Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Soll ich mein Kind impfen lassen?
CHRISTIAN SCHMIDT Der Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik im St.-vinzenz-hospital über die Argumente Für und Wider.
Christian Schmidt, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik im St.-vinzenz-hospital, spricht über die Argumente Für und Wider.
Kinder und Jugendliche gegen Corona impfen oder nicht? Viele Eltern und auch viele Jugendliche selbst hätten darauf gerne eine einfache Antwort: ja oder nein. Christian Schmidt, Chefarzt der Kinderund Jugendklinik im Dinslakener St.-vinzenz-hospital, sieht mit Besorgnis, dass die Menschen durch die Vielzahl der Stimmen und Meinungen zum Thema verunsichert werden. Er will es sich aber trotzdem nicht einfach machen. Er liefert stattdessen ein facettenreiches Bild der Argumente dafür und dagegen. Die Grundlage, um sich eine Meinung zu bilden.
Die Impfung ist zugelassen für Kinder ab zwölf Jahre. Die Ständige Impfkommission, die Stiko, empfiehlt sie aber nicht allgemein, sondern nur für Risikogruppen in dieser Altersklasse. Und zwar, weil es nicht genügend Datenmaterial dafür gibt. Wie sollen Eltern das deuten?
CHRISTIAN SCHMIDT Die Formulierung ist ganz schwer zu verstehen. Wenn man sagt, eine Impfung ist nicht empfohlen, hat das einen Beiklang, als ob sie schädlich wäre für das Kind. Die Intention der Stiko war aber, zu sagen: Wir sprechen es nicht als allgemeine Impf-empfehlung aus. Das ist ein feiner, aber wichtiger Unterschied.
Wenn eine Datenlage ausreichend ist für eine Empfehlung für Menschen ab 18 Jahre – ist es denn dann sinnvoll, anzunehmen, dass sie für 16- oder 17-Jährige nicht empfehlenswert ist?
SCHMIDT Wir als Kinderärzte wehren uns natürlich dagegen, vereinfachend zu sagen, Kinder sind kleine Erwachsene. Aber in der Tat glaube ich, dass sich die Nebenwirkungen bei älteren Jugendlichen sich nicht so arg unterscheiden von denen bei Erwachsenen. Was sich unterscheidet, ist die Schwere der Erkrankung für verschiedene Personengruppen, Wir wissen, dass ein 80-Jähriger ein ganz anderes Risikoprofil hat, mit Covid ernsthaft zu erkranken, als ein Jugendlicher. Wir gehen davon aus, dass Jugendliche die Infektion in ganz vielen Fällen komplett symptomfrei durchmachen. Man kann darum übrigens weder bei Erwachsenen und noch weniger bei Kindern eine Aussage darüber treffen, wie viele denn nun in Deutschland bislang tatsächlich infiziert wurden.
Glauben Sie, dass es in der nächsten Zeit eine Empfehlung für Jugendliche unter 18 geben wird? SCHMIDT Ja, das glaube ich. Unter anderem aufgrund des Faktors, dass sie auch für Jugendliche gut verträglich scheint. Wir haben unsere Informationen darüber aus anderen Ländern, die sich anders entschieden haben als Deutschland. Wie zum Beispiel Israel und die USA, die Kinder und Jugendliche schon länger ganz aktiv impfen – aufgrund einer etwas anders nuancierten Sicht auf die Dinge.
Und sind Bedenken gegen die Impfung andererseits dennoch nachvollziehbar?
SCHMIDT Man muss den Gegensprechern einer Impfung zugestehen: Die Erkenntnis, dass bedeutsame Nebenwirkungen auftreten, kommt manchmal erst Jahre später. Wie bei der Impfung gegen die Schweinegrippe: Narkolepsie (Hypersomnie, Schlafsucht, Anm. d. Red.) ist da eine extrem seltene Nebenwirkung gewesen, das ist erst nach Jahren anerkannt worden. Ich glaube, dass es wichtig ist, diese Seite auch immer zu sehen und zu besprechen. Und man darf Nebenwirkungen, die man kennt, auch nicht verschweigen. Zum Beispiel das Risiko der Myokarditis, der Herzmuskel-entzündung, vor allem bei jungen Männern nach der mrna-impfung: Ja, das gibt es. Allerdings: Das Risiko, eine Myokarditis zu erleiden, ist 60 mal so hoch, wenn Sie tatsächlich die Erkrankung durchmachen. Das muss man dann eben auch dazu sagen. Dann kann man das Für und Wider abwägen und sich eine Meinung bilden.
Ein junger Mensch bemerkt eine Infektion vielleicht gar nicht, kann sie aber weitertragen. Kann das aus Ihrer Sicht ein Grund für eine Impfung sein?
SCHMIDT Das sind zwei verschiedene Argumentationsstränge, die man beide beachten muss: Einmal das individuelle Risiko des Kindes und Jugendlichen, selbst ernsthaft zu erkranken. Und dann das epidemiologische Risiko: Inwieweit ist das Kind zu impfen, damit die Erkrankung sich nicht weiter ausbreitet? Auch angesichts der aktuellen Delta-variante. Die Kinder- und Jugendlichen sind zirka 16 Prozent der Bevölkerung. Wenn man eine Herdenimmunität erreichen will ohne Kinder und Jugendliche, dann wird das schwierig. Es kann also sein, dass man aus dem epidemiologischen Aspekt sagt: Ja, ich impfe. Obwohl das individuelle Risiko für Kinder so gering ist, dass diese Impfung im Moment noch nicht breit empfohlen wird ab zwölf Jahren – das ist ja auch die Argumentation der Stiko. Und klar spielt auch das das direkte Umfeld eine Rolle: Habe ich zum Beispiel Großeltern im engen Kontakt? Pflegepersonen, die nicht geimpft werden konnten?
In Israel und Großbritannien ist zu beobachten, dass das Virus sich gerade unter den ungeimpften Jugendlichen ausbreitet. Ist es zu erwarten, dass das auch in Deutschland passiert?
SCHMIDT Ja, das ist durchaus zu erwarten. Wir haben jetzt in Deutschland auch über 70 Prozent Delta-variante bei den nachgewiesenen Fällen. Und es ist zu erwarten und jetzt auch schon zu sehen, dass das Durchschnittsalter der dokumentierten Fälle runtergegangen ist. Das wird in Deutschland letztendlich genau so sein.
Ist dann ein Anstieg von schweren Verläufen auch bei Kindern und Jugendlichen zu erwarten?
SCHMIDT Was man bei der Delta-variante eigentlich nicht sieht, ist, dass die Verläufe im Mittel schwerer sind. Man sieht zwar weltweit, dass die stationär aufgenommenen Patienten jünger werden – was nicht überrascht, die Älteren sind alle geimpft. Aber insgesamt scheinen die Verläufe nicht schwerer zu sein. Und wenn wir uns mal die heutige Situation anschauen: Wir sind jetzt bei gut 1600 stationären Aufnahmen von Kindern und Jugendlichen in ganz Deutschland seit Beginn der Pandemie und haben in dieser Gruppe der Stationären eine Mortalität von 0,4 Prozent. Das sind vier von tausend. Da hat man durchaus das Gefühl, das sind dann auf den ersten Blick doch nicht so wenige. Aber wir müssen bedenken, dass von den Kindern und Jugendlichen ja schon fast keiner stationär aufgenommen wird. Das ist ja schon eine ganz kleine Auswahl unter allen infizierten Kindern.
Wie steht es um Langzeitfolgen für Kinder und Jugendliche? Ist das Risiko dafür vergleichbar mit dem von Erwachsenen?
SCHMIDT Das ist schwer zu sagen. Wir haben durchaus auch Fälle von „Long Covid“bei Jugendlichen: Allgemeine Schwäche, die Leistungsfähigkeit ist reduziert, die psychosoziale Situation ist ohnehin schwierig. Es ist nur manchmal schwer zu differenzieren: Was ist ursprünglich krankheitsbedingt, und was kommt vielleicht durch die Rahmenbedingungen? Weil man nicht mehr zum Sportverein geht, seine Freunde nicht mehr trifft? Also: Long Covid ist ein Faktor, von dem wir noch nicht sagen können, wie häufig er bei Jugendlichen auftritt, aber er ist auf jeden Fall relevant.
Was raten Sie Eltern von jüngeren Kindern, unter zwölf. Kann man die überhaupt schützen?
SCHMIDT Bei ganz kleinen Kindern ist es ja auch noch mit den Abstandsregeln und Hygieneregeln umso schwieriger. Man würde Eltern dazu raten, trotzdem zu versuchen, das zu realisieren. Nicht unbedingt, weil die Kinder selbst so gefährdet sind, sondern, um die Infektion zum Beispiel nicht auf die Großeltern zu übertragen.
Gibt es für Sie persönlich eine Altersgrenze, ab der Sie das Impfen empfehlen würden?
SCHMIDTNACH aktuellem Stand würde ich das tatsächlich ab zwölf Jahren empfehlen, aber in Abwägung mit den Eltern. Bei Jugendlichen unter 16 ist das Aufklärungsgespräch nochmal umso wichtiger. Ab 16 war der Impfstoff von Biontech schon frühzeitig zugelassen, deswegen haben wir zunächst vordringlich ab 16 geimpft. Und bei Jüngeren haben wir noch ausführlicher aufgeklärt.
Können sich Eltern ans Krankenhaus wenden, die eine Impfung für ihr jugendliches Kind wünschen und keine Anlaufstelle finden? Uns haben Berichte erreicht, dass es Leuten so geht.
SCHMIDT Die niedergelassenen Kinderärzte hier impfen auch. Die Leute können sich im Falle einer Ablehnung durch den eigenen Kinderarzt entweder an einen anderen Kinderarzt wenden, oder, wenn da keine Möglichkeiten bestehen, auch an uns hier im Krankenhaus. Das muss dann nur etwas aufwändiger organisiert werden, die Terminierung ist ein bisschen komplizierter. Aber es wäre machbar.
Haben Sie selbst Kinder, und wenn ja: geimpft oder nicht?
SCHMIDT Ich habe vier Kinder, drei davon sind schon über 18 und alle geimpft. Die Jüngste, 17-Jährige, hat eine Impfung hinter sich und wartet auf die zweite Dosis.
Impfung von Jugendlichen – die Lage im Kreis Wesel: Seite C2