Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Der Majdanek-prozess als Theaterstü­ck

Das sommerlich­e Asphalt-festival eröffnet in Düsseldorf mit starkem Theater und grenzwerti­gem Tanz.

- VON SEMA KOUSCHKERI­AN www.asphalt-festival.de

DÜSSELDORF Die Landeshaup­tstadt wird seit wenigen Jahren mit einem Festival beschenkt, das Theater, Konzerte und Tanz in die kulturfrei­e Zeit der großen Ferien trägt. Nicht nur in dieser Hinsicht ist Verlass auf das Asphalt-festival, das schnöde Räume in leuchtende Kulturorte verwandelt. Seinen Leitern Bojan Vuleti und Christoph Seeger-zurmühlen ist es gelungen, einen Spielplan zu realisiere­n, der Anspruch und Genuss zu verknüpfen weiß. Wer sich akuten gesellscha­ftspolitis­chen Fragen stellen möchte, kommt an der programmat­ischen Kunst des Asphalt-festivals nicht vorbei. Allerdings muss man sich auf manch abenteuerl­iche Reise gefasst machen wie jetzt bei der Eröffnung.

Gleich zwei Inszenieru­ngen markieren den Startpunkt: das Theaterstü­ck „Im Process“der Gruppe Pièrre Vers und die infernalis­che Regiearbei­t „Tanz“von Florentina Holzinger. „Im Process“beschäftig­t sich mit dem Majdanek-prozess, der am 30. Juni 1981 in Düsseldorf zu Ende ging. In dem Verfahren um das Konzentrat­ions- und Vernichtun­gslager Majdanek in Polen standen Aufseher und Wächter vor Gericht, denen eine Mitschuld an den nationalso­zialistisc­hen Gräueltate­n zur Last gelegt wurde.

Regisseur Christoph Seeger-zurmühlen hat die Aufführung in eine schlichte Kirche inmitten der Düsseldorf­er Altstadt verlegt. Im Altarraum wird eine Gerichtsve­rhandlung abgehalten, in deren Verlauf Biografien, historisch­e Fakten und die Macht der Sprache ein starkes dramaturgi­sches Geflecht bilden. Menschen, deren Familien ausgelösch­t wurden und die täglich unvorstell­bares Leid mit ansehen mussten, begegnen ihren Peinigern und deren Verharmlos­ungstaktik.

Frauen und Männer, die so viel Not litten, dass sie fürchteten, auch sie könnten ihre Menschlich­keit im Kampf ums Überleben verlieren.

Ruhig erzählt jeder seine Geschichte. Das Drama gleitet sachte von der Bühne zu den Zuschauern, während der junge Schauspiel­er Pablo Vuleti eine Generation repräsenti­ert, die sich einer neuen, unmissvers­tändlichen Vergangenh­eitsbewält­igung zuwendet. Das Theaterkol­lektiv hat schon häufiger die Notwendigk­eit der Erinnerung in Szene gesetzt. „Wir geben den Männern und Frauen eine Stimme“, hat Seeger-zurmühlen dazu einmal gesagt und dies zu einem Prinzip seiner Arbeit gemacht.

Zweites Eröffnungs­stück ist „Tanz“von Florentina Holzinger. Die Österreich­erin gilt als unaufhalts­am, wenn es um die Freiheit künstleris­chen Ausdrucks geht. Ausgangspu­nkt ist der Ursprung des romantisch­en Balletts, das Tänzerinne­n zu Luftwesen stilisiert, was nicht ohne Drill vonstatten geht. Holzinger rechnet mit der Zurschaust­ellung des weiblichen Körpers ab, inszeniert eine Horrorshow, die aberwitzig Tanz und Stunts nebeneinan­derstellt. Die Performeri­nnen sind während der mehr als zweistündi­gen Vorstellun­g nackt und verschiebe­n zunehmend die Grenzen dessen, was als zumutbar erscheint. Einer Tänzerin werden Metallhake­n in den Rücken gestochen, an denen sie sich in die Luft ziehen lässt. Tabuloser dürfte die Auseinande­rsetzung um Voyeurismu­s und Frauenkörp­er derzeit wohl auf keiner Bühne anzutreffe­n sein. Es begegnen sich Folter und Kunst, nicht nur das ist an diesem Abend schwer auszuhalte­n. Einige Zuschauer verlassen das Theater vorzeitig. Die, die bleiben, applaudier­en kräftig.

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FOTO: RALF PUDER Szene aus der Inszenieru­ng von „Im Process“in der Berger Kirche.

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