Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein fehlbarer Visionär
Der ehemalige Weltkriegspilot Gene Roddenberry schuf mit „ Star Trek“die wirkmächtigste Utopie aller Zeiten. Er selbst war ein chronischer Fremdgänger mit Alkohol- und Drogenproblemen. Ein Porträt zum 100. Geburtstag.
LOS ANGELES Das mit den Utopien ist so eine Sache. Die Red Hot Chili Peppers sangen „Space may be the final frontier, but it’s made in a Hollywood basement“. Sinngemäß übersetzt: Der Weltraum, das mögen zwar die sphärischen, wundersamen, so unschuldigen wie unendlichen Weiten sein, von denen im Vorspann der ersten „Star Trek“-abenteuer mit Captain Kirk und Mister Spock geraunt wird. Fabriziert aber werde jene Utopie mit viel Alufolie, Pappmaché und Zynismus in einem Kellerloch in Hollywood. Wo sich angeblich alles um Fantasie, Kreativität und künstlerische Visionen dreht, tatsächlich aber in erster Linie um das schnöde Geld, und in der Folge um Sex und Drogen. Zwischen diesen Polen gefangen war zeitlebens der Vater von „Star Trek“, der an diesem Donnerstag 100 Jahre alt geworden wäre.
Eugene „Gene“Wesley Roddenberry wuchs als Sohn eines Polizisten in Los Angeles auf. Im Zweiten Weltkrieg flog er B-17-bomber über dem Pazifik, danach Passagiermaschinen; oft Langstrecke. Erst nachdem er sein drittes Flugzeugunglück überlebt hatte, tauschte er den Steuerknüppel gegen die Schreibmaschine. Tagsüber arbeitete er in der Pressestelle der Polizei von L.A., abends schrieb er Drehbücher für das junge Medium Fernsehen, anfangs nebenbei, ab Mitte der 50er-jahre als Hauptjob. Seine Helden waren Archetypen: aufrechte Sheriffs, Polizisten, Soldaten.
Umso ungewöhnlicher ist der Stoff, der ihn unsterblich machen sollte: Am 11. März 1964 sendet er drei Kopien seines neuesten Streichs und zwei Dollar an die Gewerkschaft der Drehbuchschreiber. Damit ist seine Serie offiziell registriert: „Star Trek“ist eine Fortsetzung der Pioniergeschichten des Wilden Westens. Bloß zieht dieser Treck statt nach Kalifornien zu den Sternen, mit Raumschiffen anstelle von Planwagen. Und die Helden sind nicht bloß mittelalte weiße Männer mit Knarren, sondern die „Edelmenschen“, von denen der Räuberpistolen-könig Karl May in seinen letzten Jahren geradezu besessen war: heroische Halbgötter mit Herz.
Roddenberry will Märchen von einer Menschheit erzählen, die im 23. Jahrhundert ihren fatalen Hang zu Gewalt und Gier überwunden hat. Besitz und Herkunft, Geschlecht und Religion sind in seiner Welt irrelevant. Die Wissenschaft hat gesiegt, Humanismus ist Trumpf. Deshalb wirkt das frühe „Star Trek“heute oft ermüdend perfekt und steril. Doch solche Werturteile sind nicht fair: Vor mehr als 50 Jahren, inmitten der täglich drohenden Apokalypse des Kalten Kriegs, war Zynismus keine Kunst – und so viel Mut zur Utopie der wahre Punk.
Das Flaggschiff „Enterprise“ist schneller als das Licht, der Antrieb der Crew ist nicht Eroberungslust, sondern echte Neugierde auf fremde Welten und deren Bewohner. Captain Kirk ist dennoch ein Actionheld und Womanizer alter Schule, umso außergewöhnlich aber sind seine wichtigsten Vertrauten, etwa der spitzohrige Vulkanier Spock. Mutiger noch im fremdenfeindlichen Klima jener Zeit: Steuermann Sulu hat japanische Wurzeln, und Bordschütze Chekov spricht mit schwerem russischen Akzent. Seine Vision von einem weiblichen Ersten Offizier kann Roddenberry nicht durchsetzen, dafür macht er die Funkerin Uhura zum Teil der Führungscrew – gespielt von der Afroamerikanerin Nichelle Nichols, die nach Zweifeln von Martin Luther King persönlich zum Weitermachen motiviert wird.
Roddenberry ist zu Recht stolz auf sich: „In ‚Star Trek‘ habe ich über die Dinge geredet, über die man nicht redet: Sex, Religion, Gewerkschaften.“Das gelang oft mehr und nur manchmal weniger gut. Manche Folgen erstarren in Klischees, kranken an pseudowissenschaftlichen Dialogen oder massiven Logiklöchern. Sehr viele aber sind solide bis exzellente Science-fiction mit starken Charakteren, nicht wenige brillante Auseinandersetzungen mit Themen wie Schuld und Sühne, Traumata, Toleranz gegenüber Minderheiten, Aliens, Robotern.
Bis heute entstanden rund 800 Episoden in sieben Tv-serien, prämiert mit 36 Emmys, dazu 13 Kinofilme, zwei Zeichentrick-serien, Hunderte Bücher und Massen von Fanartikeln. Die Marke „Star Trek“ist Milliarden von Dollar wert – und erlebt ein Vierteljahrhundert nach dem ersten einen zweiten Boom. Drei TV-SErien laufen, gleich mehrere zusätzliche sind in Planung.
Das meiste von alledem hat Roddenberry nicht mehr erlebt; am 24. Oktober 1991 starb er 70-jährig an einem Blutgerinnsel. Zuvor hatte er mehrere Herzinfarkte erlitten und gegen Diabetes und hohen Blutdruck gekämpft. Diese gesundheitlichen Probleme waren Folge des jahrzehntelangen Gebrauchs von legalen wie illegalen Drogen. Regelmäßig hatte Roddenberry nicht nur problematische Mengen von Alkohol sowie Antidepressiva konsumiert, sondern auch Aufputschmittel wie Ritalin, Amphetamine und Kokain. Nicht die einzige Schwäche des an seinem Lebensende 500 Millionen Dollar reichen Autors. Sein unangenehmster Wesenszug war sein Umgang mit Frauen, insbesondere denen an seiner Seite: So hinterging er seine erste Frau mit diversen Geliebten, darunter der, die seine zweite Gattin werden sollte. Diese wiederum betrog er unter anderem schon in der Woche nach der Hochzeit mit einer Masseurin sowie mit einer Sekretärin – rund 15 Jahre lang, bis zu seinem Tod.
Das abschließende Urteil über Gene Roddenberry aber muss noch warten, bis zum 5. April 2063. Womöglich war er ja tatsächlich ein Prophet, und an diesem Tag wird der Menschheit der entscheidende Durchbruch in der Raumfahrt gelingen, weil jemand – wie im achten Kinofilm – eine Atomrakete zum überlichtschnellen Raumschiff umbaut. Dieses Werk eines fehlbaren Mannes, der nicht zufällig an Roddenberry erinnert, imponiert den außerirdischen Vulkaniern. Sie nehmen Kontakt auf. Und so beginnt die beste aller möglichen Zukünfte.