Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Programm für Flüchtlingsfamilien
In Dinslaken engagieren sich Paten, die ankommende Flüchtlinge aufnehmen, Kosten begleichen und für Arbeit sorgen. „Nest“ist ein Pilotprogramm des Bundes und steht für „Neustart im Team“.
DINSLAKEN (big) Sie haben viel gewerkelt in den vergangenen Wochen, die sieben „Nestler“, um für eine demnächst ankommende Flüchtlingsfamilie ein kleines aber feines Nest zu schaffen. Bereits im November 2019 waren Bärbel Radmacher und ihr Mann Udo auf das neue Pilotprogramm des Bundes „Nest – Neustart im Team“gestoßen.
„Bei einer Veranstaltung des Flüchtlingsrates NRW wurde uns das Programm vorgestellt“, erläutert Radmacher, die dem Dinslakener Flüchtlingsrat angehört. Durch dieses Programm sollen zusätzlich bis zu 500 Flüchtlinge aufgenommen werden. Allerdings sollen sich Staat und Zivilgesellschaft gleichermaßen um die besonders Schutzbedürftigen kümmern. Was ein enormes gesellschaftliches Engagement von Privatpersonen voraussetzt.
Für Bärbel und Udo Radmacher stand sofort fest: „Da machen wir mit.“Wieder daheim, telefonierte Bärbel Radmacher sogleich mit Freunden und Bekannten und relativ schnell waren fünf Mitstreiter in Wilfried Faber-dietze und seiner Frau Rita Dietze, in Willi Cihak, Dagmar Nalezinski und Dr. Nimur Koudmani gefunden. Schnell wurde aus den sieben bis dahin Fremden eine verschworene Gemeinschaft, die in den Sommerferien eine Wohnung für die erwarteten Schützlinge suchte und fand, die tapezierten, strichen, Möbel organisierten und zusammenbauten und so dabei sind, ein wohliges Nest zu formen.
„Wir haben uns bereit erklärt, für vier Personen die Patenschaft zu übernehmen“, berichtet Wilfried Faber-dietze. Bekannt sind sie ihnen noch nicht. Sie wissen also noch nicht, ob es sich um eine Familie mit kleinen oder großen Kindern handelt, um eine alleinerziehende Mutter mit ihrem Sprösslingen oder um alte Leute. Eines aber steht fest, es sind Menschen, die besonderen Schutz bedürfen, aus egal welchem Grunde. Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) sucht zusammen mit dem UNHC die besonders Schutzbedürftigen aus, bereitet sie vor und verteilt sie auf die entsprechenden Länder und ihre privaten Mitstreiter. „Wir haben alle Formalitäten erledigt und denken, dass wir in zwei, drei Wochen Bescheid bekommen“, so Faber-dietze.
Die Wohnung ist seit dem 1. Juli angemietet, derzeit noch auf die Nestler, ab Ankunft dann auf die Familie. Die Wohnung unterliegt dem Sozialstatus und wird von den sieben Privatpersonen bezahlt – für zwei Jahre. Auch wird deren Begleitung der Flüchtlinge in allen gesellschaftlichen Belangen vorausgesetzt.
Warum setzt man sich dem aus? Immerhin wissen alle Beteiligten, dass dieses Projekt auch schief gehen, dass eine Integration nicht stattfinden könnte. „Wir wissen ja nicht, welches Trauma die Ankommenden eventuell erlebt haben. Ob ihre psychischen Probleme überhaupt bewältigt werden können, ob sie sich hier zurecht finden“, zählt Bärbel Radmacher eventuelle Schwierigkeiten auf.
Die sieben Freunde machen sich nichts vor, sind aber dennoch guter Dinge. Immerhin setzt sich das Team aus Ärzten, Seelsorgern und Lehrern zusammen, mit dem nötigen Know-how und einem nicht zu verachtendem Bekanntheitsgrad und Netzwerk. „Ich finde es persönlich reizvoll, eine Familie in den ersten Jahren zu begleiten, ihre Kultur kennenzulernen, ihr unsere nahezubringen“, so Faber-dietze.
Eine große Last in der Flüchtlingsbekämpfung trage die so genannte „Dritte Welt“selber, „wir hingegen in der EU schotten uns ab, deshalb finde ich, dass dies eine wichtige politische Aufgabe ist“, so der frühere Lehrer und Seelsorger. Er lacht: „Außerdem habe ich als Rentner sonst nichts zu tun.“Seine Frau Rita ergänzt: „Immer wieder das Elend zu sehen und nichts zu tun, reichte mir. Diese Aktion ist weniger als ein Tropfen auf dem heißen Stein, dennoch wollte ich wenigstens etwas humanitäre Hilfe leisten. Mich nicht mehr so hilflos fühlen, angesichts des Elends dieser Menschen. Ich habe viel Gutes im Leben erfahren, nun kann ich endlich etwas zurückgeben.“
Dr. Nimur Koudmani ist wohl der einzige in der Gruppe, der einst selbst erlebte, wie es ist, im eigenen Land unerwünscht zu sein. Bereits seit den späten siebziger Jahren lebt der frühere Chefarzt der Inneren des St.-vinzenz-hospitals in Dinslaken, engagiert sich nicht nur für die christliche Gemeinde in Syrien sondern auch bei der Flüchtlingswelle 2015 im Hardfeld. Für ihn war es selbstverständlich, sich auch hier einzubringen.
Auch Dagmar Nalezinski weiß, wie fremd man sich in einem anderen Land fühlen kann. „Dabei haben wir freiwillig in der Fremde gelebt, aber wirklich willkommen haben wir uns nie gefühlt. Daher möchte ich den ankommenden Flüchtlingen hier eine Perspektive bieten.“
Willi Cihak kann dem nur zustimmen. „Wenn sich mehrere solcher Teams bilden, kann vielleicht mehr daraus werden, als ein Tropfen.“
Und die beiden Hauptorganisatoren? „Wir sind durch Zufall zu einem höheren Geldbetrag gekommen, den wir nicht unbedingt benötigen. Also haben wir uns überlegt, was Gutes wir damit anfangen können. Kein Mensch sollte illegal irgendwo leben. Jeder sollte sich seinen Wohnort frei auf der Welt aussuchen dürfen, das wäre ein Traum von mir. Aber ich weiß auch, ohne finanzielle Mittel geht das nicht“, so Bärbel Radmacher.
Nun warten sie auf den Bescheid. Eine Woche bevor die Schutzbedürftigen nach Deutschland kommen, lernen sie ihre Paten via Skype kennen. Zwei Wochen werden sie in Friedland auf Deutschland vorbereitet, dann können die Nestler sie dort abholen und in ihr ureigenes Nest in Dinslaken bringen.
„Wenn sich mehrere solcher Teams bilden, kann vielleicht mehr daraus werden, als ein Tropfen“Willi Cihak Nest