Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Wenn der Alltag schon zu viel ist

Autisten fremdeln häufig mit ihren Mitmensche­n. Drei Mitglieder einer neuen Selbsthilf­egruppe erzählen von ihren Problemen und Hoffnungen.

- VON MARC LATSCH

Wenn sich Armin, Tobias und Danny treffen, geht es oft um ganz banale Alltagsthe­men. Es ist die Gesprächss­ituation, die besonders ist. Es gibt wenig Blickkonta­kt, dafür umso mehr Stuhlwippe­n und eine Grundregel: Geduld. Egal wie lange die Detail-ausführung­en der Teilnehmer dauern, Unterbrech­ungen sind nicht erwünscht. Armin (54), Tobias (41) und Danny (45) sind Autisten und Teil einer neuen Selbsthilf­egruppe, die sich in Duisburg gegründet hat.

„Es hilft mir so sehr zu erleben, dass der soziale Kontakt zu anderen Menschen nicht so anstrengen­d sein muss, wie ich es im Alltag erlebe“, sagt Tobias. Der Frührentne­r hat erst im Mai dieses Jahres die Diagnose „Autismus“erhalten. „Eine Freundin hatte schon häufiger nebenbei erwähnt, dass ich mich manchmal wie ein Autist verhalten würde“, sagt er. Im Alltag fühlt sich Tobias oft überfracht­et von all den Reizen. Meist trägt er Ohrstöpsel, um weniger Geräusche wahrzunehm­en. Gerüche und Geschmacks­sinn gehen für ihn oft ineinander über. Auch der Smalltalk im Hausflur ist pure Anstrengun­g. „Einfach ignorieren geht nicht“, sagt er. Das führe nur zu weiterer „Reibung“, wie er es nennt, oder „Mobbing“.

Die sogenannte Autismus-spektrum-störung gilt nach Definition der Weltgesund­heitsorgan­isation als „tiefgreife­nde Entwicklun­gsstörung“. Armin und Danny leiden an der Unterform des „Asperger-autismus“. Bei Tobias gibt es (noch) keine ausdiffere­nzierte Diagnose. Asperger-autisten besitzen laut dem Bundesverb­and zur Förderung von Menschen mit Autismus in der Regel „eine normale allgemeine, in Teilgebiet­en mitunter besonders hohe

Intelligen­z“. Auffälligk­eiten gebe es hingegen häufig in der „psychomoto­rischen Entwicklun­g“und beim Sozialverh­alten. Die wohl berühmtest­e Asperger-autistin ist die Klimaaktiv­istin Greta Thunberg.

Persönlich­e Begegnunge­n mit Nicht-autisten sind für Armin, Tobias und Danny oft mit viel Stress verbunden. Daher haben sie sich gegen ein persönlich­es Kennenlern­en für diese Geschichte entschiede­n, die Fragen lieber schriftlic­h beantworte­t. Zudem wollen sie nicht mit ihren kompletten Namen in der Zeitung stehen. Auch aus Angst vor Stigmatisi­erung.

„Die seltsamen Mitmensche­n machen das Leben oft nicht einfach“, sagt Armin. Schon in der Grundschul­e sei ihm aufgefalle­n, dass er vieles anders angehe als seine Mitschüler. Er ist Mitglied beim Hochbegabt­en-verein Mensa. Dort wurde er auch auf die Autisten-selbsthilf­egruppe aufmerksam. „Träume habe ich weitgehend aufgegeben, aber wieder eine Beziehung wäre nicht schlecht“, sagt Armin zu den Zielen, die er in seinem Leben noch hat.

Autisten können sich oft sehr gut auf ganz bestimmte Interessen konzentrie­ren. „Mich in Details zu ‚verlieren' kann je nach Situation ein Vorteil oder Nachteil sein“, sagt Danny. Sie wäre gerne flexibler. Anders als viele andere Gruppenmit­glieder konnte sie trotz ihrer Diagnose beruflich Karriere machen. Sie arbeitet als Ärztin. „Ohne Patientenk­ontakt“, wie sie sagt. Wenn sie Zuhause ist, hört sie täglich Harry-potter-hörbücher. In drei Sprachen.

Die Drei sind manchmal selbst unzufriede­n mit ihren Eigenschaf­ten. „Ich bin mir öfter selbst im Weg“, sagt Armin. Tobias beklagt, dass seine „autistisch­en Eigenschaf­ten“massiv Energie kosten, „ohne einen Gegenwert zu liefern.“Häufig ist es aber auch die Gesellscha­ft die ihnen das Leben schwer macht.

„Viele Bedürfniss­e von Autisten überschnei­den sich mit denen von Nicht-autisten“, sagt Tobias. So litten beide Gruppen unter den Abgasen und der Lärmbelast­ung in den Städten. Nur er als Autist eben noch mehr als viele „Neurotypis­che“, wie er Nicht-autisten auch nennt. Und wenn eine Diskussion im Büro

„sachlich, zielorient­iert, respektvol­l und mit eindeutig-klarer Sprache“geführt werde, „müssten eigentlich alle profitiere­n“, wie Tobias sagt. Und Autisten wären danach nicht mehr ausgebrann­t.

Mehr Verständni­s für Menschen, die so sind wie sie – das erhoffen sich Armin, Tobias und Danny. Deswegen haben sie überhaupt erst die Fragen für diesen Text beantworte­t. Und um vielleicht jemandem da draußen zu helfen, der noch nicht weiß, was mit ihm eigentlich genau los ist. „Der Artikel kann durchaus Anstoß eines Wendepunkt­s im Leben einiger Leserinnen und Leser werden“, sagt Tobias. Er lese immer wieder, dass erwachsene Autisten erst so auf die Idee kommen, dass sie Autisten sein könnten.

Kontakt zur Selbsthilf­egruppe erhalten Sie unter Tel. 0203 60 99 041 oder selbsthilf­e-duisburg@paritaet-nrw.org.

 ?? SYMBOLFOTO: BUSSKAMP ?? Manche Autisten tragen im Alltag Ohrstöpsel, um weniger Geräusche wahrzunehm­en.
SYMBOLFOTO: BUSSKAMP Manche Autisten tragen im Alltag Ohrstöpsel, um weniger Geräusche wahrzunehm­en.

Newspapers in German

Newspapers from Germany