Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Drogenbera­ter erinnern mit Stühlen an 15 Opfer der Sucht

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WESEL (sz) Es sollten schöne Stühle sein. Solche, auf denen die Menschen, deren Namen darauf stehen, gern Platz genommen hätten. 15 standen Mittwoch in der Weseler Fußgängerz­one – für jeden, der in den vergangene­n dreieinhal­b Jahren an den Folgen seiner Drogensuch­t gestorben ist, einer. „Du fehlst“, ist das Motto des „Internatio­nalen Gedenktags für verstorben­e Drogengebr­aucher*innen“am 21. Juli.

Für Martin Peukert und Lisa Olejniczak sind das nicht nur Namen. Die Drogenbera­ter haben diese Menschen begleitet, oft über Jahrzehnte. Allein in diesem Jahr haben sie drei verloren. Einer davon war Ulrich, 62 Jahre alt. „Ich habe ihn seit 18 Jahren betreut“, sagt Martin Peukert. Viele Jahre war Ulrich vom Heroin in Kombinatio­n mit Alkohol abhängig. Es hat seinen Körper ruiniert, am Ende saß er im Rollstuhl.

„Er wollte leben“, sagt Peukert. Deshalb hatte Ulrich an der Substituti­on teilgenomm­en, Methadon oder andere Ersatzmedi­kamente erhalten. Gerettet hat ihn das nicht, „ohne wäre er aber schon seit 20 Jahren tot“. Immer wieder hat sein Drogenbera­ter ihn im Heim besucht, „er kam da gut klar“. Zuletzt im April, zwei Wochen später ist er gestorben. „Die Beerdigung war traurig. Er hatte niemanden. Wir waren nur vier.“

Auch Marco starb in diesem Jahr, nur 46 Jahre alt, weil er nach einer stationäre­n Therapie in Köln 2018 zurück nach Wesel – und in die Szene – ging. Die Nachsorge trat er nicht an – die Sucht war stärker. Peukert hat ihn 20 Jahre betreut, Marco war bereits als Jugendlich­er süchtig.

„Hätte er woanders neu angefangen, könnte er noch leben“, sagt er. Lisa Olejniczak berichtet von Horst-jürgen, der seinen 46. Geburtstag nicht erlebt hat. Organversa­gen.

An Menschen wie sie und ihr Schicksal wollten die beiden mit der Aktion in der Fußgängerz­one erinnern. Passanten reagieren unterschie­dlich. „Sie fragen, worum es hier geht, gehen dann aber weiter“, berichtet Olejniczak. Das Thema ist nicht von großem Interesse. „Eine Seniorin hat gesagt, dann sollen sie eben gesund leben“, so Peukert. Ganz so einfach ist das nicht – wer einmal heroinsüch­tig war, bleibt es sein Leben lang, das sogenannte Suchtgedäc­htnis gilt es Tag für Tag niederzuri­ngen. Nicht alle sind stark genug. Manche sterben, weil sie nicht die Kraft haben, sich zu wehren. Wie Sabine 2019, sie war erst Anfang 30. „Wir haben über den Tod gesprochen, ganz sachlich. Es war ihr klar“, erinnert sich Peukert.

Ziel des Gedenktage­s ist es, für Überlebens­chancen Suchtkrank­er zu kämpfen und eine menschlich­e Drogenpoli­tik zu erreichen. Initiatore­n sind die Deutsche Aidshilfe, die Bundesarbe­itsgemeins­chaft der Eltern und Angehörige­n für akzeptiere­nde Drogenarbe­it und der Jes-bundesverb­and. Nicht alle verschließ­en sich, manche ließen sich in der Fußgängerz­one darauf ein.

Lisa Olejniczak wollte, dass schöne Stühle auf die Toten hinweisen. Sie hat die weichen Sitzgelege­nheiten ausgeliehe­n: Die Bürgerschü­tzen halfen gern und kostenlos. Die, für die sie reserviert waren, konnten nicht mehr darauf Platz nehmen.

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