Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Wenn der Alltag schon zu viel ist
Autisten fremdeln häufig mit ihren Mitmenschen. Drei Mitglieder einer neuen Selbsthilfegruppe erzählen von ihren Problemen und Hoffnungen.
Wenn sich Armin, Tobias und Danny treffen, geht es oft um ganz banale Alltagsthemen. Es ist die Gesprächssituation, die besonders ist. Es gibt wenig Blickkontakt, dafür umso mehr Stuhlwippen und eine Grundregel: Geduld. Egal wie lange die Detail-ausführungen der Teilnehmer dauern, Unterbrechungen sind nicht erwünscht. Armin (54), Tobias (41) und Danny (45) sind Autisten und Teil einer neuen Selbsthilfegruppe, die sich in Duisburg gegründet hat.
„Es hilft mir so sehr zu erleben, dass der soziale Kontakt zu anderen Menschen nicht so anstrengend sein muss, wie ich es im Alltag erlebe“, sagt Tobias. Der Frührentner hat erst im Mai dieses Jahres die Diagnose „Autismus“erhalten. „Eine Freundin hatte schon häufiger nebenbei erwähnt, dass ich mich manchmal wie ein Autist verhalten würde“, sagt er. Im Alltag fühlt sich Tobias oft überfrachtet von all den Reizen. Meist trägt er Ohrstöpsel, um weniger Geräusche wahrzunehmen. Gerüche und Geschmackssinn gehen für ihn oft ineinander über. Auch der Smalltalk im Hausflur ist pure Anstrengung. „Einfach ignorieren geht nicht“, sagt er. Das führe nur zu weiterer „Reibung“, wie er es nennt, oder „Mobbing“.
Die sogenannte Autismus-spektrum-störung gilt nach Definition der Weltgesundheitsorganisation als „tiefgreifende Entwicklungsstörung“. Armin und Danny leiden an der Unterform des „Asperger-autismus“. Bei Tobias gibt es (noch) keine ausdifferenzierte Diagnose. Asperger-autisten besitzen laut dem Bundesverband zur Förderung von Menschen mit Autismus in der Regel „eine normale allgemeine, in Teilgebieten mitunter besonders hohe
Intelligenz“. Auffälligkeiten gebe es hingegen häufig in der „psychomotorischen Entwicklung“und beim Sozialverhalten. Die wohl berühmteste Asperger-autistin ist die Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Persönliche Begegnungen mit Nicht-autisten sind für Armin, Tobias und Danny oft mit viel Stress verbunden. Daher haben sie sich gegen ein persönliches Kennenlernen für diese Geschichte entschieden, die Fragen lieber schriftlich beantwortet. Zudem wollen sie nicht mit ihren kompletten Namen in der Zeitung stehen. Auch aus Angst vor Stigmatisierung.
„Die seltsamen Mitmenschen machen das Leben oft nicht einfach“, sagt Armin. Schon in der Grundschule sei ihm aufgefallen, dass er vieles anders angehe als seine Mitschüler. Er ist Mitglied beim Hochbegabten-verein Mensa. Dort wurde er auch auf die Autisten-selbsthilfegruppe aufmerksam. „Träume habe ich weitgehend aufgegeben, aber wieder eine Beziehung wäre nicht schlecht“, sagt Armin zu den Zielen, die er in seinem Leben noch hat.
Autisten können sich oft sehr gut auf ganz bestimmte Interessen konzentrieren. „Mich in Details zu ‚verlieren' kann je nach Situation ein Vorteil oder Nachteil sein“, sagt Danny. Sie wäre gerne flexibler. Anders als viele andere Gruppenmitglieder konnte sie trotz ihrer Diagnose beruflich Karriere machen. Sie arbeitet als Ärztin. „Ohne Patientenkontakt“, wie sie sagt. Wenn sie Zuhause ist, hört sie täglich Harry-potter-hörbücher. In drei Sprachen.
Die Drei sind manchmal selbst unzufrieden mit ihren Eigenschaften. „Ich bin mir öfter selbst im Weg“, sagt Armin. Tobias beklagt, dass seine „autistischen Eigenschaften“massiv Energie kosten, „ohne einen Gegenwert zu liefern.“Häufig ist es aber auch die Gesellschaft die ihnen das Leben schwer macht.
„Viele Bedürfnisse von Autisten überschneiden sich mit denen von Nicht-autisten“, sagt Tobias. So litten beide Gruppen unter den Abgasen und der Lärmbelastung in den Städten. Nur er als Autist eben noch mehr als viele „Neurotypische“, wie er Nicht-autisten auch nennt. Und wenn eine Diskussion im Büro
„sachlich, zielorientiert, respektvoll und mit eindeutig-klarer Sprache“geführt werde, „müssten eigentlich alle profitieren“, wie Tobias sagt. Und Autisten wären danach nicht mehr ausgebrannt.
Mehr Verständnis für Menschen, die so sind wie sie – das erhoffen sich Armin, Tobias und Danny. Deswegen haben sie überhaupt erst die Fragen für diesen Text beantwortet. Und um vielleicht jemandem da draußen zu helfen, der noch nicht weiß, was mit ihm eigentlich genau los ist. „Der Artikel kann durchaus Anstoß eines Wendepunkts im Leben einiger Leserinnen und Leser werden“, sagt Tobias. Er lese immer wieder, dass erwachsene Autisten erst so auf die Idee kommen, dass sie Autisten sein könnten.
Kontakt zur Selbsthilfegruppe erhalten Sie unter Tel. 0203 60 99 041 oder selbsthilfe-duisburg@paritaet-nrw.org.