Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Kult sein ist kein Freifahrtschein
Am Ende wären sie es wahrscheinlich alle gerne, jeder einzelne Fußballklub: ein Kultverein. Einer, von dem auch Anhänger anderer Vereine sagen: Der bereichert die Liga. Einer, in dessen Stadion man mal gewesen sein muss, um die Stimmung zu erleben. Einer, der hilft, die Fankultur hochzuhalten. Union Berlin galt lange Jahre als so ein Verein. Rebellisch gegen die Obrigkeit, die kecke Alternative aus Köpenick zu den Möchtegern-reichen von Hertha BSC, ein Sehnsuchtsort für Fußballfans. Doch der Kultstatus hat Risse bekommen. Und Union selbst hat eifrig daran gearbeitet.
Im Januar ermittelte der DFB gegen Union-profi Florian Hübner wegen eines Rassismus-vorwurfs. Er soll Leverkusens Nadiem Amiri beleidigt haben. Als Bayer 04 im August wieder in Köpenick antrat, wurden Amiri und Teamkollege Jonathan Tah bei jeder Aktion ausgepfiffen. Union-präsident Dirk Zingler sagte in der Halbzeit, es sei das „gute Recht“der Fans, das zu tun. Zingler vorneweg, aber der gesamte Union-kosmos forderte des weiteren schon früh eine vollständige Zuschauerrückkehr, während im Land die Angst vor einer vierten Welle im Herbst und neuen Corona-mutationen wuchs. Nach dem Einzug in die Conference League hatten mehr als 2000 Union-fans dicht an dicht und ohne Maske eine illegale Party gefeiert, während der Berliner Amateur- und Breitensport unter strengen Hygieneregeln litt.
Und jetzt ermittelt also der Staatsschutz nach Unions Europapokalspiel gegen Maccabi Haifa wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Es soll im Stadion zu Angriffen gegen Anhänger des israelischen Meisters gekommen sein. Union signalisierte, man wolle die Vorfälle gemeinsam mit den Behörden lückenlos aufklären. Ein richtiger Schritt. Aber eben auch der einzig gangbare.
Union hat sich über Jahre bundesweit Sympathien erarbeitet. Aber Kult sein ist kein Freifahrtschein. Auch kein Selbstzweck.
Der Klub läuft in den Augen vieler Gefahr, es mit der Selbstverliebtheit zu übertreiben.