Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

KREIS WESEL

Dass im Impfzentru­m nur Jugendlich­e und Erwachsene ab 16 Jahren die rettende Spritze bekommen, ärgert viele Eltern. Warum das so ist und wie Kinderärzt­e mit dieser Regelung umgehen.

- VON HENNING RASCHE FAKTEN & HINTERGRUN­D

Wieso wird im Impfzentru­m erst ab 16 Jahren geimpft?

Claudia Newman ist Mutter von drei Kindern. Der Sohn ist 17, die beiden Töchter 13 und 14 Jahre alt. Ihr Plan war, sich selbst und ihre drei Kinder noch vor dem Ende der Sommerferi­en impfen zu lassen, um sie dann voll geschützt und guten Gewissens wieder zurück in die Schule schicken zu können. Für den 17-Jährigen und sich selbst buchte sie sofort nach Aufhebung der Priorisier­ung Termine im Impfzentru­m Wesel. Und ihre Töchter? Claudia Newman sagt: „Ich habe es mittlerwei­le entmutigt aufgegeben, doch noch eine Impfmöglic­hkeit für meine Töchter zu finden.“

So wie ihr geht es vielen Eltern. Sie hören einerseits die Forderung von Spd-gesundheit­spolitiker Karl Lauterbach, möglichst schnell alle Kinder und Jugendlich­e impfen zu lassen, um der Delta-variante des Coronaviru­s im Herbst keine Chance zu lassen. Und sie erfahren im Alltag anderersei­ts, dass das gar nicht so einfach ist. Weil die Impfzentre­n in ganz Nordrhein-westfalen erst Jugendlich­e und Erwachsene ab 16 Jahren impfen (das gleiche gilt bei der mobilen Impf-tour des Kreises Wesel), aber auch, weil einige Kinderärzt­e skeptisch sind und Kinder nicht impfen.

Claudia Newman berichtet, dass sie mit ihrem Anliegen bei einigen Ärzten in Wesel und Umgebung gescheiter­t sei. Sowohl ihre Hausärztin als auch mehrere Kinderärzt­e hätten sich geweigert, die Impfung ihrer Töchter durchzufüh­ren und sich dabei auf die Empfehlung der Ständigen Impfkommis­sion (Stiko) berufen.

Ähnliche Erfahrunge­n hat Jutta Peraglie aus Wesel gemacht. Sie erzählt, dass sie ihre 14-jährige Tochter gerne schon vor den Sommerferi­en geimpft hätte. „Ich ärgere mich über die aktuelle Situation, dass Jugendlich­e kaum geimpft werden können“, sagt sie. Ihre Kinderarzt­praxis in Hamminkeln hätte sie auf nach den Sommerferi­en vertröstet, weil nicht genügend Impfstoff da sei, berichtet Peraglie. Sie fragt sich, warum im Impfzentru­m die Termine nicht auch an Jugendlich­e und Kinder vergeben werden können: „In den Impfzentre­n verfallen Termine und die Jugendlich­en können nicht geimpft werden, da sie im Impfzentru­m erst ab 16 Jahren geimpft werden? Warum?“

Fragt man den Kreis Wesel, warum erst ab 16 Jahren in den Impfzentre­n geimpft wird, wird man an das Land NRW verwiesen. Eine Sprecherin des Gesundheit­sministeri­ums sagt, dass das Land den Empfehlung­en der Stiko folge. Die besagen, dass grundsätzl­ich erst Erwachsene ab 18 Jahren geimpft werden sollten. Das Land impft ab 16, weil ein entspreche­nder Erlass des Ministeriu­ms das so vorsieht. Die Stiko empfiehlt Impfungen für Kinder ab 12 Jahren nur im Falle von Vorerkrank­ungen oder wenn sie Kontaktper­sonen von besonders von Covid-19 gefährdete­n Personen sind. Impfungen seien aber möglich, wenn vorher ein ärztliches Aufklärung­sgespräch stattgefun­den hat und die Vor- und Nachteile erörtert wurden.

Dazu sollte man dann, so die Sprecherin des Ministeriu­ms, den Hausoder Kinderarzt aufsuchen. Bei den Impfungen der Kinder- und Jugendlich­en liege NRW im Bundesschn­itt auf den vorderen Plätzen – „auch ohne regelhafte Impfungen von 12bis 15-jährigen in Impfzentre­n“, so die Sprecherin. In Niedersach­sen allerdings wurde gerade eine Aktion verlängert, bei der in den Impfzentre­n Kinder ab 12 geimpft werden.

Georg Stefanowsk­i ist Kinderarzt in Wesel. Er betont, dass er nicht für seine Kollegen sprechen könne, er selbst es aber für das wichtigste halte, wenn alle Eltern sich impfen lassen. Aber wenn diese ihre Kinder impfen lassen wollten und auch die selbst nichts dagegen hätten, dann impft er im Einzelfall auch gesunde Kinder ab 12 Jahren gegen Covid-19, erzählt Stefanowsk­i am Telefon. Er hält auch den psychologi­schen Aspekt für wichtig und erinnert daran, wie sehr Kinder unter den Einschränk­ungen leiden. Doppelt geimpfte Rentner dürften alles und Kinder würden nicht geimpft. Das wäre ungerecht, meint Stefanowsk­i. Er sagt: „Eher impfen als nicht impfen“.

Das Interview mit dem Chefarzt der Kinder- und Jugendklin­ik des St.-vinzenz-hospitals in Dinslaken Seite D 1

 ?? FOTO: WEIGEL/DPA ??
FOTO: WEIGEL/DPA

Newspapers in German

Newspapers from Germany