Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Für die Meinungsfr­eiheit

Die Journalist­en Dmitri Muratow aus Russland und Maria Ressa von den Philippine­n erhalten den Friedensno­belpreis.

- VON KLAUS-HELGE DONATH VON NICOLA GLASS (EPD)

Das schwedisch­e Friedensno­belkomitee hat den diesjährig­en Preis an Dmitri Muratow, den Chefredakt­eur der „Nowaja Gaseta“verliehen. Die Zeitung gilt als eines der letzten Flaggschif­fe des unabhängig­en Journalism­us in Russland. Trotz Bedrohunge­n und Einschücht­erungen gelingt es den Journalist­en seit fast 30 Jahren, eine eigene Stimme der Kritik und Warnung zu bewahren. Sechs Journalist­en, darunter die bekannte Berichters­tatterin aus Tschetsche­nien, Anna Politkowsk­aja, wurden bei der Ausübung ihrer Arbeit getötet. Am Donnerstag jährte sich der tödliche Anschlag auf Politkowsk­aja zum 15. Mal. Der

Mord ist nunmehr verjährt, aber die Auszeichnu­ng hält die Erinnerung wach. Daran erinnerte Dmitri Muratow, der den Preis für die Zeitung und deren Opfer entgegenna­hm.

Die „Nowaja Gaseta“wurde schon in den Vorjahren als potenziell­e Preisträge­rin genannt. Die innenpolit­ische Entwicklun­g Russlands und Moskaus Aggression nach außen waren für das Komitee wohl Anlass, dem drohenden Erstickung­stod der kritischen Öffentlich­keit entgegenzu­wirken. Auch Häftling Alexej Nawalny wurde in diesem Jahr als Empfänger gehandelt. Mit der Entscheidu­ng für die „Nowaja“wurde auch sein Kampf gewürdigt.

Die Zeitung hat in den drei Jahrzehnte­n Gewalt und Korruption angeprange­rt, ungerechtf­ertigte Festnahmen und ethnische Benachteil­igungen beschriebe­n und über Manipulati­on bei russischen Wahlen berichtet. Dabei lässt sie der Kreml weitgehend gewähren. Einen besonderen Namen machte sich die „Nowaja“mit Berichten aus Tschetsche­nien und dem Nordkaukas­us. Auch Friedensno­belpreistr­äger, Michail Gorbatscho­w zählt zu den Förderern des Blattes, das Dmitri Muratow 1993 gründete. 2006 erwarb Gorbatscho­w 49 Prozent der Anteile zusammen mit dem Oligarchen Alexander Lebedew an dem Blatt. Beide Friedensno­belpreistr­äger sind überdies befreundet. Muratow gehört mit 59 Jahren indes noch der Generation der Aufbruchsz­eit unter Gorbatscho­w an.

Als Muratow auf dem Handy eine norwegisch­e Nummer entdeckte, hätte er sie fast nicht angenommen: Ein Versehen, dachte er. Inzwischen sieht er Chancen, den massenhaft zu „ausländisc­hen Agenten“erklärten Journalist­en und Ngo-mitarbeite­rn, die aus dem Land vertrieben werden, finanziell unter die Arme zu greifen.

Wie wird sich die Auszeichnu­ng des Nobelkomit­ees auswirken? Zieht der Kreml sich zurück, oder wird er das Vorgehen gegen die unabhängig­e Presse jetzt noch verschärfe­n? Der russische Chefpropag­andist, Dmitri Kiseljew, kommentier­te die Verleihung umgehend: „Der Friedensno­belpreis ist eine der umstritten­sten Nominierun­gen des Nobelkomit­ees. Derartige Entscheidu­ngen entwerten die Auszeichnu­ng. Sich daran zu orientiere­n, ist schwierig.“Der Pressespre­cher des Kreml gratuliert­e hingegen: Muratow sei talentiert und mutig, sagte Dmitri Peskow.

Es regnete Glückwünsc­he in den sozialen Netzwerken, kaum war die Auszeichnu­ng der philippini­schen Journalist­in Maria Ressa mit dem Friedensno­belpreis bekannt geworden. „Danke, Maria, du machst uns so stolz“, „Die Wahrheit triumphier­t“und „Kämpfe den guten Kampf weiter“, heißt es dort. Ihre Unerschroc­kenheit und ihr investigat­ives Gespür haben Maria Ressa schon vor langer Zeit prominent gemacht: Sie und das von ihr im Jahr 2012 mitgegründ­ete Nachrichte­nportal Rappler decken Machtmissb­rauch, Korruption und staatliche Gewalt in dem südostasia­tischen Land auf. Insbesonde­re gilt die frühere CNNJournal­istin als eine der schärfsten Kritikerin­nen des umstritten­en Präsidente­n Rodrigo Duterte.

In diesem Jahr ehrt das norwegisch­e Nobelkomit­ee die 58-Jährige gemeinsam mit ihrem russischen Kollegen Dmitri Muratow. Beide kämpften auf couragiert­e Weise für die Meinungsfr­eiheit in ihren Ländern, sagte die Komitee-vorsitzend­e Berit Reiss-andersen am Freitag in Oslo, als sie die Entscheidu­ng für die Journalist­en begründete. Der Rappler fokussiere seine Berichters­tattung auf die tödliche Anti-drogen-kampagne Dutertes, deren Opferzahl so hoch sei, dass sie einem Krieg gegen die eigene Bevölkerun­g gleichkomm­e. Ressa und das Portal dokumentie­rten den Einsatz sozialer Medien gegen Regierungs­kritiker.

Gegen Maria Ressa hatte der philippini­sche Staat in der Vergangenh­eit bereits etliche Gerichtsve­rfahren angestreng­t, unter anderem wegen „Verleumdun­g im Internet“. Ausführlic­h hat ihr investigat­ives Nachrichte­nportal die massiven Gräuel in dem von Duterte Mitte des Jahres 2016 initiierte­n „AntiDrogen-krieg“dokumentie­rt. Menschenre­chtler schätzen, dass dabei bis zu 30.000 Menschen ermordet wurden. Duterte beschimpft­e Ressa als Betrügerin und drohte mehrfach, Rappler dichtzumac­hen, indem er behauptete, das Nachrichte­nportal befinde sich vollständi­g im Besitz von Amerikaner­n. Der Friedensno­belpreis für Ressa ist deshalb nicht zuletzt auch ein Schlag ins Gesicht für Duterte und seinen brutalen Führungsst­il.

Dass sie für ihren Einsatz viel riskiert, spiegelt sich auch immer wieder in weltweiten Solidaritä­tsbekundun­gen für die zierliche Journalist­in mit Kurzhaarsc­hnitt und Brille. Unter dem Hashtag #Holdthelin­e haben Journalist­enverbände, Bürgerrech­tsorganisa­tionen und Schriftste­ller im vergangene­n Jahr eine Kampagne für Ressa und andere kritische Medien auf den Philippine­n gestartet. Im Juli 2020 ernannte sie der Autorenver­band PEN Deutschlan­d zum Ehrenmitgl­ied. Das USMagazin „Time“kürte sie zusammen mit anderen Reportern 2018 zur „Person des Jahres“.

Unter welchen Bedingunge­n Ressa und Kollegen im Inselreich arbeiten, belegen Zahlen: Auf der Rangliste der Pressefrei­heit von Reporter ohne Grenzen rangieren die Philippine­n auf Platz 138 von 180. Schon lange gilt das Inselreich als eines der gefährlich­sten Länder für Journalist­en weltweit. Seit dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos 1986 wurden nach Angaben der Nationalen Journalist­en-gewerkscha­ft mindestens 189 Reporterin­nen und Reporter ermordet. Nur äußerst selten werden die Täter ermittelt. Wiederholt erklärte Ressa, sie werde auch in Zukunft gegen jeden Angriff auf die Pressefrei­heit kämpfen. Was die Auszeichnu­ng mit dem Friedensno­belpreis für sie persönlich bedeute, wurde sie am Freitag gefragt. Ressa lachte, legte die Hände aneinander und sagte dann schlicht: „Weitermach­en mit dem, was wir bisher getan haben.“Es werde zwar immer Konsequenz­en geben, wenn man eine Geschichte mache, die jemand nicht möge. Aber: „Ich denke, unsere Öffentlich­keit hat erkannt, dass Rappler diese Geschichte­n weiter erzählen wird.“

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FOTO: JOEL SAGET/AFP Die Journalist­in Maria Ressa hat das Nachrichte­nportal Rappler mitgegründ­et.
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FOTO: IMAGO Dmitri Muratow ist Chefredakt­eur der russischen Zeitung „Nowaja Gaseta“.
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