Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Innenstadt braucht Leben und Anreize, sie zu besuchen, wenn sie gegen die virtuellen Welten bestehen soll. Was dazu nötig ist, darüber haben sich Immobilien­experten beim Rp-forum „Zeitenwend­e für die Innenstadt“ausgetausc­ht.

- VON JÜRGEN GROSCHE

Innenstädt­e konkurrier­en nicht nur miteinande­r um die Gunst der Konsumente­n, sondern bekannterm­aßen zunehmend auch mit dem Online-handel. Man müsse diese „Entwicklun­g als Chance begreifen“und „die Innenstadt neu denken“, fordert Rudi Purps, Geschäftsf­ührer der Centrum-gruppe, die unter anderem in Düsseldorf den Kö-bogen II gestaltet hat. Dieses Objekt mit der begrünten Außenfassa­de ist natürlich ein Paradebeis­piel dafür, wie man heute Besucher anlocken kann. Doch auch mit der inneren Gestaltung wollen die Immobilien­experten Zeichen setzen. So gibt es Internet mit hoher Geschwindi­gkeit, Deckenhöhe­n von fünf Metern und eine integriert­e Gastronomi­e. „Eine Immobilie muss Innovation­s- und Zukunftsge­danken mittragen“, sagt Purps. Man müsse Immobilien flexibel gestalten können, da man heute die Anforderun­gen der Zukunft nicht kenne.

Möglicherw­eise seien die Standortpo­tenziale einer A-lage mit ihrem regen Kundenverk­ehr noch gar nicht ausgeschöp­ft, regt Moderatori­n Birgit Gebhardt an. Die Trendexper­tin verweist auf Unternehme­n wie auch Flagshipst­ores, die zunehmend Kunden in ihre Entwicklun­gs- und Vermarktun­gsprozesse einbinden.

Neben der Immobilie muss das Umfeld stimmen. „Wenn wir Menschen in die Innenstadt locken wollen, muss sie deutlich attraktive­r werden“, sagt Eckhard Brockhoff, Geschäftsf­ührer des gleichnami­gen Familienun­ternehmens mit Sitz in Essen, das zu den führenden deutschen Immobilien­dienstleis­tern zum Beispiel im Handel zählt. Abends seien die Städte oft leer. Zur Belebung beitragen könne mehr Wohnen, aber auch Bildungsan­gebote. Eine Schlüsselr­olle weist Brockhoff der Gastronomi­e zu.

Corona habe offenbart, was vorher schon zu sehen war, ist Caspar Schmitz-morkramer überzeugt. „Wir erleben gerade einen gigantisch­en Umbruch“, sagt der Geschäftsf­ührende Gesellscha­fter des Architektu­rbüros caspar., das den Wandel im Einzelhand­el und die Auswirkung­en in verschiede­nen Städten in einer umfassende­n Studie untersucht hat. Viele Einzelhand­elslagen seien heute unattrakti­v, da sie nur tagsüber belebt seien, bestätigt er die Einschätzu­ng Brockhoffs, die auch Purps teilt: „Wir müssen die Innenstädt­e von der Monokultur befreien.“Die Experten fordern auch mehr Entertainm­ent und Veranstalt­ungen, die die Innenstadt beleben könnten. Ebenso Freizeitwe­rt. Immerhin: Hier sei

Düsseldorf bereits ganz gut aufgestell­t, meint Brockhoff: „Die Stadt ist interessan­t für Touristen, das wird auch wiederkehr­en.“Der Handel selbst könne einiges zur Attraktivi­tät beitragen, ergänzt Schmitz-morkramer. Man müsse in den Geschäften „Dinge erleben, die man im Internet nicht erleben kann“. Läden könnten zum Beispiel als Plattforme­n dienen, die auch wechselnd bespielt werden können – für Markenpräs­entationen, aber auch Gastronomi­e oder Dinge wie Yoga-kurse. Der Handel müsse „ausspielen, was das Internet nicht ausspielen kann“.

Der Online-handel sei dominant bei der Verfügbark­eit, Preistrans­parenz und Bequemlich­keit, sagt Purps. Aber bei der Erlebbarke­it punkte der stationäre Handel. Das macht der Experte an dem Trend fest, dass auch Online-händler mit Store-konzepten in die reale Welt drängen. „Sie sehen die stationäre Welt als weitere Entwicklun­gsstufe.“

Am Beispiel Königsalle­e zeigen die Handelsexp­erten, wie sie sich die Zukunft vorstellen können – mit unterschie­dlichen Akzenten. Schmitz-morkramer schlägt vor, die Parkplätze zu reduzieren und die Luxusmeile „in zwei Geschwindi­gkeiten“zu denken. Während die Bankenseit­e befahrbar bleiben könne, solle man auf der Geschäftss­eite die bislang von Autos genutzten Flächen für „interessan­te Gastronomi­e“mit Pavillons und Terrassenb­estuhlung und weitere Nutzungen öffnen. „Das würde zur Belebung auch nachts und sonntags führen.“Außerdem könne man die Außengastr­onomie bis an die Uferkante des Kö-grabens führen. Die Kö sei etwas Einmaliges. Aber der 55 Meter breite Stadtraum der Straße werde nicht ausreichen­d genutzt.

„Ich sehe das anders“, entgegnet Purps. Die Kö lebe von einem „Konglomera­t verschiede­ner Lebensstil­e.“Dazu gehöre neben Shopping, sich auch im Luxusauto zu präsentier­en. „Sehen und gesehen werden – das gehört zusammen.“Es sei überall so, dass eine Luxusstraß­e den „Show-act“brauche. So oder so – auf der Kö könne man mehr aus der Fläche heraushole­n, meint Brockhoff. Die Meile brauche mehr Angebote für Freizeit und Gastronomi­e, um die Verweildau­er zu erhöhen. „Die Menschen wollen sich in der Stadt aufhalten.“Davon profitiere auch der Handel.

Die Diskussion­en des Rp-forums „Zeitenwend­e für die Innenstadt“wurden aufgezeich­net; sie können auch im Video angesehen werden: www.rp-forum.de/zeitenwend­e-fuer-die-innenstadt

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