Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Die Innenstadt braucht Leben und Anreize, sie zu besuchen, wenn sie gegen die virtuellen Welten bestehen soll. Was dazu nötig ist, darüber haben sich Immobilienexperten beim Rp-forum „Zeitenwende für die Innenstadt“ausgetauscht.
Innenstädte konkurrieren nicht nur miteinander um die Gunst der Konsumenten, sondern bekanntermaßen zunehmend auch mit dem Online-handel. Man müsse diese „Entwicklung als Chance begreifen“und „die Innenstadt neu denken“, fordert Rudi Purps, Geschäftsführer der Centrum-gruppe, die unter anderem in Düsseldorf den Kö-bogen II gestaltet hat. Dieses Objekt mit der begrünten Außenfassade ist natürlich ein Paradebeispiel dafür, wie man heute Besucher anlocken kann. Doch auch mit der inneren Gestaltung wollen die Immobilienexperten Zeichen setzen. So gibt es Internet mit hoher Geschwindigkeit, Deckenhöhen von fünf Metern und eine integrierte Gastronomie. „Eine Immobilie muss Innovations- und Zukunftsgedanken mittragen“, sagt Purps. Man müsse Immobilien flexibel gestalten können, da man heute die Anforderungen der Zukunft nicht kenne.
Möglicherweise seien die Standortpotenziale einer A-lage mit ihrem regen Kundenverkehr noch gar nicht ausgeschöpft, regt Moderatorin Birgit Gebhardt an. Die Trendexpertin verweist auf Unternehmen wie auch Flagshipstores, die zunehmend Kunden in ihre Entwicklungs- und Vermarktungsprozesse einbinden.
Neben der Immobilie muss das Umfeld stimmen. „Wenn wir Menschen in die Innenstadt locken wollen, muss sie deutlich attraktiver werden“, sagt Eckhard Brockhoff, Geschäftsführer des gleichnamigen Familienunternehmens mit Sitz in Essen, das zu den führenden deutschen Immobiliendienstleistern zum Beispiel im Handel zählt. Abends seien die Städte oft leer. Zur Belebung beitragen könne mehr Wohnen, aber auch Bildungsangebote. Eine Schlüsselrolle weist Brockhoff der Gastronomie zu.
Corona habe offenbart, was vorher schon zu sehen war, ist Caspar Schmitz-morkramer überzeugt. „Wir erleben gerade einen gigantischen Umbruch“, sagt der Geschäftsführende Gesellschafter des Architekturbüros caspar., das den Wandel im Einzelhandel und die Auswirkungen in verschiedenen Städten in einer umfassenden Studie untersucht hat. Viele Einzelhandelslagen seien heute unattraktiv, da sie nur tagsüber belebt seien, bestätigt er die Einschätzung Brockhoffs, die auch Purps teilt: „Wir müssen die Innenstädte von der Monokultur befreien.“Die Experten fordern auch mehr Entertainment und Veranstaltungen, die die Innenstadt beleben könnten. Ebenso Freizeitwert. Immerhin: Hier sei
Düsseldorf bereits ganz gut aufgestellt, meint Brockhoff: „Die Stadt ist interessant für Touristen, das wird auch wiederkehren.“Der Handel selbst könne einiges zur Attraktivität beitragen, ergänzt Schmitz-morkramer. Man müsse in den Geschäften „Dinge erleben, die man im Internet nicht erleben kann“. Läden könnten zum Beispiel als Plattformen dienen, die auch wechselnd bespielt werden können – für Markenpräsentationen, aber auch Gastronomie oder Dinge wie Yoga-kurse. Der Handel müsse „ausspielen, was das Internet nicht ausspielen kann“.
Der Online-handel sei dominant bei der Verfügbarkeit, Preistransparenz und Bequemlichkeit, sagt Purps. Aber bei der Erlebbarkeit punkte der stationäre Handel. Das macht der Experte an dem Trend fest, dass auch Online-händler mit Store-konzepten in die reale Welt drängen. „Sie sehen die stationäre Welt als weitere Entwicklungsstufe.“
Am Beispiel Königsallee zeigen die Handelsexperten, wie sie sich die Zukunft vorstellen können – mit unterschiedlichen Akzenten. Schmitz-morkramer schlägt vor, die Parkplätze zu reduzieren und die Luxusmeile „in zwei Geschwindigkeiten“zu denken. Während die Bankenseite befahrbar bleiben könne, solle man auf der Geschäftsseite die bislang von Autos genutzten Flächen für „interessante Gastronomie“mit Pavillons und Terrassenbestuhlung und weitere Nutzungen öffnen. „Das würde zur Belebung auch nachts und sonntags führen.“Außerdem könne man die Außengastronomie bis an die Uferkante des Kö-grabens führen. Die Kö sei etwas Einmaliges. Aber der 55 Meter breite Stadtraum der Straße werde nicht ausreichend genutzt.
„Ich sehe das anders“, entgegnet Purps. Die Kö lebe von einem „Konglomerat verschiedener Lebensstile.“Dazu gehöre neben Shopping, sich auch im Luxusauto zu präsentieren. „Sehen und gesehen werden – das gehört zusammen.“Es sei überall so, dass eine Luxusstraße den „Show-act“brauche. So oder so – auf der Kö könne man mehr aus der Fläche herausholen, meint Brockhoff. Die Meile brauche mehr Angebote für Freizeit und Gastronomie, um die Verweildauer zu erhöhen. „Die Menschen wollen sich in der Stadt aufhalten.“Davon profitiere auch der Handel.
Die Diskussionen des Rp-forums „Zeitenwende für die Innenstadt“wurden aufgezeichnet; sie können auch im Video angesehen werden: www.rp-forum.de/zeitenwende-fuer-die-innenstadt