Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

DINSLAKEN

Zwölf Tafeln sollen an die Schicksale von zur Ns-zeit verfolgter und ermordeter Menschen erinnern.

-

Neue Stolperste­ine sind verlegt worden

DINSLAKEN (A.K.W.) Als Anne Prior an Station 4 von 4 angekommen ist und das letzte Mal an diesem Vormittag offiziell das Wort ergreift, wird ihre Stimme brüchig. „Die Kinder kommen wieder zurück: Stück für Stück zurück nach Dinslaken“, sagt sie, nimmt ihre Brille ab und wischt sich die Augen. Die Vorsitzend­e des Vereins Stolperste­ine Dinslaken steht an der Neustraße 43, vor der dm-filiale, am Standort des ehemaligen israelisch­en Waisenhaus­es. Sechs Stolperste­ine sind hier eben mit Unterstütz­ung des Din-services verlegt worden, sechs Schicksale hat Prior den rund 20 Interessie­rten um sie herum näher gebracht. An den drei Stationen zuvor waren es ebenfalls sechs Stück. Eigentlich hätten die Steine schon im vergangene­n Jahr und gemeinsam mit Stolperste­in-künstler Gunter Demnig verlegt werden sollen – doch die Corona-pandemie machte das unmöglich.

Oskar Steuer, Max Steuer, Fritz Ehrlich, Franziska Garbownik, Regina Garbownik und Heinz Eschwege. So hießen die zum damaligen Zeitpunkt zwischen sieben und 16 Jahre alten Kinder und Jugendlich­en, die hier am 10. November 1938 bei den Pogromen aus dem Haus und von Ss-leuten durch die Stadt getrieben worden waren und die, so Prior, „zusehen mussten, wie ihr zuhause zerstört wurde“. Sie alle, hat die Vereinsvor­sitzende recherchie­rt, sind im Anschluss, genauer am 12. Dezember 1938, mittels Kindertran­sport nach Belgien gebracht worden. Für keinen von ihnen war das die letzte Station: Die Halbwaisen und Brüder Oskar (*1931) und Max Steuer (*1930) wurden weitergebr­acht in die Niederland­e, zu ihrer Mutter Rachel Steuer-weiss. Am 14. September 1943 wurden sie vom so genannten Übergangsl­ager in Westerbork nach Auschwitz deportiert. Sie waren zwölf und 13 Jahre alt, als sie in Auschwitz am 17. September 1943 ermordet wurden. Die Schwestern Regina (*1922) und Franziska (*1924) Garbownik, ereilte ein ähnliches Schicksal. Nach dem Kindertran­sport Ende 1938 waren sie zeitweise interniert in einem Waisenhaus in Mechelen (Provinz Antwerpen). Dieses sei eigentlich nur für Jungen gewesen, erzählt Anne Prior. Doch offenbar, so hat sie herausgefu­nden, seien die Familie der Schwestern und die damalige Heimleitun­g miteinande­r bekannt gewesen. Die Schwestern wurden im August 1942 ebenfalls nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Heinz Eschwege (*1924) hingegen „hätte es fast geschafft Auschwitz zu überleben“, erzählt Prior. Er wurde 1944 in das Konzentrat­ionslager deportiert und am 17. Januar 1945 auf einen Todesmarsc­h Richtung Westen gezwungen. Er starb am Tag seiner Ankunft am 29. Januar 1945 im Krankenbau des Konzentrat­ionslagers Mittelbau-dora „an totaler Erschöpfun­g“. Fritz Ehrlich (*1924) war unter den sechs Kinder das einzige, das Auschwitz überlebte. Auch der Junge war zeitweise in Mechelen interniert, wurde 1943 nach Auschwitz deportiert und 1945 aus Bergen-belsen befreit. „Es ist wichtig, dass wir an die Schicksale dieser Menschen erinnern“, betont Prior. Und auch Bürgermeis­terin Michaela Eislöffel ist beeindruck­t, „dass es in unserer Stadt Dinslaken möglich ist, die Spuren jüdischen Lebens sichtbar zu machen“.

 ?? FOTOS (2): MARKUS JOOSTEN ?? Die zwei Stolperste­ine an der Wielandstr­aße 1 erinnern an Mendel und Helene Heilbronn. Der Lehrer und seine Frau wurden von den Nazis umgebracht.
FOTOS (2): MARKUS JOOSTEN Die zwei Stolperste­ine an der Wielandstr­aße 1 erinnern an Mendel und Helene Heilbronn. Der Lehrer und seine Frau wurden von den Nazis umgebracht.
 ??  ?? Anne Prior (Mitte) vom Verein Stolperste­ine Dinslaken erzählt die Geschichte­n hinter den Gedenkstei­nen.
Anne Prior (Mitte) vom Verein Stolperste­ine Dinslaken erzählt die Geschichte­n hinter den Gedenkstei­nen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany