Rheinische Post - Wesel/Dinslaken

Die Freiluftkü­nstler von Skagen

- VON DAGMAR KRAPPE

Grenen heißt die schmale Landzunge am nördlichst­en Zipfel Jütlands. Hier schwappen die Wellen von Skagerrak und Kattegat zusammen. Das sieht und spürt man, wenn man mit einem Bein in der Nordsee und mit dem anderen in der Ostsee steht. Dass die Gegend zwischen zwei Meeren ein magischer Ort ist, empfand auch eine Gruppe junger Maler, die ab den 1870er-jahren viele Sommer im beschaulic­hen Skagen und an den feinen Sandstränd­en verbrachte.

„Bis Mitte des 19. Jahrhunder­ts kamen nur wenige Künstler in die abgelegene Region“, sagt Niels Bünemann vom Skagens Museum: „Wer keinen konkreten Anlass hatte, sich diesem unwirtlich­en Landstrich zu nähern, der ließ es.“Das änderte sich, als ab 1870 die Eisenbahn immerhin bis ins 40 Kilometer südlich gelegene Fredriksha­vn fuhr. Der Bornholmer Michael Ancher reiste als einer der Ersten auf Einladung seines Studienkol­legen Karl Madsen ans äußerste Ende Dänemarks. Beide waren an der Kunstakade­mie Kopenhagen ausgebilde­t worden und hatten irgendwann den realitätsf­ernen Stil, wunderschö­ne Menschen in perfekter Umgebung zu malen, satt. Unter dem weiten Himmel suchten sie inspiriere­nde Motive.

Wenn Künstler nach Skagen kamen, dann logierten sie im „Brøndums Gård“, dem einzigen Gasthof der Siedlung, den Erik und Ane Hedvig Brøndum betrieben. Schon seit seinem ersten Aufenthalt verband Michael Ancher eine enge Freundscha­ft mit der Tochter der Wirtsleute, der damals 14-jährigen Anna. Karl Madsen gab ihr Zeichenunt­erricht. Schließlic­h durfte sie sich an einer privaten Malschule für Frauen in Kopenhagen einschreib­en. Sehr außergewöh­nlich zur damaligen Zeit. Mit 21 heiratete sie den zehn Jahre älteren Michael Ancher. Das Traumpaar der Kunstszene ließ sich in Skagen nieder.

Die jungen Maler interessie­rten sich für die ärmere Bevölkerun­g, für Fischer und Kleinbauer­n. Fischerei war schon immer der Lebensnerv Skagens. Heute verfügt die 8000-Einwohner-stadt über den größten Fischereih­afen des Landes. „Potenziell­e Kunden waren zunächst entsetzt, als man ihnen Gemälde mit armen Menschen in Alltagssit­uationen präsentier­te“, berichtet Bünemann: „Natürlich wussten sie, dass diese existierte­n, aber sie wollten sie nicht noch auf der Leinwand sehen.“Anfang der 1880er-jahre gesellte sich der in Norwegen geborene und in Kopenhagen aufgewachs­ene Peder Severin Kroyer hinzu. Besonders ihm ist es zu verdanken, dass die Skagen-maler bekannter wurden.

Als 1890 die Eisenbahn von Fredriksha­vn nach Skagen verlängert wurde, setzte der Sommertour­ismus ein. Annas Bruder Degn Brøndum ließ den Gasthof erweitern. Von da an hieß er Brøndums Hotel, das es trotz einiger verheerend­er Brände immer noch gibt. Nun war Platz für einen größeren Speisesaal. Die dunkle Wandvertäf­elung bestückte man mit Bildern und Porträts, die der Wirt über die Jahre von unterschie­dlichen Malern geschenkt bekommen hatte. Mancher bezahlte seine Zeche eben mit Kunst. Hier aß, diskutiert­e, stritt man und inspiriert­e sich gegenseiti­g. Und hier gründeten Michael Ancher, P.S. Kroyer, Laurits Tuxen und Degn Brøndum 1908 das Skagens Museum. Jahrzehnte später wurde der Speisesaal ins Museum überführt, das 2016 noch einen modernen Anbau erhielt, um mehr Platz für die circa 9000 Kunstwerke zu haben.

Eines der bekanntest­en Motive von P. S. Kroyer ist ein „Sommeraben­d am Skagener Sønderstra­nd“von 1893. Es zeigt seine Frau Marie und Anna Ancher beim Strandspaz­iergang. „Dieses Bild wurde 1978 auf einer Auktion angeboten. Geschätzte­r Wert damals 175.000 Dänische Kronen (circa 24.000 Euro)“, erzählt Niels Bünemann: „Der Zeitungsve­rleger Axel Springer ersteigert­e es für 520.000 Kronen (circa 70.000 Euro). Was er nicht wusste, auch das Skagens Museum hatte mitgeboten, konnte jedoch nicht mithalten.“Als Springer davon erfuhr, entschied er, das Gemälde dem Museum zu schenken, sich aber zunächst 20 Jahre lang daran zu erfreuen. Die Freude währte nur sieben Jahre. 1985 verstarb er, und seine Witwe übergab das Bild.

Unweit des Gebäudekom­plexes thront ein ausgedient­er roter Wasserturm. Heute genießt man vom Dach einen Rundumblic­k über die Stadt bis zum „Grauen Leuchtturm“auf der Landzunge Grenen, der schon in Betrieb war, als die Maler hier weilten. Auch die Skagen-kirche als Nachfolge

bau der versandete­n Sankt Laurentii Kirche, deren Turm seit Jahrhunder­ten als Denkmal aus den Dünen ragt, gab es schon, ebenso das schmucke neoklassiz­istische Bahnhofsge­bäude. Es ist ockergelb gestrichen, hat ein leuchtend rotes Ziegeldach und strahlt Wärme aus wie die meisten Häuser in Skagen.

1935 starb Anna Ancher. Danach löste sich die Künstlerge­meinschaft auf. Ihre Tochter Helga, die auch Malerin wurde, lebte hin und wieder im Elternhaus im Markvej, wenn sie aus Kopenhagen zu Besuch kam. Drei Jahre nach ihrem Tod wurde es 1967 zum Museum „Anchers Hus“. Am langen Esstisch bewirteten die Anchers ihre Künstlerfr­eunde. Sie würden sicherlich gerne weiterhin kommen. Denn wie formuliert­e es einst Malerkolle­ge Christian Krohg: „Es gibt die Regel, dass man nicht an einen Ort zurückkehr­en soll, an dem man sich gut gefühlt hat. Man wird enttäuscht, da man entweder sich selbst oder der Ort sich verändert hat. Doch es gibt einen Ort, an dem diese Regel nicht gilt. Das ist Skagen.“

Die Reise wurde zum Teil von Visitdenma­rk unterstütz­t.

 ?? FOTO: GETTY IMAGES/MARC LECHANTEUR ?? Blick in den Hafen: Heute besitzt die 8000-Einwohner-stadt den größten Fischereih­afen des Landes.
FOTO: GETTY IMAGES/MARC LECHANTEUR Blick in den Hafen: Heute besitzt die 8000-Einwohner-stadt den größten Fischereih­afen des Landes.

Newspapers in German

Newspapers from Germany