstaaten ihre Grenzen und erlaubten – je nach Covid-situation im Land – keine Reisen mehr. Dies bescherte den Australiern im Land ein weitgehend normales Alltagsleben. Mit rund 30.000 Infektionen und rund 910 Toten hatte der Inselstaat die Viruserkrankung deutlich besser im Griff als der Rest der Welt. Die Schattenseite war jedoch, dass zwischenzeitlich bis zu 40.000 Australier im Ausland festsaßen, nachdem die Fluggesellschaften die Flugangebote reduzierten, Preise explodierten und Angebote immer wieder storniert wurden.
Auch die Australier im Land und Bürger mit einer permanenten Aufenthaltsgenehmigung können das Land nur mit einer Ausnahmegenehmigung verlassen, die an strenge Regeln gebunden ist. Ein Familienbesuch beispielsweise reicht als Grund nicht aus. Derzeit geht die Regierung davon aus, dass die Grenzen noch bis mindestens Mitte 2022 geschlossen bleiben müssen. Viele Familien haben sich dann über zwei Jahre nicht mehr gesehen.
Anfang Juni beispielsweise schilderte eine Britin in einem Facebook-forum, die verzweifelte Bürger mit Familie im Ausland ins Leben gerufen haben, ein herzerweichendes Telefonat mit ihrer Mutter in der Heimat. Diese leidet unter anfänglicher Demenz und kann nicht verstehen, warum sie ihre Tochter nicht besuchen kann und diese auch bei ihr nicht vorbeikommt. „Ich erkläre ihr die Restriktionen jede Woche wieder, und dass die Grenzen geschlossen sind“, schrieb sie. Im Großen und Ganzen akzeptieren die meisten Australier die Grenzschließung zwar ohne größeres Murren. Doch als Australiens Premier Scott Morrison im Juni trotz geschlossener Grenzen zum G7-gipfel nach Cornwall reiste, in mehreren Pubs Zwischenstopps machte und zudem den Heimatort seiner Vorfahren besuchte, nahmen ihm das viele Australier übel und bezeichneten sein Vorgehen als „unsensibel“. Madeleine Dunne, eine in London lebende Australierin, twitterte: „Nett vom australischen Premierminister Scott Morrison, seine Familiengeschichte auf seiner ‚Geschäfts‘-reise nach Cornwall zu erkunden. Dank seiner Grenzpolitik habe ich meine lebende, atmende Familie seit zwei Jahren nicht gesehen.“
Auch die „Lockdown Travellers”, wie sich Jake Shepherd und Tamara Ilic selbst nennen, sind nicht allzu gut auf ihren Regierungschef zu sprechen. Die vielen stornierten Flüge und die derzeitige aufwendige Rückreise im Boot haben sie bereits Tausende Dollar gekostet, mit denen sie ursprünglich natürlich nicht gerechnet hatten. Um die Kosten zu decken, mussten sie bereits auf ihre eingezahlten Rentenbeiträge zurückgreifen. Einem australischen Fernsehsender, der über die Notlage des jungen Paars und seine abenteuerliche Reise berichtete, sagte Sheperd, er habe kurzzeitig Hoffnung verspürt, als Morrison im vergangenen Jahr Flüge für Rückkehrer organisieren ließ und behauptete, alle gestrandeten Australier bis Weihnachten wieder nach Hause zu bringen. Doch dann sei er wieder enttäuscht worden. „Offenbar habe ich nicht ganz richtig verstanden, welches Jahr Weihnachten er meinte“, sagte der Australier mit sarkastischem Unterton.