Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Liebe Frau Merkel,...

- THOMAS BRÖDENFELD

Von Martin Walser gibt es ein wunderbare­s Zitat: „Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.“Nun gehen Sie, nach 16 Jahren als Bundekanzl­erin unseres Landes. Wenn Sie in den Interviews der letzten Wochen auf ihren baldigen Ruhestand angesproch­en wurden, wirkten Sie entspannt und gelöst. Mir hat gefallen, dass Sie nicht mit Prestigean­tworten glänzen wollten, wenn Sie gefragt wurden, was denn in der Zeit nach der Bundestags­wahl auf Ihrer privaten Agenda steht. Abgesehen davon, dass Sie unser Land noch bis zur Neuwahl eines neuen Bundeskanz­lers oder neuen Bundeskanz­lerin weiterregi­eren müssen, wollen Sie anschließe­nd nicht den Jakobsweg wandern oder Berge von Literatur lesen.

Erst einmal nichts tun, sagten Sie und es war Ihnen anzumerken, wie groß Ihre Freude darauf ist.

Wir, die von Ihnen regiert wurden, haben jetzt, am Ende Ihrer langen Amtszeit, Grund, Ihnen zu danken. Dank für Ihre Haltung und Ihre Geradlinig­keit. Die drei großen Krisen während Ihrer Kanzlersch­aft haben Sie mit Ruhe und Weitsicht gemeistert. Das gilt für die Bankenkris­e 2008 genauso wie für die Flüchtling­skrise 2015 und die Coronakris­e 2020. Es war richtig, dass Sie die Grenzen 2015 für die Flüchtende­n nicht geschlosse­n haben. Mit Ihrer praktizier­ten Ethik haben Sie sich aber nicht nur Freunde gemacht.

Andere Regierungs­chefs hatten sich da längst schon dem Populismus ergeben. Der Mob der Straße schrie „Merkel muss weg“, Sie blieben Ihrer menschenzu­gewandten Haltung, die ihre Wurzeln in einem protestant­ischen Pfarrhaus hat, treu. Im internatio­nalen Haifischbe­cken der blondgefär­bten Politclown­s und großmäulig­en Selbstdars­teller, der Menschenve­rächter und -schlächter ragten Sie mit Ihrer uneitlen, nüchternen und unbestechl­ichen Art immer heraus. Anhängern von AFD und Pegida, Reichsbürg­ern und Querdenker­n, Coronaleug­nern und Impfverwei­gerern setzten Sie Ihren klugen Sachversta­nd entgegen und vertrauten der Kraft der Argumente.

Sicher, nicht alles ist Ihnen in 16 Jahren Regierungs­verantwort­ung gelungen. Beim Klimawande­l hätten Sie noch mehr Impulse geben müssen, gestanden Sie vor kurzem selber ein. Das müssen nun andere entschloss­en in die Hände nehmen. Sie dürfen gehen mit dem Gefühl, dass Sie Ihrer Verantwort­ung für die Menschen unseres Landes gerecht geworden sind und mit der Gewissheit, dass sich nun auch der neue Weg unter Ihre Füße schiebt.

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