Rheinische Post - Wesel/Dinslaken
„Nicht nur guten Kaffee, auch ein offenes Ohr“
EVA HOLTHUIS Die Weseler Militärpfarrerin war in Jordanien Ansprechpartnerin für deutsche Soldaten und auch als Notfallseelsorgerin im Hochwassergebiet an der Ahr im Einsatz. Im Interview spricht sie über die Sorgen und Nöte der Soldaten und ihrer Familie
me eine große Rolle spielen. Wenn ich merke, dass eine Therapie nötig ist, stelle ich auch den Kontakt zu den entsprechenden Experten her.
Sie selbst waren nicht in Afghanistan, oder?
HOLTHUIS Nein, aber in Jordanien. Und zwar vom 19. Januar bis zum 12. Mai als seelsorgerische Einsatzbegleitung. Deutsche Soldaten und Soldatinnen der Luftwaffe betanken dort in der Luft Kampfjets der Amerikaner, die von dort den IS bekämpfen.
Wie muss man sich das Leben der Weseler Militärpfarrerin im Nahen Osten vorstellen?
HOLTHUIS Mein Büro und der Besprechungsraum auf der internationalen Base Camp Sonic waren in einem Container untergebracht. Ich stand praktisch sieben Tage in der Woche rund um die Uhr als Ansprechpartnerin für die 20 bis 45 Jahre alten Soldaten zur Verfügung, habe mir ihre Sorgen und Nöte angehört. Beziehungsweise, auch die Sorgen und Nöte der Familien in Deutschland.
Wie kommen ihre Kontakte zustande?
HOLTHUIS Zum Beispiel nach Soldatenfamilien-rüstzeiten: während des Auslandseinsatzes eines Stabsfeldwebels meldete sich die Ehefrau nach Wasserrohrbruch, mit den Nerven am Ende. Die Familienrüstzeit hatte ihr die Bedenken genommen, sich einfach zu melden, um praktische wie seelische Unterstützung zu bekommen. So können sich Soldatinnen und Soldaten besser auf ihren Einsatz konzentrieren. Ein weiteres Beispiel: Die Frau eines Soldaten rief mich an, weil ihre Oma während des Lockdowns einen Schlaganfall erlitten hatte und sie sie nicht besuchen durfte. Ich habe dann den Kontakt mit der Krankenhausseelsorgerin aufgenommen, in deren Klinik die Senioren lag.
Während der Sommerferien habe ich versucht, über die Schill-kaserne mit Ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich bekam die Info, dass sie mit Soldaten auf Usedom seien. HOLTHUIS Ich war mit Soldatinnen und Soldaten und deren Familien einige Tage an der Ostsee auf Usedom. Das Programm ließ viel Zeit für Gespräche zu. Die Menschen fassen schnell Vertrauen und kommen dann auf mich zu, weil sie reden wollen. Einige Soldaten, die zuvor in Afghanistan Auslandsdienst geleistet hatten, zeigten – in zwangloser Atmosphäre – das Bedürfnis: zum Beispiel über die Sinnhaftigkeit ihres Handelns. Gern halte ich den Kontakt zu Familien über die Rüstzeit hinaus aufrecht. Nach der Usedom-fahrt war ich noch auf Borkum mit 44 Militärpolizist*innen, von denen einige ebenfalls im Auslandeinsatz gewesen waren.
Sie kommen wirklich gut rum. HOLTHUIS Und kürzlich war auch im Überschwemmungsgebiet an der Ahr.
Auch in Ihrer Funktion als Militärpfarrerin, um dort eingesetzte Soldaten zu betreuen?
HOLTHUIS Auch, weil immer noch – nach einigen Wochen – Soldatinnen und Soldaten beim „Aufräumen“anpacken und das nicht spurlos an ihnen vorbei geht. Vor allem aber war ich im Team ehrenamtlicher Notfallseelsorgender unterwegs, das erneut angefordert worden war. Mitte bis Ende August wurden insgesamt 70 Kollegen im Bereich Bad Neuenahr-ahrweiler benötigt, die
HOLTHUIS Die Menschen berichten davon, dass sie Angst haben, vergessen zu werden. Sie leiden darunter, dass Nachbarn sich entschlossen haben, wegzuziehen. Ich habe Menschen kennengelernt, die vor dem Nichts stehen und verzweifelt sind. Gerade jetzt, wo die Hochwasseropfer nach der ersten Phase der Aufräumarbeiten realisieren, dass vieles unwiederbringlich verloren ist. Ich habe allerdings auch Helfer kennengelernt, die ihren Urlaub geopfert haben, um Familien zu helfen. Die bei der Entkernung von Häusern geholfen und Bautrockner mitgebracht haben. Das hat mich schwer beeindruckt. Genauso in Erinnerung geblieben ist mir eine 90-jährige Frau, die mir erzählt hat, dass sie sieben Stunden bis zur Brust im Wasser gestanden hat und nur gerettet wurde, weil ihre Enkelin Polizeibeamtin ist und den Rettungskräften erklärt hat, dass ihre Oma noch im Haus sein müsste. Die Seniorin hat erzählt, als würde sie übers Essenkochen berichten. Ihr Enkel stand blass daneben; ichkonnte ihm die zurückliegende Dramatik des Erlebten ansehen.
Ob nun als Militärpfarrerin oder Notfallseelsorgerin: Ihr Beruf muss Ihnen doch Erfüllung geben, wo Sie doch sicher viel Dankbarkeit erfahren. Waren Sie jemals zuvor glücklicher in Ihrem Berufsleben? HOLTHUIS Die ersten 15 Jahre an der Lauerhaas-kirche waren auch wunderbar. Ich war damals 29, als ich mit meinem Mann nach Wesel kam. Wir haben uns eine volle Stelle geteilt und hatten viele Ideen, die wir auch umgesetzt haben. Unter anderem haben wir Familiengottesdienste genossen und den Krabbelgottesdienst eingeführt, die Kirche war voll. Auch dass die Gemeinde ausdrücklich eine Pfarrerehepaar mit Kindern haben wollte, war toll. Dann aber habe ich nach einer neuen Herausforderung gesucht und bin Militärpfarrerin geworden. Dadurch hat sich auch das Leben meines Mannes verändert, der jetzt die ganze Pfarrstelle hat. Um nochmals auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, meine jetzige Aufgabe ist wundervoll, ein guter Mix aus außergewöhnlichen und ganz normalen Herausforderungen.