Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Der Weg des Kardinals ins Ungewisse
ANALYSE Papst Franziskus rehabilitiert die Kölner Weihbischöfe und gibt dem Erzbischof eine Auszeit. Geklärt sind die Probleme damit nicht.
Die „Mitteilung des Heiligen Stuhls“zur Zukunft des Erzbistums Köln traf kurz nach 12 Uhr ein. Das ist mittlerweile für gewichtige Entscheidungen aus Rom die übliche Stunde. Doch eine wirkliche Entscheidung traf Franziskus mit diesem Schreiben nicht: Vielmehr gewährte der Papst dem in der Kritik stehenden Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki (65) eine sogenannte geistliche Auszeit, eine „Zeit des Innehaltens“. Diesen Wunsch habe Woelki in einem langen Gespräch mit dem Papst in der vergangenen Woche geäußert.
Das ist eingeübte Sprache der hohen Kirchendiplomatie. Sie ist deutungsfähig. Davon wurde am Freitag auch intensiv Gebrauch gemacht zu einem Fall, der seit Monaten die Gläubigen auch über die Grenzen des Erzbistums hinaus aufwühlt. So erinnert die päpstliche Stellungnahme an die Vorgänge im Bistum Limburg, als 2013 Bischof Tebartzvan Elst nach einigen Finanzskandalen ebenfalls eine Auszeit nahm (nehmen musste) – ebenfalls mit dem Hinweis versehen, dass er „vorerst“sein Amt behalte. Erst danach bat der Limburger Bischof um Suspendierung; auch die wurde ihm gewährt. Diese etwas umständlichen Entscheidungswege sollen letztlich der Gesichtswahrung eines Würdenträgers dienen.
Ob dies auch im Fall Woelki zutrifft, bezweifelt unter anderem der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller. Nach seinen Worten werde das Ganze auf ein Kommunikationsproblem reduziert. Vor allem werde mit Rolf Steinhäuser (69) ein Weihbischof aus den eigenen Reihen zum Administrator ernannt. „Das dürfte Woelki Rom abgedungen haben, weil dann nämlich im Bistum in der Zeit seiner Abwesenheit nichts passiert“, sagte er unserer Redaktion. Schüllers Einschätzung nach ist der Kardinal mit einem blauen Auge davongekommen. Und für Köln heißt das: Auf das Erzbistum kommen zehn, 15 Jahre einer bleiernen Zeit zu. Er wird ein König ohne Volk sein.“
Woelki selbst verkündete die Nachricht im bischöflichen Garten. Keine vier Minuten brauchte er dafür. Von Erleichterung war nichts zu spüren, Fragen beantwortete er nicht. Dafür räumte er Fehler ein, für die er die Verantwortung übernehmen werde – in der Kommunikation, aber auch in der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen. „Das tut mir aufrichtig leid, vor allem mit Blick auf die Betroffenen.“Jetzt werde er die Zeit nutzen, „Wege zu finden, die in die Zukunft weisen können, wie wir miteinander als Kirche von Köln unterwegs sein wollen und können“.
Auch der Papst attestiert seinem Kardinal „große Fehler“gemacht zu haben. Dies habe wesentlich zu jener Vertrauenskrise beigetragen, von denen die beiden Visitatoren berichtet hatten. Was Papst Franziskus Woelki hoch anrechnet: seine Treue zum Heiligen Stuhl und seine Sorge um die Einheit der Kirche.
Die Mitteilung aus Rom, die eine dringende Entscheidung nur hinausschiebt, ist auf reichlich Kritik gestoßen. „Dass Woelki im Amt bleiben darf, zeigt, dass der Papst die pastorale Notsituation nicht ernst nimmt, wenn er einen Bischof im Amt belässt, der bei vielen Hauptamtlichen und den meisten Gläubigen das Vertrauen verspielt hat“, sagt die Theologin Maria Mesrian von der Reforminitiative Maria 2.0 im Rheinland. Und: „Es zeigt, dass
Kardinal Woelki ,too big to fail' ist: zu viel Geld, zu viel Macht. Und es zeigt, dass die Kirche die Opfer der sexualisierten Gewalt besiegt. Denn der Papst gibt der mangelhaften Aufarbeitung im Erzbistum Köln den Persilschein.“
Dies wird besonders bemängelt in der Beurteilung der Kölner Weihbischöfe. Bereits vor ein paar Tagen war der jetzige Hamburger Erzbischof Stefan Heße (55) rehabilitiert worden, dem in seiner Kölner Zeit elf Pflichtverletzungen bei der Aufklärung von Missbrauchsfällen bescheinigt wurden. Ähnlich milde verfährt Franziskus nun auch mit den Weihbischöfen Ansgar Puff (eine Pflichtverletzung) sowie Dominikus Schwaderlapp (54), dem immerhin acht Pflichtverletzungen angehängt werden. Während Ansgar Puff (65) unmittelbar wieder seinen Dienst aufnehmen kann, soll Schwaderlapp vor seinem erneuten
Dienstantritt in Köln erst einmal für ein Jahr als Seelsorger in der Erzdiözese Mombasa arbeiten. Gleichfalls „auf eigenen Wunsch“, wie es heißt.
Die Rehabilitierung von Bischöfen, die Pflichtverletzungen begangen haben, ist auch ein Rückschlag für die ohnehin sehr problematischen und kritischen Aufarbeitungsbemühungen der katholischen Kirche hierzulande. Für Schüller, der das Institut für kanonisches Recht an der Münsteraner Wilhelms-universität als Direktor leitet, steht mit diesen Personalentscheidungen fest: „Mit diesem Papst brauchen die Opfer sexualisierter Gewalt nicht mehr zu rechnen. Franziskus ist mit dieser Entscheidung moralisch korrumpiert. Wenn das alles nicht als Vertuschung gilt, sondern verziehen wird, dann können wir eigentlich unser ganze Engagement der Aufklärung einstellen. Papst Franziskus hat sich damit selbst ins Abseits gestellt.“Das habe sich durch die Entscheidung zu Erzbischof Stefan Heße bereits angedeutet.
Die Nachrichten aus Rom treffen die katholische Kirche in einer Phase des Umbruchs, die manche Bischöfe und viele Laien erhoffen, andere auch befürchten. In dieser Woche ging die Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz, am kommenden Donnerstag startet der Synodale Weg in Frankfurt in seine entscheidende Phase. Zur künftigen Macht und Hierarchie in der Kirche sollen dann möglichst konkrete Handlungsanweisungen verabschiedet werden, zum priesterlichen Leben, zur Sexualmoral und vor allem zur Rolle der Frau in der Kirche. Alles sensible Themen, die ohne weltkirchliche Zustimmung kaum Wirklichkeit werden können.
Auch vor diesem Hintergrund hat sich zu den weiterhin ungelösten Vorgängen im Erzbistum Köln auch Professor Thomas Sternberg, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZDK) zu Wort gemeldet: Es könne die vatikanische Entscheidung zum Verbleib von Kardinal Woelki im Amt nicht verstehen: „Es ist völlig unklar, was am Ende einer solchen Auszeit stehen kann und sie ist nicht geeignet, um verlorengegangenes Vertrauen wiederherzustellen.“Es müsse sichergestellt werden, so Sternberg, „dass in dieser Auszeit mit den Gläubigen des Erzbistums Köln, ihren Vertretungen und mit denen der Missbrauchsbetroffenen gesprochen“werde. Und Sternberg ist sich sicher: „Wenn ein solcher vertrauensbildender Prozess nicht möglich ist oder gar verhindert wird, ist die Causa Woelki noch nicht erledigt.“
Einen anderen Vorschlag hat der
Kirchenrechtler Thomas Schüller parat: „Wenn der Papst dem Erzbischof eine Auszeit schenkt, dann sollten sich die Katholikinnen und Katholiken im Erzbistum überlegen, ob sie sich nicht auch eine Auszeit nehmen wollen. Das wäre eine Sache der Fairness.“
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