Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Liebe Frau Merkel,...
Von Martin Walser gibt es ein wunderbares Zitat: „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“Nun gehen Sie, nach 16 Jahren als Bundekanzlerin unseres Landes. Wenn Sie in den Interviews der letzten Wochen auf ihren baldigen Ruhestand angesprochen wurden, wirkten Sie entspannt und gelöst. Mir hat gefallen, dass Sie nicht mit Prestigeantworten glänzen wollten, wenn Sie gefragt wurden, was denn in der Zeit nach der Bundestagswahl auf Ihrer privaten Agenda steht. Abgesehen davon, dass Sie unser Land noch bis zur Neuwahl eines neuen Bundeskanzlers oder neuen Bundeskanzlerin weiterregieren müssen, wollen Sie anschließend nicht den Jakobsweg wandern oder Berge von Literatur lesen.
Erst einmal nichts tun, sagten Sie und es war Ihnen anzumerken, wie groß Ihre Freude darauf ist.
Wir, die von Ihnen regiert wurden, haben jetzt, am Ende Ihrer langen Amtszeit, Grund, Ihnen zu danken. Dank für Ihre Haltung und Ihre Geradlinigkeit. Die drei großen Krisen während Ihrer Kanzlerschaft haben Sie mit Ruhe und Weitsicht gemeistert. Das gilt für die Bankenkrise 2008 genauso wie für die Flüchtlingskrise 2015 und die Coronakrise 2020. Es war richtig, dass Sie die Grenzen 2015 für die Flüchtenden nicht geschlossen haben. Mit Ihrer praktizierten Ethik haben Sie sich aber nicht nur Freunde gemacht.
Andere Regierungschefs hatten sich da längst schon dem Populismus ergeben. Der Mob der Straße schrie „Merkel muss weg“, Sie blieben Ihrer menschenzugewandten Haltung, die ihre Wurzeln in einem protestantischen Pfarrhaus hat, treu. Im internationalen Haifischbecken der blondgefärbten Politclowns und großmäuligen Selbstdarsteller, der Menschenverächter und -schlächter ragten Sie mit Ihrer uneitlen, nüchternen und unbestechlichen Art immer heraus. Anhängern von AFD und Pegida, Reichsbürgern und Querdenkern, Coronaleugnern und Impfverweigerern setzten Sie Ihren klugen Sachverstand entgegen und vertrauten der Kraft der Argumente.
Sicher, nicht alles ist Ihnen in 16 Jahren Regierungsverantwortung gelungen. Beim Klimawandel hätten Sie noch mehr Impulse geben müssen, gestanden Sie vor kurzem selber ein. Das müssen nun andere entschlossen in die Hände nehmen. Sie dürfen gehen mit dem Gefühl, dass Sie Ihrer Verantwortung für die Menschen unseres Landes gerecht geworden sind und mit der Gewissheit, dass sich nun auch der neue Weg unter Ihre Füße schiebt.