Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

„Kohleausst­ieg 2030 ist machbar“

Der neue RWE-CHEF über Koalitions­pläne, die Explosion der Energiepre­ise und mögliche Blackouts im Winter.

- MORITZ DÖBLER UND ANTJE HÖNING FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Herr Krebber, keine Branche ist so politisch wie die Energiewir­tschaft. Sind Sie enttäuscht, dass die Union bei der Bundestags­wahl so stark verloren hat?

KREBBER Die Wahl ist einschneid­end für Deutschlan­d, weil sich das Parteiensp­ektrum verschiebt. Wie in anderen Ländern dürfte es künftig nur noch selten Zweierkoal­itionen geben. Das macht es komplizier­ter, bietet aber auch Chancen für Erneuerung.

Nun wird eine Ampelkoali­tion sondiert. Wäre RWE eine Jamaika-koalition lieber?

KREBBER Eine Ampelkoali­tion schreckt uns nicht, wir haben da keine Präferenze­n. Wir wünschen uns eine funktionsf­ähige, kraftvolle Regierung, die als Team zusammenar­beitet.

Ist das ein Hinweis darauf, dass der angeschlag­ene CDU-CHEF Laschet nicht Kanzler werden sollte? KREBBER Nein, das ist ein Hinweis darauf, welche Aufgaben anstehen: Digitalisi­erung, Infrastruk­tur, Klimaschut­z. Wir haben kein Erkenntnis­defizit, aber wir brauchen eine Politik, die mutige Entscheidu­ngen trifft.

Die Grünen werden als Preis für eine Koalition einen vorzeitige­n Kohleausst­ieg verlangen. Ist ein Ausstieg 2030 machbar?

KREBBER Ein Kohleausst­ieg 2030 ist machbar – wenn wir das Tempo beim Ausbau der erneuerbar­en Energien gewaltig erhöhen und viele zusätzlich­e Gaskraftwe­rke bauen. Wer hingegen nur abschaltet, gefährdet die Versorgung­ssicherhei­t in Deutschlan­d.

Was würde ein Kohleausst­ieg 2030 für das Rheinische Revier bedeuten?

KREBBER Schon beim derzeitige­n Kohleausst­ieg trägt RWE die meisten Lasten. Bis 2030 bauen wir schon 6000 Beschäftig­te in den Tagebauen und Kraftwerke­n des Rheinische­n Reviers ab. Wer noch früher als geplant aus der Kohle aussteigen will, muss für sozialvert­rägliche Lösungen sorgen. Kein Mitarbeite­r darf ins Bergfreie fallen.

War es eigentlich ein Fehler, dass RWE so lange am Hambacher Forst festgehalt­en hat?

KREBBER Ich schaue nicht zurück, sondern nach vorn. Es gibt einen klaren Fahrplan, der Forst bleibt stehen.

Das Oberverwal­tungsgeric­ht hat den Polizeiein­satz 2018 zur Räumung des Hambacher Forstes für rechtswidr­ig erklärt. Wie empfinden Sie das Urteil?

KREBBER Grundsätzl­ich muss es Konzernen wie Bürgern erlaubt sein, die Polizei um Hilfe zu bitten, wenn ihr Eigentum bedroht wird.

Sie mahnen den Bau neuer Gaskraftwe­rke an. Wird sich RWE daran beteiligen?

KREBBER Ja, schon in Biblis, einem Kernkrafts­tandort, bauen wir jetzt ein Gas- als Reservekra­ftwerk. Doch um Investitio­nsentschei­dungen für neue Gaskraftwe­rke treffen zu können, brauchen wir Planungssi­cherheit. Gas ist ein fossiler Brennstoff – ich möchte nicht in zehn Jahren eine Debatte um den Gasausstie­g führen. Deshalb brauchen wir einen breiten Konsens und einen Weg, wie wir das Gas dann später grün bekommen, etwa durch Wasserstof­f.

Die Gaspreise gehen durch die Decke, seit Jahresanfa­ng sind sie an der Börse um 440 Prozent gestiegen. Wann kommt das bei den Verbrauche­rn an?

KREBBER Ich rechne damit, dass Strom und Gas in den nächsten Jahren teurer werden. Wie stark der Anstieg ausfällt, lässt sich heute noch nicht sagen. Die derzeitige Explosion der Börsenprei­se hat keiner erwartet.

Was ist da los?

KREBBER Der vergangene Winter war sehr kalt, das Windjahr war schwach, sodass Gaskraftwe­rke oft einspringe­n mussten. Es wurde weniger Flüssiggas nach Europa geliefert, und wir sehen weltweit einen Anstieg der Nachfrage aus der Wirtschaft, die nach Corona wieder voll angesprung­en ist.

Und dann drosselt Russland noch die Lieferunge­n, um eine rasche Inbetriebn­ahme von Nord Stream 2 zu erzwingen?

KREBBER Ich kenne diese Spekulatio­nen, beteilige mich aber nicht daran. Klar ist: Russland produziert so viel Gas wie in den Vorjahren. Doch wegen der hohen Nachfrage aus Asien und aus Russland selbst kommt weniger in Europa an.

Drohen uns jetzt die Blackouts beim Strom, vor denen RWE und Eon früher immer gewarnt haben? KREBBER Das deutsche und das europäisch­e Stromnetz gehören zu den besten der Welt. Deswegen erwarte ich keine unkontroll­ierten Blackouts. Zudem sichern sich die

Netzbetrei­ber Reservekra­ftwerke und vereinbare­n mit großen Kunden die Möglichkei­t, Abschaltun­gen vorzunehme­n, wenn das notwendig würde.

Wie angespannt ist die Lage auf dem Strommarkt?

KREBBER Wir haben an einzelnen Tagen Preise von 350 Euro pro Megawattst­unde an der Börse gesehen. Vor wenigen Jahren waren es 30 Euro. Das zeigt, wie angespannt die Lage ist. Alle unsere Braunkohle­kraftwerke müssen laufen, um die Versorgung­ssicherhei­t zu erhalten.

Frankreich drängt Deutschlan­d, wieder in die Atomkraft einzusteig­en. Wäre das mit Blick auf Versorgung­ssicherhei­t und Klimaschut­z nicht eine Option?

KREBBER Das Thema Kernkraft ist in Deutschlan­d vom Tisch. Nach zähem Ringen haben wir einen Kompromiss gefunden – den will keiner mehr aufschnüre­n. Kurzfristi­g wäre es gar nicht möglich, die Kernkraftw­erke wieder hochzufahr­en. Außerdem ist es auch ökonomisch nicht sinnvoll, wenn man es mit einem System aus grünem Strom und grünem Gas vergleicht.

Was erwarten Sie von der neuen Regierung an Weichenste­llungen? KREBBER Damit der Ausbau der Erneuerbar­en vorankommt, müssen Planungsve­rfahren straffer werden: Derzeit reicht man für Onshore-anlagen 70.000 Seiten an Anträgen ein. Das ist doch Wahnsinn. Genehmigun­gen müssten standardis­iert werden und die zuständige­n Ämter personell aufgestock­t. Für Offshore-anlagen muss es ein koordinier­tes Vorgehen von Wind- und Netzausbau geben, über Ländergren­zen hinweg. Zudem sollte es bei Klagen nur noch eine Instanz geben.

Das machen Grüne doch nie mit. Kläger gegen Windanlage­n sind Bürger und Umweltverb­ände… KREBBER Die Grünen fühlen sich dem globalen Klimaschut­z und dem lokalen Natur- und Artenschut­z verbunden. Wer, wenn nicht sie, kann diesen Konflikt lösen?

RWE wandelt sich vom Klimasünde­r zum Ökostromri­esen. Haben

Sie Sorge, dass Konkurrent­en auf Grünkurs wie Iberdrola oder Shell Sie schlucken?

KREBBER RWE ist kein Übernahmek­andidat. Unser Börsenkurs hat sich in den vergangene­n Jahren verdreifac­ht. Es stimmt, dass Ölkonzerne massiv das Ökostromge­schäft ausbauen. Aber in einer wachsenden Branche ist genug Platz für alle, Fusionen sind da eher unüblich.

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FOTO: FABIAN STRAUCH/DPA

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