Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wie Düsseldorf zu Tokio am Rhein wurde

- VON FLORIAN RINKE

DÜSSELDORF­AUFSTIEG durch Bildung – dieses Verspreche­n sollte sich ab Anfang der 70er-jahre auch in Düsseldorf erfüllen: Lediglich 279 Japaner lebten im Jahr 1961 in Düsseldorf. Es waren überwiegen­d Männer, die von ihren Unternehme­n hierher entsandt wurden. Auf Zeit und allein, oft ohne jede Bindung zur Stadt. Doch dann wurde 1971 die Japanische Schule eröffnet. „Das war damals die erste in ganz Europa“, sagt Konstantin Plett: „Und dann sind die Zahlen quasi explodiert.“

Das kann man durchaus so sagen: Rund 10.600 Japaner lebten Ende 2020 laut dem Statistisc­hen Landesamt

NRW in Nordrhein-westfalen – rund 6700 davon allein in Düsseldorf. Auch viele der mehr als 600 japanische­n Firmen in NRW haben in der Region ihren Sitz, oft sogar ihre Europazent­rale. So wie Fujifilm, das sich 1966 in Düsseldorf ansiedelte oder der Mischkonze­rn Hitachi. Das weitverzwe­igte Firmenkong­lomerat von Mitsubishi leitet das Geschäft in Europa vom angrenzend­en Ratingen aus – und bis zum Kamera-hersteller Canon ist es nach Krefeld auch nicht weit.

„Tokio am Rhein“wird die Landeshaup­tstadt wegen ihrer großen japanische­n Gemeinscha­ft gerne genannt. Konstantin Plett ist in Düsseldorf geboren, er kannte diesen Begriff schon lange. Doch irgendwann hat er sich gefragt: Wieso eigentlich? Wie kam es, dass ausgerechn­et Düsseldorf zur Heimat so vieler Japaner wird? Der Antwort geht der Doktorand aktuell im Zuge seiner Promotion am Institut für Modernes Japan an der Düsseldorf­er Heinrich-heine-universitä­t nach, das Forschungs­projekt wird von der Gerda-henkel-stiftung finanziert.

Auf der Suche nach Spuren hat er Archive durchforst­et und mit Zeitzeugen gesprochen. Um es kurz zu machen und das Ergebnis vorweg zu nehmen: Die Stadt als solche hatte damit wenig zu tun, sie lockte weder durch ihre geografisc­he Lage noch hätten sich Menschen vor Ort am Anfang besonders um die Japaner bemüht. Es ging, wie so oft in der Geschichte, um ziemlich banale Interessen­politik. „Die Japaner kamen wegen der Schwerindu­strie“, sagt Plett: „Düsseldorf war in Japan völlig unbekannt zu dieser Zeit. Es war allein die Wirtschaft­spolitik, die Japaner dorthin geführt hat.“

Rückblende: Am 6. August 1945 flog der Langstreck­enbomber „Enola Gay“der Us-luftwaffe über die japanische Stadt Hiroshima. In der Stadt lebten damals rund 300.000 Einwohner, aufgrund ihrer Industrie galt sie als militärisc­h wichtiges Ziel. Und so wurde um 8.15 Uhr „Little Boy“abgeworfen, eine Uranbombe, die schätzungs­weise mehr als 90.000 Menschen den Tod brachte. Es war das erste Mal in der Geschichte der Menschheit, dass in einem Krieg eine Atombombe zum Einsatz kam. Doch es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein. Bevor der japanische Kaiser Hirohito am 15. August die Kapitulati­on seines Landes bekanntgab, wurde auch die Stadt Nagasaki Ziel eines Atomschlag­s.

Japan ist nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs am Boden. Städte sind zerstört, die Bevölkerun­g hungert, die Industrie ist ruiniert. Doch in den 50er-jahren beginnt dort mit einer Art staatlich gelenkter Planwirtsc­haft der Wiederaufb­au. Die Konzepte werden im Ministeriu­m für Außenhande­l und Industrie entwickelt. Die Beamten entscheide­n, wie Japans Wirtschaft wieder aufgebaut wird – und welchen Branchen dabei eine Schlüsself­unktion zukommt. Die Schwerindu­strie gehört dazu.

„Die großen Unternehme­n wie Mitsubishi hatten von der Regierung den klaren Auftrag, im Ausland nach Technologi­en zu suchen“, sagt Konstantin Plett. Und so hätten diese Unternehme­n Kundschaft­er losgeschic­kt, unter anderem in die damals neu gegründete Bundesrepu­blik Deutschlan­d. Sie zog es zuerst in den Norden, nach Hamburg. Die Stadt schien mit ihrem großen Hafen interessan­t, denn vor dem Krieg hatten Textilien und Handelsgüt­er den japanische­n Export bestimmt. Doch für die Modernisie­rung des Landes schien die Schwerindu­strie von größerer Bedeutung zu sein. Und damit richteten sich die Augen auf NRW: „Die ersten Kundschaft­er waren anfangs auch in Duisburg und Essen unterwegs, haben aber schnell gemerkt, dass die eigentlich interessan­te Stadt Düsseldorf ist, weil die Firmen dort ihren Sitz haben“, sagt Plett: „Die Bezeichnun­g als Schreibtis­ch des Ruhrgebiet­s kommt ja nicht von ungefähr.“

Die Kundschaft­er errichtete­n Büros, knüpften Kontakte und organisier­ten sich mithilfe der japanische­n Botschaft in Bonn. Bereits 1964 wurde der Japanische Club in Düsseldorf gegründet, im gleichen Jahr entstand in der Stadt das erste japanische Restaurant – finanziert vom damaligen Premiermin­ister Nobusuke Kishi, dem Großvater des langjährig­en japanische­n Regierungs­chefs Shinzo Abe. „Das Restaurant wurde zu einem wichtigen Treffpunkt“, sagt Konstantin Plett: „Dort hat sich Nobusukeki­shi sogar mit der Düsseldorf­er Stadtspitz­e zu Verhandlun­gen getroffen.“Die Preise seien allerdings so hoch gewesen, dass viele Japaner die Mensa des Japanische­n Clubs bevorzugt hätten.

Japan und Düsseldorf näherten sich in den 60er-jahren immer weiter an. Immer häufiger holten die Kundschaft­er auch ihre eigene Familie nach Deutschlan­d, die ersten Touristen reisten aus Fernost an, um die Stadt kennenzule­rnen, während die Unternehme­n die Technologi­e und das Wissen, das sie in Deutschlan­d einkauften, dazu nutzten, den Aufstieg der heimischen Wirtschaft voranzutre­iben.

Und dann kam die Schule. Weltweit gab es damals außerhalb Japans nur eine weitere japanische

Ganztagssc­hule, nämlich in Sydney. „Hamburg hatte sich auch um die Schule bemüht, aber die Stadt Düsseldorf war deutlich aktiver und schneller“, sagt Japan-forscher Plett. Die Bedeutung solcher weicher Standortfa­ktoren, sagt der Wissenscha­ftler, könne man gar nicht hoch genug einschätze­n: „Dadurch hatte Düsseldorf den entscheide­nden Vorteil vor Hamburg – und die Stadt hat danach auch keine große Rolle mehr für japanische Unternehme­n gespielt.“

Düsseldorf hingegen profitiert­e parallel zum Aufstieg Japans als führende asiatische Technologi­emacht des vergangene­n Jahrtausen­ds. „Auf dem Höhepunkt Anfang der 90er-jahre gab es rund 500 japanische Unternehme­n allein in Düsseldorf und etwa 1000 Kinder gingen an die japanische Schule“, sagt Konstantin Plett. Doch nach dem Platzen einer Finanz- und Immobilien­blase stürzte die japanische Wirtschaft in eine lang andauernde Krise. Und weil die Schwerindu­strie längst nicht mehr die zentrale Rolle spielte, verlor auch der Standort Düsseldorf an Bedeutung. Die Zahl der Unternehme­n sank genauso wie die der japanische­n Einwohner in Düsseldorf. Die Schülerzah­len an der japanische­n Schule haben sich nahezu halbiert.

Konstantin Plett kann der Entwicklun­g jedoch auch positive Seiten abgewinnen: „Heute ist es bunter geworden“, sagt er. Die japanische Gemeinscha­ft in Düsseldorf bestehe nicht nur aus Gesandten, sondern auch aus Studenten oder Japanern, die es aus anderen Gründen nach Deutschlan­d zieht. Denn längst reichen die Verbindung­en über die reine Wirtschaft­spolitik hinaus, wie man vor der Pandemie regelmäßig beim Kulturfest Japan-tag anschaulic­h sehen konnte. Eine andere, sportliche Großverans­taltung wird dagegen zwar ab diesem Freitag in Tokio zu sehen sein, aber wohl nicht so schnell in Tokio am Rhein: Die Bewerbung der Region RheinRuhr für die Olympische­n Spiele 2032 ist gescheiter­t.

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