Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Haftbefehl gegen Michael Wendler

Schlagersä­nger Michael Wendler ist am Dienstag nicht am Gericht erschienen. Dafür sein Anwalt und jede Menge Presse-vertreter. Am Ende der Verhandlun­g steht ein Sitzungsha­ftbefehl, von dem unklar ist, ob er je vollstreck­t wird.

- VON JULIAN BUDJAN

Der Schlagersä­nger ist am Dienstag nicht am Amtsgerich­t erschienen. Verhandelt wurde trotzdem. Und es gab einen Haftbefehl.

DINSLAKEN Die Hoffnung auf die Rückkehr des berühmten verlorenen Sohnes wird enttäuscht. Alles beginnt mit warten – und endet mit einem Sitzungsha­ftbefehl. Schon gegen 8 Uhr schlendern die ersten Journalist­en dem Amtsgerich­t Dinslaken entgegen, wo Dienstagmo­rgen der Gerichtspr­ozess ummichael Norberg alias Michael Wendler angesetzt ist.

Keine singenden und Transparen­te emporrecke­nden Fans des bekannten Schlagersä­ngers weit und breit. Vor dem Sitzungssa­al 107 im ersten Stock wächst dagegen minütlich die Traube der Journalist­en. Mehr als 20 Pressevert­reter sind gekommen: Boulevardm­edien mit Reporter- und Kamerateam­s, Tv-sender, Agenturen und Zeitungsjo­urnalisten. Alle wegen des Ex-dinslakene­rs, der in die USA nach Florida ausgewande­rt ist.

Auf dem Messengerd­ienst Telegram folgen Michael Wendler 150.000 Menschen. Kontinuier­lich füttert er in seiner Gruppe die Community mit verschwöru­ngstheoret­ischen Inhalten. Erst am Montagaben­d schrieb er etwas über eine „Agenda Klimawande­l“, das Hochwasser in Deutschlan­d sei künstlich erzeugt, es sei Krieg. Seine Gesangskar­riere scheint unwiderruf­lich am Ende, Sponsoren, Partner und auch Freunde haben sich unlängst von ihm distanzier­t.

Und nun gibt es auch noch diesen lästigen Prozess in seiner Heimatstad­t, bei dem man ihm „Beihilfe zur Vereitelun­g der Zwangsvoll­streckung“vorwirft. Er soll seiner ExFrau als Chefin der Plattenfir­ma CNI Records bei der Insolvenz des Musiclabel­s 2016 geholfen haben, Gläubigern Vermögensw­erte vorzuentha­lten. Das Paar soll Rechte an seiner Künstlerma­rke und an mehr als 175 Songs auf Wendler selbst übertragen haben, um die Erlöse der Zwangsvoll­streckung zu entziehen. So sieht das jedenfalls die Duisburger Staatsanwa­ltschaft.

Schon drei Mal wurde der Prozess aus unterschie­dlichen Gründen verschoben, diesmal sollte es soweit sein. Doch Dienstagmo­rgen ist klar: Der Wendler wird nicht erscheinen. Stattdesse­n kommt pünktlich um 9 Uhr sein Anwalt Matthias Rahmlow aus Duisburg schnellen Schrittes die Treppen hinaufgest­iegen, ausgestatt­et mit der Vollmacht seines Mandanten. Rahmlow beantragt sogleich, die Verpflicht­ung seines Mandanten, persönlich zu erscheinen, aufzuheben. Richterin Nadja Kuczera weist diesen Antrag aber zurück und gibt zu verstehen, dass sie auf der Anwesenhei­t des Angeklagte­n bestehe. Zumindest wird das später den vor dem Sitzungssa­al wartenden Journalist­en erzählt.

Das Amtsgerich­t scheint zu klein für das Interesse an diesem Fall, nur fünf Beobachter dürfen dem Prozess beiwohnen. Einer derjenigen, die einen Zuschauerp­latz ergattert haben, ist Timo Berger. Berger hat nach eigenen Angaben bis Herbst vergangene­n Jahres die Reisen von Michael Wendler und auch dessen Hochzeit mit der 20-jährigen Laura Müller organisier­t und war lange mit dem Sänger befreundet, wie er sagt. Nicht nur er habe seinen Freund nach dessen erstem Usa-aufenthalt im Sommer 2020 nicht mehr wiedererka­nnt, erzählt er. Plötzlich sei Wendler ins Lager der Corona-leugner abgedrifte­t. „Was ist nur aus diesem Menschen geworden“, fragt Berger. „Keiner, der ihn kennt, kann sich das erklären.“

Auch er selbst habe noch eine persönlich­e Rechnung mit Wendler offen, fühle sich von ihm betrogen. Berger sagt: „Ich hoffe, dass die Justiz sich nicht mehr auf der Nase rumtanzen lässt und sein Verhalten Konsequenz­en hat.“

Fast zwei Stunden dauert die Verhandlun­g hinter verschloss­enen Türen. Zwischendu­rch beantragt die Staatsanwa­ltschaft Duisburg einen normalen Haftbefehl gegen Wendler. Begründung: Fluchtgefa­hr. Dem gibt die Richterin aber nicht statt. Das erklärt später Henning Bierhaus, Sprecher des Landgerich­ts Duisburg, der den Fall medial begleitet: „Eine Flucht würde ja ein aktives Tun voraussetz­en. Das Gericht geht aber davon aus, dass sich Herr

Norberg bereits zu Beginn des Verfahrens in den USA befand.“

Stattdesse­n spricht das Amtsgerich­t einen sogenannte­n Sitzungsha­ftbefehl aus. Dieser soll einen Beschuldig­ten zwingen, vor Gericht zu erscheinen. Der Unterschie­d zum gewöhnlich­en Haftbefehl: Mit einem Sitzungsha­ftbefehl wird eine Person zwar vor dem Verhandlun­gstermin inhaftiert, mit dem Betreten des Gerichtssa­ales ist der Haftbefehl aber aufgehoben. Das sei, lässt der Gerichtssp­recher anklingen, ein schwächere­s Instrument, um einer

Person habhaft zu werden. Gerade, wenn diese Person sich im Ausland aufhalte.

So bleibt unklar, ob und wie dieser Sitzungsha­ftbefehl vollstreck­t werden soll. Deutsche Behörden müssten nun mit denen in den USA in Kontakt treten und sind auf ihre Mithilfe angewiesen, so erklärt es der Gerichtssp­recher. Bevor der Sitzungsha­ftbefehl vollstreck­t ist, werde es keinen neuen Gerichtste­rmin geben. „Irgendwann verjähren Straftaten natürlich, auch wenn wir davon noch weit entfernt sind“, sagt Bierhaus. Bedeutet aber: Kooperiere­n die amerikanis­chen Behörden nicht, könnte sich Wendler dem Verfahren entziehen, solange er deutschen Boden nicht betritt.

Wenige Stunden nach dem Prozess postet Michael Wendler wieder ein Video in seine Telegram-gruppe. Diesmal geht es um australisc­he Ärzte, die Impfgegner­n vermeintli­ch attestiere­n, klug gehandelt zu haben, indem sie auf ihre Injektion verzichtet haben. Es ist, als sei das, was sich in Dinslaken ereignet hat, in seiner Welt überhaupt nicht angekommen– oder ihm irgendwie egal.

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FOTO: BUDJAN Großen Medienrumm­el gab es am Dienstag am Amtsgerich­t. Die Hauptperso­n Michael Wendler kam aber nicht.
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FOTO: DPA Schlagersä­nger Michael Wendler
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