Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Es gibt viel mehr Privatinsolvenzen
Die Fallzahlen sind beeindruckend. Das Überraschende dabei: Es liegt gar nicht an der Corona-krise. Die Schuldnerund Insolvenzberatung des Diakonischen Werks berichtet über die Entwicklung.
Die steigenden Fallzahlen sind beeindruckend. Das Überraschende dabei: Es liegt gar nicht an der Corona-krise.
DINSLAKEN Die Corona-krise hat bislang nicht dazu geführt, dass vermehrt Bürger Rat und Hilfe bei der Schuldner- und Insolvenzberatung des Diakonischen Werks des Evangelischen Kirchenkreises Dinslaken suchen. Karin Rösel, die als DiplomSozialarbeiterin bei der Schuldnerund Insolvenzberatung arbeitet, ist aktuell nur ein Fall aus der Schaustellerbranche bekannt, der auf die Pandemie zurückzuführen ist. Dem Betroffenen sind durch Corona die Einkünfte gänzlich weggebrochen, während die Ausgaben weiterhin anfallen. In Großstädten wie Köln, Düsseldorf oder auch Essen sehe dies anders aus. Dort hätten etliche Selbstständige oder Beschäftigte aus Kunst, Kultur und Gastronomie in dieser schwierigen Zeit Schulden angehäuft und deshalb Beratungsangebote in Anspruch genommen.
Dennoch sind auch bei der hiesigen Beratungsstelle die Fallzahlen deutlich nach oben gegangen. Allein in diesem Jahr kamen 68 Insolvenzfälle hinzu, wie Karin Rösel berichtet. Die Gründe dafür liegen nach ihren Worten in einer Gesetzesänderung zum Jahresende, nach der rückwirkend zum 1. Oktober 2020 das neue Insolvenzrecht gilt. „Der wichtigste Punkt ist die Verkürzung der Dauer des Insolvenzverfahrens auf drei Jahre, während es davor sechs Jahre dauerte“, erläutert Karin Rösel.
Wer also ab dem 1. Oktober des vergangenen Jahres ein Insolvenzverfahren beantragte, für den gilt eine Abtretungsfrist von drei Jahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Nach diesen drei Jahren wird dann automatisch eine Befreiung von der Restschuld erteilt. Also wartete so mancher, der in die Insolvenz gehen wollte, ab, bis das neue Recht galt.
Die Beratungsstelle der Diakonie betreut aktuell 161 laufende Insolvenzfälle von Bürgern aus Dinslaken, 34 von Voerder, acht von Hünxer sowie 16 von Walsumer Bürgern. Die Zahlen der Schuldnerberatung: Dinslaken kommt auf 52 Fälle, Voerde auf 54, Hünxe auf sechs sowie Walsum auf 13.
„Unsere Aufgabe in der Schuldner- und Insolvenzberatung ist es, die Menschen in dieser für sie schwierigen Zeit zu begleiten und zu unterstützen“, sagt Rösel. Die Schuldner müssten immer mal wieder motiviert werden, wenn sie während der Dauer des Verfahrens kein Licht am Ende des Tunnels sehen. Da müssen Vergleichsverhandlungen mit den Gläubigern geführt werden, es geht um Teilverzicht von Rückzahlungen, Stundungen und das Aushandeln langfristiger Ratenzahlungen. Die Fälle einer Schuldenregulierung ohne Insolvenz dauern nicht selten fünf bis sieben Jahre.
Die schnellere Lösung ist für etliche überschuldete Männer und Frauen die Insolvenz, die von ihnen dann auch bewusst gewollt wird. „Das sind die Menschen, die einen Cut, einen Schnitt, anstreben. Sie wollen nicht ständig die Gläubiger im Nacken sitzen haben und nicht immer wieder Briefe von ihnen mit ihren Forderungen bekommen“, sagt Rösel. Das Insolvenzverfahren kann schnell eingeleitet werden, wenn es einen außergerichtlichen Vergleich mit den Gläubigern gibt. Kommt der allerdings nicht zustande, wird das Insolvenzverfahren beantragt und nach drei bis sechs Monaten eröffnet. Ist das der Fall, läuft die Zeit der besagten drei Jahre.
Wer sucht Hilfe bei der Schuldnerund Insolvenzberatung? Männer und Frauen jeden Alters, aus allen Schichten, allen Berufsständen und allen Einkommensgruppen. Selbstständige, Inhaber mittelständischer Betriebe, Arbeitslose, viele Menschen, die sich im Sozialleistungsbezug befinden. „Ein gutes Einkommen bedeutet nicht, dass man mit Schulden klarkommt“, sagt Karin Rösel. Auslöser für die Verschuldung ist oft die Veränderung der persönlichen Lebenssituation. Da wird ein teurer Wagen gekauft, die Wohnung neu eingerichtet und alles über Kredite finanziert. Arbeitslosigkeit, familiäre sowie private Probleme oder Sucht können Auslöser für Überschuldung sein. Und irgendwann rauben die Schulden den Menschen den Schlaf.
Da gibt es den alten Mann, der wegen 200 Euro Schulden die Beratung aufsucht, weil er nicht weiß, wie er das Geld zurückzahlen soll. Ein anderer ist wegen 1500 Euro in die Insolvenz gegangen. Aber es gibt auch Schuldner, da sind sie Beträge siebenstellig. Das ist oftmals bei früheren Selbstständigen der Fall oder bei Menschen, die mit einer Immobilienfinanzierung Schiffbruch erlitten haben. Karin Rösel kennt Fälle, da summierten sich die Schulden auf 1,5 Millionen oder gar 4,7 Millionen Euro. Im Schnitt geht es bei Insolvenzen um Schulden in Höhe von 35.000 bis 50.000 Euro. Mancher Schuldner lehnt eine Insolvenz für sich ab, weil er das Geld, das er sich von seinen Gläubigern geliehen hat, zurückzahlen will.
In allen Fällen begleitet Karin Rösel die Menschen, die sich finanziell übernommen haben und nun Hilfe brauchen. Sie nimmt Kontakt mit Gläubigern auf, klärt ab, was möglich ist, zeigt den Verschuldeten den möglichen Weg auf und eröffnet ihnen Perspektiven. Nicht selten ist es aus ihrer jahrzehntelangen Erfahrung wichtig, den Menschen Zeit zu verschaffen, damit sie wieder Fuß fassen können und nicht von der Schuldenlast erdrückt werden.
Gemeinsam mit den Betroffenen wird geklärt, wie die Schulden überhaupt zustande gekommen sind. Ist die individuelle Problematik aufgearbeitet, hilft dies, Lösungsvorschläge zu machen. Dann wird auch erkennbar, wie viel Unterstützung im Einzelfall nötig ist.
Als wichtig sieht es Karin Rösel an, ihre Klienten in die Pflicht zu nehmen, ihren persönlichen Beitrag zum Weg aus den Schulden zu leisten. Es gehe nicht darum, ihnen alles abzunehmen. „Die Menschen kriegen eine Menge selbst hin, wenn sie den Weg sehen“, sagt Rösel, die ihre Klienten so lange begleitet, wie diese es wollen. Die Schuldner- und Insolvenzberatung ist für die Ratsuchenden kostenfrei.