Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Kohleausstieg 2030 ist machbar“
Der neue RWE-CHEF über Koalitionspläne, die Explosion der Energiepreise und mögliche Blackouts im Winter.
Herr Krebber, keine Branche ist so politisch wie die Energiewirtschaft. Sind Sie enttäuscht, dass die Union bei der Bundestagswahl so stark verloren hat?
KREBBER Die Wahl ist einschneidend für Deutschland, weil sich das Parteienspektrum verschiebt. Wie in anderen Ländern dürfte es künftig nur noch selten Zweierkoalitionen geben. Das macht es komplizierter, bietet aber auch Chancen für Erneuerung.
Nun wird eine Ampelkoalition sondiert. Wäre RWE eine Jamaika-koalition lieber?
KREBBER Eine Ampelkoalition schreckt uns nicht, wir haben da keine Präferenzen. Wir wünschen uns eine funktionsfähige, kraftvolle Regierung, die als Team zusammenarbeitet.
Ist das ein Hinweis darauf, dass der angeschlagene CDU-CHEF Laschet nicht Kanzler werden sollte? KREBBER Nein, das ist ein Hinweis darauf, welche Aufgaben anstehen: Digitalisierung, Infrastruktur, Klimaschutz. Wir haben kein Erkenntnisdefizit, aber wir brauchen eine Politik, die mutige Entscheidungen trifft.
Die Grünen werden als Preis für eine Koalition einen vorzeitigen Kohleausstieg verlangen. Ist ein Ausstieg 2030 machbar?
KREBBER Ein Kohleausstieg 2030 ist machbar – wenn wir das Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien gewaltig erhöhen und viele zusätzliche Gaskraftwerke bauen. Wer hingegen nur abschaltet, gefährdet die Versorgungssicherheit in Deutschland.
Was würde ein Kohleausstieg 2030 für das Rheinische Revier bedeuten?
KREBBER Schon beim derzeitigen Kohleausstieg trägt RWE die meisten Lasten. Bis 2030 bauen wir schon 6000 Beschäftigte in den Tagebauen und Kraftwerken des Rheinischen Reviers ab. Wer noch früher als geplant aus der Kohle aussteigen will, muss für sozialverträgliche Lösungen sorgen. Kein Mitarbeiter darf ins Bergfreie fallen.
War es eigentlich ein Fehler, dass RWE so lange am Hambacher Forst festgehalten hat?
KREBBER Ich schaue nicht zurück, sondern nach vorn. Es gibt einen klaren Fahrplan, der Forst bleibt stehen.
Das Oberverwaltungsgericht hat den Polizeieinsatz 2018 zur Räumung des Hambacher Forstes für rechtswidrig erklärt. Wie empfinden Sie das Urteil?
KREBBER Grundsätzlich muss es Konzernen wie Bürgern erlaubt sein, die Polizei um Hilfe zu bitten, wenn ihr Eigentum bedroht wird.
Sie mahnen den Bau neuer Gaskraftwerke an. Wird sich RWE daran beteiligen?
KREBBER Ja, schon in Biblis, einem Kernkraftstandort, bauen wir jetzt ein Gas- als Reservekraftwerk. Doch um Investitionsentscheidungen für neue Gaskraftwerke treffen zu können, brauchen wir Planungssicherheit. Gas ist ein fossiler Brennstoff – ich möchte nicht in zehn Jahren eine Debatte um den Gasausstieg führen. Deshalb brauchen wir einen breiten Konsens und einen Weg, wie wir das Gas dann später grün bekommen, etwa durch Wasserstoff.
Die Gaspreise gehen durch die Decke, seit Jahresanfang sind sie an der Börse um 440 Prozent gestiegen. Wann kommt das bei den Verbrauchern an?
KREBBER Ich rechne damit, dass Strom und Gas in den nächsten Jahren teurer werden. Wie stark der Anstieg ausfällt, lässt sich heute noch nicht sagen. Die derzeitige Explosion der Börsenpreise hat keiner erwartet.
Was ist da los?
KREBBER Der vergangene Winter war sehr kalt, das Windjahr war schwach, sodass Gaskraftwerke oft einspringen mussten. Es wurde weniger Flüssiggas nach Europa geliefert, und wir sehen weltweit einen Anstieg der Nachfrage aus der Wirtschaft, die nach Corona wieder voll angesprungen ist.
Und dann drosselt Russland noch die Lieferungen, um eine rasche Inbetriebnahme von Nord Stream 2 zu erzwingen?
KREBBER Ich kenne diese Spekulationen, beteilige mich aber nicht daran. Klar ist: Russland produziert so viel Gas wie in den Vorjahren. Doch wegen der hohen Nachfrage aus Asien und aus Russland selbst kommt weniger in Europa an.
Drohen uns jetzt die Blackouts beim Strom, vor denen RWE und Eon früher immer gewarnt haben? KREBBER Das deutsche und das europäische Stromnetz gehören zu den besten der Welt. Deswegen erwarte ich keine unkontrollierten Blackouts. Zudem sichern sich die
Netzbetreiber Reservekraftwerke und vereinbaren mit großen Kunden die Möglichkeit, Abschaltungen vorzunehmen, wenn das notwendig würde.
Wie angespannt ist die Lage auf dem Strommarkt?
KREBBER Wir haben an einzelnen Tagen Preise von 350 Euro pro Megawattstunde an der Börse gesehen. Vor wenigen Jahren waren es 30 Euro. Das zeigt, wie angespannt die Lage ist. Alle unsere Braunkohlekraftwerke müssen laufen, um die Versorgungssicherheit zu erhalten.
Frankreich drängt Deutschland, wieder in die Atomkraft einzusteigen. Wäre das mit Blick auf Versorgungssicherheit und Klimaschutz nicht eine Option?
KREBBER Das Thema Kernkraft ist in Deutschland vom Tisch. Nach zähem Ringen haben wir einen Kompromiss gefunden – den will keiner mehr aufschnüren. Kurzfristig wäre es gar nicht möglich, die Kernkraftwerke wieder hochzufahren. Außerdem ist es auch ökonomisch nicht sinnvoll, wenn man es mit einem System aus grünem Strom und grünem Gas vergleicht.
Was erwarten Sie von der neuen Regierung an Weichenstellungen? KREBBER Damit der Ausbau der Erneuerbaren vorankommt, müssen Planungsverfahren straffer werden: Derzeit reicht man für Onshore-anlagen 70.000 Seiten an Anträgen ein. Das ist doch Wahnsinn. Genehmigungen müssten standardisiert werden und die zuständigen Ämter personell aufgestockt. Für Offshore-anlagen muss es ein koordiniertes Vorgehen von Wind- und Netzausbau geben, über Ländergrenzen hinweg. Zudem sollte es bei Klagen nur noch eine Instanz geben.
Das machen Grüne doch nie mit. Kläger gegen Windanlagen sind Bürger und Umweltverbände… KREBBER Die Grünen fühlen sich dem globalen Klimaschutz und dem lokalen Natur- und Artenschutz verbunden. Wer, wenn nicht sie, kann diesen Konflikt lösen?
RWE wandelt sich vom Klimasünder zum Ökostromriesen. Haben
Sie Sorge, dass Konkurrenten auf Grünkurs wie Iberdrola oder Shell Sie schlucken?
KREBBER RWE ist kein Übernahmekandidat. Unser Börsenkurs hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Es stimmt, dass Ölkonzerne massiv das Ökostromgeschäft ausbauen. Aber in einer wachsenden Branche ist genug Platz für alle, Fusionen sind da eher unüblich.