Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Ein Koffer, Mücken und die erste Wahl
Für manche Menschen wird dieser Sonntag ganz besonders sein. Ein Erstwähler, ein Wahlhelfer und ein Wahlforscher darüber, was der Tag ihnen bedeutet.
Erstwähler Felix Frigelj
„Mit ihren öffentlichen Auftritten haben mich weder Armin Laschet, noch Olaf Scholz oder Annalena Baerbock überzeugt. Laschet wirkt auf mich immer sehr unsouverän, in Interviews schnell mit Fragen überfordert und persönlich angegriffen. Scholz sehe ich auch kritisch wegen der ganzen Skandale. Und Baerbock hat eigentlich ganz gute Punkte, aber die Grünen haben im Wahlkampf so viel falsch gemacht. Ein bisschen ist es wie beim Schrottwichteln: Man versucht, irgendwie das halbwegs Beste zu bekommen. Das finde ich schwierig.
Das Hauptthema ist für mich der Klimaschutz. Auch, weil die Auswirkungen in diesem Sommer unmittelbar spürbar waren. Wir hatten bei der Flutkatastrophe Wasser im Keller. Das war harmlos, andere waren viel schlimmer betroffen, Menschen sind gestorben. Ich habe nur leider das Gefühl, dass es den Parteien an konkreten Lösungen fehlt. Die FDP zum Beispiel will Klimaschutz durch Innovationen fördern. Aber das heißt dann, dass sie weitermachen wie bisher, bis etwas Bahnbrechendes in der Wissenschaft passiert? Das ist doch kein aktiver Klimaschutz.
Ich kenne einige Erstwähler, die aus Protest die AFD wählen und das witzig finden. Dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Der generelle Konsens ist aber in meinem Umfeld: CDU wird ungern gewählt, AFD kommt gar nicht in Frage. Ich habe nicht per Brief gewählt, sondern gehe am Sonntag ins Wahllokal. Da war ich als Kind schon oft dabei, wenn meine Eltern gewählt haben. Letztlich werde ich mich aber erst in der Wahlkabine entscheiden, wem ich meine Stimmen gebe.“
Wahlforscher Achim Goerres
„Die Pandemie wird sich auf diese Wahl auswirken. Für unsere Erklärungen, wie Bürger wählen, spielt immer die Frage eine Rolle: Was sind die wichtigsten Probleme für die Wähler? Und welche Partei wird als die beste für die Lösung dieser Probleme gesehen? Ob die Partei tatsächlich eine gute Lösung hat, ist für uns unwichtig, um Wähler zu verstehen. Es geht nur darum, was in den Köpfen der Leute vorgeht. Das ist immer schwieriger zu erfassen, denn die Wähler haben sich verändert. Früher waren sie wie Hummeln – träge und ganz langsam in ihren Bewegungen. Inzwischen sind Wähler wie aufgeregte Mücken, die durch die Luft hin- und herflitzen. Sie entscheiden sich immer kurzfristiger.
Auch die größere Anzahl von Briefwählern wird eine Rolle spielen – es werden geschätzt doppelt so viele sein. Obwohl ich das von der Sicherheit her für unproblematisch halte, sehe ich diese Entwicklung mit Bauchschmerzen. Ich befürchte, dass sie dazu führen wird, dass mehr Wähler sagen: ‚Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Deswegen akzeptiere ich das Ergebnis nicht.` Die Zustimmung der Verlierer ist ganz wichtig für die Stabilität in einer Demokratie. Bisher war diese Zustimmung in Deutschland kein Problem, aber wir hatten noch nie so viele Briefwähler. Wir haben schließlich mit der AFD eine populistische Partei, die in den Bundestag kommen wird. Zu ihr passt das Narrativ, dass die Wahl nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Dieses Misstrauen könnte also von der Partei verstärkt werden.
Ich persönlich gehe immer in die Wahlkabine. Nicht weil die Briefwahl sicherer oder weniger sicher ist. Ich mag den Gang ins Wahllokal mit meinen Liebsten, das ist für mich wie eine politische Kommunion. Als Bürger freue ich mich sehr auf den Wahlsonntag.“
Wahlhelfer Hans Bell
„Das erste Mal war ich 1985 Wahlhelfer. Seitdem bin ich nicht bei jeder Wahl dabei, hin und wieder habe ich eine Pause eingelegt. Ich würde es kein Hobby nennen, denn Wahlen gibt es ja höchstens einmal im Jahr oder alle zwei Jahren. Aber dann mache ich es sehr gerne.
Nach all der Zeit ist trotzdem eine Anspannung dabei. Die kommt vor allem, wenn man um 18 Uhr die Wahlurne öffnet und mit dem Auszählen und Sortieren anfängt. Da kann einiges schiefgehen. Wichtig ist der Koffer mit den Unterlagen. Als Wahlvorsteher muss ich ihn am Samstag vom Rathaus abholen und nach der Wahl zurückbringen. Darin sind die versiegelten Stimmzettel, die im Fall einer Wahlanfechtung wichtig werden. Diesen Koffer sollte man am besten nicht verlieren.
Ich engagiere mich gern als Wahlhelfer. Ich finde es erhaltenswert, dass wir wählen können. Wenn ich mich umschaue in der Welt, gibt es genügend Länder, wo man gar keine Wahl hat. Ich denke da an die jüngsten Bilder in Russland, wo irgendwelche Stapel von Stimmzetteln in die Urne gestopft werden. So etwas möchte ich nicht. Schön wäre es, wenn das mehr Menschen auch so sehen würden. Ich fände es gut, wenn politisch engagierte und interessierte Menschen vielleicht neben „Fridays for Future“auch „Sundays für Wahllokal“machen.“
Protokolliert von Viktor Marinov und Claudia Hauser