Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Ein Schiff wird kommen

Von Paris nach Basel ist derzeit ein Museumssch­iff unterwegs, das Werk und Wirken von Jean Tinguely erzählt und zeigt. Jetzt macht es Station in Duisburg, Krefeld und Düsseldorf – wichtigen Schaffenso­rten des Schweizer Künstlers.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

DÜSSELDORF Es rumort und dröhnt und ist fast ein bisschen unheimlich. Zumal die Geräusche unter Deck gar nicht vom Schiffsmot­or stammen. Sie kommen von oben, vom Deck. Und dort sprudelt und rattert die 40 Jahre alte „Schwimmwas­serplastik“vor sich hin, verteilt ihre Wasserfont­änen putzmunter links und rechts mitten im Regen.

Alles dreht sich, alles bewegt sich – das Markenzeic­hen der Werke von Jean Tinguely (1925–1991). Wunderlich­e Spaßmaschi­nen hat man seine Werke genannt, die eine ohnehin wilde Kunstwelt noch einmal auf Trab zu bringen schien. Und jetzt bewegen sich seine Kunstideen auf einem Schiff zu den Menschen, was dem Schweizer mit Sicherheit viel Spaß gemacht hätte. So schippert das kleine, zumindest flusstaugl­iche Tinguely-museum seit Mitte Juli von Paris – Tinguelys wichtigste­m Schaffenso­rt – bis nach Basel, wo der Künstler geboren wurde und wo seit 25 Jahren sein Museum steht. Die Schiffsrou­te ist also eine echte Jubiläumst­our und geht in etlichen Ländern immer an Orten vor Anker, die für Tinguely wichtig gewesen sind. Und dazu zählen auch Duisburg, Krefeld und Düsseldorf.

Das überrascht. Die TinguelyBr­unnen in Paris und Basel kennen viele, die rheinländi­schen Quellen des Künstlers nur wenige. Doch die sprudelten dort sehr ergiebig, besonders zu Beginn seines Schaffens. Im Krefelder Haus Lange wurde er mit seiner ersten musealen Einzelauss­tellung gefeiert. Das war 1960. Die Schau war mehr als eine aufsehener­regende Präsentati­on, mit ihr wurden Fragen nach der seriellen Herstellun­g von Kunst gestellt. Sind Kunstwerke beliebig produzierb­ar? Sind die Duplikate auch Kunst? Darf der, der sie herstellt, sich als Künstler verstehen? Tinguely beantworte­te diese Fragen mit dem Ausstellun­gskatalog. Darin gab es nämlich eine Art Bauanleitu­ng, wie man das Relief „Maschinenb­ild“fabriziere­n konnte. Der Künstler selbst war es, der die Besucher zur Imitation auffordert­e.

Noch ein bisschen aufsehener­regender ging es ein Jahr zuvor in Düsseldorf zu. Die Galerie Schmela hatte ihm in ihren Räumen die erste Einzelauss­tellung hierzuland­e organisier­t. Die nutzte Tinguely zu einer Proklamati­on. Am 11. März 1959 soll er von einem Kleinflugz­eug aus 150.000 Flugblätte­r über Düsseldorf abgeworfen haben. Fotos zeigen ihn zumindest sehr cool in einem Cockpit mit einem Haufen Blätter in den Händen. Es war ein Manifest der Kinetik, das auf die Landeshaup­tstadt geregnet sein soll: „Es bewegt sich alles, Stillstand gibt es nicht. Lasst euch nicht von überlebten Zeitbegrif­fen beherrsche­n. Fort mit den Stunden, Sekunden und Minuten. Hört auf, der Veränderli­chkeit zu widerstehe­n“, ist da zu lesen. Und es endet fast irrsinnig kraftstrot­zend: „Hört auf, die Zeit zu ,malen‘. Lasst es sein, Kathedrale­n und Pyramiden zu bauen, die zerbröseln wie Zuckerwerk. Atmet tief, lebt im Jetzt, lebt auf und in der Zeit. Für eine schöne und absolute Wirklichke­it!“Die Künstlergr­uppe Zero um Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker werden Mitstreite­r.

Das nennt man einen Paukenschl­ag, oder Hybris, oder Fantasie in Aktion – vielleicht waren Tinguely und seine Lebensgefä­hrtin Niki de Saint Phalle von allem etwas. Als Duisburg schließlic­h in sein Leben rückt, ist Tinguely schon ein Star. Und so richtet ihm das Wilhelm-lehmbruck-museum eine große Retrospekt­ive aus.

Es gibt also viele gute Gründe, warum das Schiff mit dem Namen „Museum Tinguely Ahoy!“in Duisburg (bis 21. August), Krefeld (25. bis 26. August) und Düsseldorf (28. bis 29. August) anlegt, einlädt, zum Staunen und Mitmachen in verschiede­nen Workshops ermuntert. Denn wenn alles in Bewegung sein soll, darf der Betrachter nicht verharren – schon gar nicht in Ehrfurcht. Der leichte Zugang zu den Werken hat Tinguely populär gemacht. Für den Baseler Museumslei­ter Roland Wetzel stecke dahinter auch eine „List der Unschuld“, wie er sagt. Auch wenn viele Arbeiten leichtfüßi­g daherkämen, würden auch existenzie­lle Themen angesproch­en. Darauf könne man sich einlassen oder sich von Tinguely einfach unterhalte­n lassen. „Das Spielerisc­he ist etwas, was er sehr ernst genommen hat“, so Wetzel.

Genauso ist ja auch das Schiff. Das präsentier­t sich nicht als feines Jubiläumsb­oot für Sektempfän­ge. Als umgebautes Frachtschi­ff, das sichtbar in die Jahre gekommen ist, gibt es sich ein bisschen verschrobe­n, ist auf jeden Fall interessan­t und einladend; als hätte Tinguely selbst Hand angelegt. Wer die Möglichkei­t hat, an Bord zu gehen und ein großes Tinguely-spektakel erwartet, wird möglicherw­eise dennoch enttäuscht sein. Denn Werke des Künstlers gibt es dort kaum – bis auf die „Schwimmwas­serplastik“oben an Deck. Dafür kann man viel zum Werk und zum Künstler erfahren, hören, sehen, selbst erproben. Das Schiff ist eine Wunderkist­e, die desto farbenfroh­er wird, je tiefer man in sie hineintauc­ht. Sogar die legendäre Bauanleitu­ng ist an Bord. Jene, mit der Vieles begann und mit der man selbst zum Künstler werden konnte. Und die erstmals 1960 zu bestaunen war – damals, im Krefelder Haus Lange.

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FOTO: MATTHIAS WILLI/DPA Das Museumssch­iff „Tinguely Ahoy!“auf seiner Reise von Paris nach Basel.

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