Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
Koalieren mit Machiavelli
Der italienische Politik-philosoph hat vor Jahrhunderten Machtmechanismen beschrieben, die heute noch gültig sind – zynisch, aber auch überraschend konstruktiv. Für Olaf Scholz jedenfalls ergeben sich klare Hinweise.
Er gilt als Vordenker der Tyrannen und Despoten – der italienische Philosoph, Diplomat, Dichter und Chronist Niccolò Machiavelli hat keinen guten Ruf in der Geistesgeschichte. Dabei beschrieb er nur sehr akkurat, wie Herrscher und Herrscherinnen ihre Macht erringen, sie verteidigen und auch wieder verlieren. Als Humanist der Renaissance wählte er dabei einen menschlichen Ansatz. Er beobachtete, wie sich Personen in Wirklichkeit verhalten – und ist darin bis heute unerreicht.
Auch die Verhandler der Ampelkoalition in Berlin orientieren sich bewusst oder unbewusst an ihm. Denn Machiavelli interessiert das Ergebnis: Was ist gut für das Gemeinwesen? Und da müssen seine Herrscher, selbst wenn sie am Ende das Gute wollen, schon einmal Umwege einschlagen.
Der italienische Politik-vordenker bricht mit der Vorstellung, dass ein Fürst (damals die gängige Regierungsform) vor allem gottesfürchtig, freigebig, gut zu seinen Untertanen und mächtig im Kampf sein müsse. Die klassischen Herrschertugenden könnten durchaus einen Staat in den Untergang führen, befürchtete der Mann aus dem damals modernsten Staatswesen der Welt, der toskanischen Stadt Florenz. Luxuriöse Verschwendung und Krieg können ein Land ebenso ruinieren wie übertriebene Religiosität und übermäßige Sozialausgaben.
Machiavelli plädierte für Nüchternheit, einen scharfen politischen Verstand und konsequentes Handeln – ein sehr moderner Ansatz. Für ihn muss der Fürst stark wie ein Löwe sein, aber darf auch nicht in die Schlingen seiner Feinde geraten. Deshalb braucht er auch die Schläue eines Fuchses. Verfügt er nur über eine dieser Qualitäten, ist es schlecht um ihn bestellt.
Übertragen auf die Sondierungen zur Ampel bedeutet das: Der hehre Wille allein, eine Koalition des „fortschrittlichen Zentrums“oder des „sozial-liberal-ökologischen“Aufbruchs zu bilden, reicht nicht, um die Regierung auf längere Zeit zu behalten. Das erzeugt bei den Wahlberechtigten nur den Schein, dass es nach der Stagnation der letzten Merkel-jahre wieder aufwärts geht. Machiavelli würde es begrüßen, zunächst diesen Schein zu erzeugen. Aber er war Realist genug, dass die „Gunst des Volkes“so auf Dauer nicht zu sichern sei. Und die ist für ihn die richtige Herrschaftsgrundlage. Besser als „auf die Großen zu bauen“, in unserer Zeit vergleichbar mit mächtigen Lobbygruppen oder einflussreichen Wählerklientelen.
Die modernen Machiavellisten sind die Ökonomen unter den Politikwissenschaftlern. Auch sie haben Ziele wie Gemeinwohl, Zusammenhalt, Respekt und „Wohlstand für alle“als reines Wunschdenken entlarvt. Politiker wollen wiedergewählt werden, ihre Macht erhalten, und dazu dienen ihnen die Parteien, deren Mitglieder auf privilegierte Stellungen oder ihre persönlichen Vorlieben schauen. Erst der Ausgleich dieser Interessen schafft so etwas wie die Schnittmenge, auf die sich eine Mehrheit einigen kann. Deshalb ist es im Sinne Machiavellis, wenn sich die SPD um die Interessen der kleinen Leute, die Grünen um die der ökologisch Besorgten und die FDP um die der wirtschaftlich besonders Aktiven kümmert. Man könnte bösartig von der sozialen Hängematte, der Bevormundung durch grüne Eiferer oder den Interessen der Reichen sprechen, die weniger abgeben wollen. Auf jeden Fall zählen diese Gruppen zu den Gewinnern der Wahl und wollen bedient werden.
Der künftige Kanzler, der „Fürst“im Denken des Italieners, wird den größten Spagat wagen müssen. Nach Machiavelli darf er sich von seinen Partnern nicht zu abhängig machen. Denn die fühlen sich ihm ebenbürtig und könnten ihn schneller stürzen als das Volk durch allgemeine Wahlen. So tat es Gerhard Schröder. Er stützte sich stark auf die Zustimmung des Wahlvolks, er war der Garant des Spd-siegs. Ähnlich ergeht es Olaf Scholz, der weitaus höhere Sympathiewerte erzielt als seine Partei. Diese Macht muss er ausspielen – auch gegenüber dem eigenen Lager.
Fürchten muss Scholz diejenigen, die ihm nicht verpflichtet sind, in der SPD wie bei Liberalen und Grünen. Die eigenen Anhänger muss er „ehren“, wie Machiavelli schreibt, also mit Posten und Privilegien bei Laune halten. Die anderen hält der große Denker für gefährlich. Am einfachsten sind dabei jene, die Sorge vor dem Machtverlust haben. Scholz kann deren Ratschläge und Ideen aufnehmen und sie für die eigenen verkaufen. Und wenn sie als Personen schwächeln, setzt er sich von ihnen ab. Problematisch wird es, wenn starke Persönlichkeiten wie Christian Lindner oder Robert Habeck zu sehr nach vorne drängen. Dann werden sie im Bündnis zu politischen Gegnern des Kanzlers. Er müsse sie, so der Italiener, auf Schritt und Tritt beobachten.
Klassisch machiavellistisch ist der Kampf zwischen dem Cdu-vorsitzenden Armin Laschet und seinem Unionsrivalen Markus Söder (CSU) ausgefallen. Offenbar hat Laschet das Hauptwerk des Italieners, den „Fürsten“, nicht oder nicht aufmerksam gelesen. Er hätte den Rivalen viel stärker einhegen müssen. Auf jeden Fall durfte er nicht darauf vertrauen, dass der bayerische Ministerpräsident ihn nach dem verlorenen Machtkampf um die Kanzlerkandidatur im Interesse des gemeinsamen Wahlsieges unterstützt. Laschet hätte im Sinne Machiavellis die „Gunst des Volkes“mit einem energischen und zielorientierten Wahlkampf gewinnen müssen – jenseits von Söder. Der italienische Denker des 16. Jahrhunderts ist aktueller denn je.
Offenbar hat Armin Laschet den „Fürsten“nicht oder nicht aufmerksam genug gelesen